Materialien für einen neuen
Antiimperialismus Nr. 6
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil I -
Jugoslawien im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus
und Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
Jugoslawien im Kontext des ost- und
südosteuropäischen Umbruchs
In einer kurzen
Einleitungsskizze werden wir versuchen, den jugoslawischen Zerfall
und Krieg in das ost- und südosteuropäische
Umbruchsgeschehen einzuordnen. Damit werden sowohl Parallelen als
auch Differenzen vor allem zum sowjetischen Entwicklungsmodell
aufgezeigt (vgl. Materialien Heft Nr. 4). Allerdings ist das, was wir
uns als Umbruch, Krise und Transformation der sozialistischen
Akkumulationsregime zu bezeichnen angewöhnt haben, gleichfalls
ein ungeheurer Zerstörungsvorgang, der in ganz Osteuropa die
gewohnten existenzsichernden sozialen und ökonomischen
Alltagswelten aufbricht und die Menschen aus den strukturellen
Überlebensnischen gewaltsam vertreibt. Der materielle Kern, des
sogenannten Transformationsprozesses in allen sozialistischen Staaten
besteht darin, die sozialen Garantien des überdehnten
sozialistischen »Klassenkompromisses« (soziales Patt)
abzuräumen, die sozialen Reserven der bislang nationalstaatlich
organisierten Ökonomien zu mobilisieren und das
sozial-strukturelle Gefüge der sozialistisch verfaßten
Gesellschaften so zu rationalisieren, daß sich die »bloen«
sozialen Reproduktionsinteressen wieder dem Akkumulationsprozeß
als ganzem unterordnen. Bleibt daran zu erinnern, daß auch der
territoriale Zerfall der Sowjetunion von nationalistischen Pogromen,
militärischen und ethnischen Konflikten begleitet war, die schon
damals unter der Kategorie »Nationalitätenkonflikte«
rubriziert wurden und die sich gegenwärtig in mörderischen
Waffengängen in Tadschikistan, Aserbaidschan, Nagorny-Karabach,
Georgien und Moldawa fortsetzen, ohne daß die Öffentlichkeit
besonders Notiz davon nähme.
Die scheinbaren
Selbstverständlichkeiten, mit denen wiederum dem jugoslawischen
Krieg die nationalistischen und ethnischen Interpretationsmuster
zugeschnitten werden, tragen wenig zur Erklärung der inhärent
sozialen Konfliktualität bei. Sie verdoppeln analytisch
lediglich die jeweilige nationalistische Propaganda der
Kriegsparteien. Auch die linksintellektuelle Debatte um das nationale
Selbstbestimmungsrecht kann diesem Dilemma nicht entgehen. Zur
Begründung der jugoslawischen Krise genügen die Verweise
auf die jugoslawischen Nationalismen und Integrismen und deren
Rückgriff auf historische Vorläufer, die das Ethnische
verstetigen und in die Gegenwart zu verlängern bemühen,
wohl kaum. Vielmehr hätte ein materialistischer Erklärungsansatz
die politischen und sozialen Konstruktionen des Nationalen und die
Produktion des Ethnischen zu entschlüsseln und im Kontext der
Krise zu entfalten . Die vorliegenden Heftbeiträge sind ein
erster Versuch dazu.
Umbruch und krisenhafte
Neuordnung
Die sozialistischen nachholenden industriellen
Entwicklungsmodelle - sozialistische Varianten
tayloristisch-fordistischer Vergesellschaftung - waren an ihren je
spezifisch nationalen Verwertungs- und Modernisierungsblockaden
gescheitert. Die unüberwindbaren technologisch-ökonomischen
Schranken und die zunehmenden politischen Legitimationsdefizite der
sozialistischen Dissoziationsmodelle industrieller Entwicklung
markieren den Auslauf des fordistischen Zyklus'in seinen
sozialistisch-etatistischen und keynesianistischen Ausformungen. Der
östliche Sozialpakt, seit Anfang der 70er Jahre mit westlichen
Krediten genährt, war Ende der 80er Jahre überdehnt,
brüchig und unrentabel geworden.
Für die Ende der 70er
Jahre technologisch gesteigerte Rüstungskonkurrenz, der
US-amerikanische Versuch militär-keynesianischer
Krisenregulation, waren die Akkumulationsressourcen der
osteuropäischen Gesellschaften entweder sozial blockiert oder zu
erschöpft, um in einer rüstungstechnologischen Offensive
die Produktivitäts- und Rentabilitätsschranken ihrer
national organisierten Ökonomien zu durchbrechen . Die darauf
einsetzenden Umbauprojekte der alten Regimes und die politischen
Umbrüche 1989 leiten das Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung und
damit das Ende der sowjetischen Ordnungsfunktion im geopolitischen
Raum Ost- und Südosteuropas ein. Mit der politischen und
wirtschaftlichen Öffnung sind die Regionen Ost- und
Südosteuropas den Bedingungen des globalen Kapitalismus
ausgesetzt und als zukünftige Peripherien Westeuropas selektiven
und exkludenten Inwertsetzungsstrategien unterworfen.
Die
Auflösung der Akkumulationsblockaden etatistischer
Gesellschaftsorganisationen, die Zertrümmerung sozial
verfestigter Strukturen und Identitäten, die Mobilisierung der
Bevölkerungen über Pauperisierung und die Zerstörung
existenzsichernder ökonomischer und sozialer Alltagsräume
werden unter nationaler Regie in Koordination mit internationalen
Finanzorganisationen (Weltbank, IWF, EBRD etc.) vorangetrieben. Der
gewaltsame und zerstörerische Anpassungsprozeß der
osteuropäischen Gesellschaften an das transnationale
Verwertungsdiktat, an die Rentabilitätskriterien des Weltmarkts
(Schuldenkrise, Strukturanpassungsprogramme, Deregulierungsregime)
verläuft aufgrund sozialer Widerständigkeit, differenter
ökonomischer und politischer Ausgangs- und Gemengelagen extrem
ungleichzeitig. Die neoliberalen Schocktherapien in Polen , in
Rumänien und in der Russischen Föderation gelten
mittlerweile als gescheitert, so daß das Deregulierungstempo
gedrosselt und die Transformationsstrategien an die sozialen
Erwartungen und Ansprüche angepaßt werden mußten.
Die Sozialwissenschaftlerin Melanie Tatur, eine Expertin der
polnischen, aber auch der gesamten ost- und mitteleuropäischen
Entwicklungen, faßt das Dilemma der Transformationsregimes wie
folgt zusammen:«Die neo-liberale Politik setzte (...) die
ökonomischen Akteure dem kalten Wind des Marktes und dem Druck
einer restriktiven Finanzpolitik aus, um sie zur Anpassung bzw.
nötigenfalls zur Selbstaufgabe zu zwingen. Es zeigte sich aber
(1), daß das Erfolgskriterium auf einem noch sozialistischen
Markt nicht ökonomische Effizienz, sondern in hohem Maße
organisatorische Stärke war, und (2) daß sich klassische
ökonomische Interessen nicht konstituieren konnten, sondern die
Betriebe im solidarischen Überlebenskampf von Belegschaft und
Direktoren gemeinsam daran gingen, ihre Reproduktionsinteressen in
defensiven, makroökonomisch oft sinnlosen Strategien zu
sichern.
Mehr noch:bei genauer Betrachtung der sich nun langsam
und zerstreut artikulierenden individuellen Bedürfnisse und
Interessen zeigte sich, daß Bauern, private Geschäftsleute,
ebenso die Intelligenz und die Arbeiterschaft Forderungen an den
Staat stellten, die auf eine Reproduktion der alten Sozialstruktur
hinausliefen und weiter hinauslaufen.« (M. Tatur, 1991, S.302)
Hinter den artikulierten Bedürfnissen wittert sie mit dem
Warschauer Soziologen E. Mokrzycki eine politische Vision sozialer
Gerechtigkeit, die jenseits der verordneten Marktideologie
angesiedelt ist. Und sie schreibt weiter:»Diese volkstümliche
Utopie eines »dritten Weges« hat bislang in
Ost-Mitteleuropa zwar keine verbale ideologische Formulierung
gefunden. Und doch ist sie - als sozialstrukturell definiertes
Interesse und Gefahr für die verarmten und atomisierten Menschen
- in diesen Ländern lebendig. Um die einprägsame
Formulierung Mokrzyckis zu benutzen: Das totalitäre Experiment
geht weiter, ohne den Experimentator zwar - aber durch das Objekt
selbst.« (ebenda) Ein Jahr nach dem politischen Durchbruch, so
M. Tatur, wird sichtbar, daß in den mitteleuropäischen
Gesellschaften »die realen Interessen nur als
Reproduktionsinteressen« formuliert werden.« Es fehlen
weiterhin die privaten Akkumulationsinteressen. Die bloßen
Reproduktionsinteressen zielen indes abermals auf die Reproduktion
der sozialstrukturellen Grundlagen der etatistischen Gesellschaft,
wenn auch in abgewandelter Form:auf die Realisierung einer neuen,
volkstümlichen sozialistischen Utopie.« (ebenda, S.303) Es
sind die egalitären Forderungen nach Existenzrecht und sozialer
Gerechtigkeit, wie sie hier sozialwissenschaftlich beschrieben
wurden, die den Kern der sozialen Konfrontation mit den
Transformationsregimes ausmachen.
Für die Sowjetunion haben
wir im Materialien-Band Nr.4 die Konfrontation des sozialistischen
Regimes mit den sozialen Ansprüchen einer
akkumulationsfeindlichen Gesellschaftlichkeit, wie wir es genannt
haben, nachgezeichnet (vgl. besonders den Artikel Landbevölkerung
gegen sozialistische Rationalität). Generell, so läßt
sich sagen, zeichnen sich für alle ost-, mittel- und
südosteuropäischen Regionen keine kurzfristigen
Transformationsphasen ab, vielmehr drohen allerorten soziale und
politische Eruptionen, deren Verlauf niemand vorherbestimmen
kann.
Die kapitalistische Inwertsetzung dieser Regionen ist
zuvorderst ihre sozioökonomische Angleichung an die
metropolitanen Verwertungsbedingungen, was einer Zertrümmerung
der regionalen Industriestruktur (Deindustrialisierung) gleichkommt.
Denn viele der unter kapitalistischen Bedingungen unrentabel
produzierenden und zur Weltmarktkonkurrenz unfähigen
Industriekombinate werden langfristig und ohne staatliche
Invstitionen nicht überlebensfähig sein. So werden für
den gesamten osteuropäischen Raum gigantische Arbeitslosenzahlen
erwartet. Die schwelende osteuropäische Schuldenkrise (ca. 150
Mrd. US-Dollar) zwingt die osteuropäischen nationalen Ökonomien
letztlich - vermittelt über den Kreditmechanismus - zur ruinösen
Exportorientierung und zu Rentabilitätsmaßstäben, wie
sie sich global herausgebildet haben. Die Reintegration des
osteuropäischen Raums in die Weltwirtschaft »zwingt«
die nationalen Regimes zur Übernahme ökonomischer
Effizienz- und Rationalitätskriterien, die die Existenzgrundlage
von Millionen in Frage stellen. Sie wird zum sozialpolitischen und
ökomomischen Hebel gegen den osteuropäischen
Sozialprozeß.
H.Hofbauer und A.Komlosy, deren kritische
Osteuropareportagen, veröffentlicht in MOZ, WOZ, AK, Freitag und
Weltbühne lesens- und empfehlenswert sind, spitzen in einem
Artikel über die Entindustrialisierung Rumäniens den
osteuropäischen Krisenumbruch auf die Frage »Wohin mit den
Überflüssigen?« zu . Wahrscheinlich unbewußt
haben sie eine Formulierung in Anlehnung an die der nazistischen
Großraumplaner gewählt, aber sie trifft den sozialen Kern
des ost- und südosteuropäischen Umbruchs: Wohin mit der
»Überschußbevölkerung«? Der gegenwärtige
zögerliche kapitalistische Sondierungsprozeß, die
selektiven und exkludenten Inwertsetzungsstrategien in Osteuropa als
Anbindungs- und Zurichtungsmomente einer zukünftigen
westeuropäischen Peripherie produzieren eine quantitativ
gewaltige »Überschußbevölkerung«, die
sich sowohl als Armuts- als auch als Unruhegürtel um die
metropolitanen europäischen Wohlstandsinseln legt. Im Kontext
dieses skizzierten sozialen Auflösungs-, Umbruchs- und
Neuordnungsprozesses in Osteuropa wäre die jugoslawische
Entwicklung, Zerfall und Krieg, zu diskutieren und zu verstehen.
Hinzuzufügen wäre, daß der osteuropäische
Umbruchsprozeß lediglich einen Ausschnitt in der globalen
Verwertungskrise der kapitalistischen Weltökonomie bildet. Denn
weltweit sind die Zugriffsmöglichkeiten auf die
Akkumulationsressourcen der sozialistisch-etatistisch oder
keynesianistisch organisierten nationalen Ökonomien sozial
blockiert oder technisch erschöpft. So sind die ökonomische
Krise, soziale Desintegration und Krieg Medien, in denen die
nationalen sozioökonomischen Transformationen ablaufen, die
globale und regionale Reorganisation der Ausbeutungs- und
Verwertungsstrategien entworfen und in denen ein neues
Unterwerfungsinstrumentarium erfunden und ausprobiert wird. Ethnische
Zonierungen sind dabei nur Teil einer internationalen Reorganisation
erneuerter Mehrwertkaskaden und Wertschöpfungsketten. Eine
umfassende Analyse des globalen Umbruchs muß einem zukünftigen
Materialienband vorbehalten bleiben.
Jugoslawien,
ein intermediäres Modell abhängiger Entwicklung
Der
Zerfall des Staates Jugoslawien als geopolitisch und strategisch
bedeutsamen Raum innerhalb der Kalten-Kriegs-Ordnung hat im ost- und
südosteuropäischen Umbruchsprozeß eine gesonderte
Verlaufsform angenommen. Einige Aspekte des jugoslawischen
intermediären Entwicklungsmodells, die seine Sonderstellung
begründen, seien, ohne diesen Komplex tiefgreifend durchdringen
zu können, kurz umrissen.
Über Kreditgewährung,
Militär-, Nahrungsmittel- und Infrastrukturhilfen stieg das
westliche Kapital (anfangs vor allem das US-amerikanische) bereits in
einer frühen Phase der jugoslawischen industriellen Entwicklung
(industrieller Aufbau) in den strategischen Balkanraum ein; diese
Politik der Einflußnahme wurde dann über die Aufnahme in
den IWF und den Beitritt zum GATT, einer verstärkten
Importkreditierung der nachholenden jugoslawischen Entwicklung, den
Aufbau von westeuropäischer Technologie- und
Kapital-/Zinsabhängigkeit, über besondere
EG-Handelsabkommen, Gründungen von Joint-Ventures (bereits 1967)
und Wirtschaftskooperationen, Lizenzproduktionen, internationale
Finanzunterstützung und Währungsanbindung fortgeführt.
Als
verlängerte Werkbänke (Lohnveredelung) wurden Teile der
Region in die internationale Arbeitsteilung integriert, wozu auch die
bis Mitte der 70er Jahre hohe Arbeitsmigration (860.000/1973) nach
Westeuropa zuzurechnen ist, die damit gleichzeitig das
innerjugoslawische Migrationsgefälle zu steuern verhalf.
Über
die wiederaufgenommenen Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion (1954)
und den Osteuropahandel (Teilmitgliedschaft im RGW 1965) nahm der
jugoslawische Wirtschaftsraum eine modellhafte Scharnierfunktion als
Vermittlungs- und Transitagentur für Technologie- und
Investitionsgüterexporte nach Osteuropa (vor allem in die
Sowjetunion) ein.
Der jugoslawische Wirtschaftsraum wurde,
zugespitzt formuliert, zur Durchgangszone, in der mit westlichem
Kapital und westlicher Technologie im wesentlichen für den
osteuropäischen/sowjetischen Markt produziert wurde (bis zu 42%
der Exporte im Zeitraum 1976 - 1980).
L. Djekovic faßt es
wie folgt zusammen: «So werden Rohstoffe und importierte, mit
Westkrediten finanzierte Produktionsmittel für den Export in den
Osten gebunden und die Exportsteigerung auf westliche Märkte
behindert. Kurzum:der Osten kauft den Großteil der Waren, der
Westen gibt den Großteil der Kredite, wodurch sich die
Westverschuldung Jugoslawiens immer weiter erhöht.« (L.
Djekovic, 1982, S.22). Damit geriet die jugoslawische Ökonomie
in eine zweifache Abhängigkeit: Für den notwendigen
Reproduktionsgüterimport (Energie, Rohstoffe, Halbfertigwaren)
mußte sie auf bilateraler Clearingbasis - mit Ausnahme einiger
kleiner RGW-Länder - nach Osteuropa industrielle Fertiggüter
exportieren, dazu war sie wiederum auf Kapitalgüterimporte
(Maschinen, Technologie) auf kreditfinanzierter Basis aus dem Westen
angewiesen. Damit dieser Wirtschaftsraum zwischen den
hegemonisierenden Machtzentren der Kalten-Kriegs-Ordnung stabil blieb
und in keine der beiden Einflußsphären anhaltend
einbezogen werden konnte, wurde er wohlwollend mit westlichen
Krediten - auch die RGW-Investionsbank versorgte Jugoslawien seit
1978 mit Hartwährungskrediten - und sowjetischen Öl und
Erdgas - die sowjetischen Erdölimporte deckten Anfang der 80er
Jahre ca. 51% des jugoslawischen Bedarfs - genährt.
Zwischen
1971 und 1980 wuchs die jugoslawische Auslandsverschuldung
jahresdurchschnittlich um ca. 23% und erreichte Anfang der 80er Jahre
eine Höhe von ca. 20 Mrd. US-$ . Die Auslandsverschuldung wurde
nach 1965 zum entscheidenden Stabilitätsfaktor der
jugoslawischen Binnenwirtschaft und speiste wesentlich den
Investitionsboom der 70er Jahre. Prägnant formulierte L. Madzar:
»Es zeigte sich, daß unser Wirtschaftswachstum wesentlich
vom Auslandskapital abhängt und unsere Wirtschaft ihm
strukturell und institutionell angepaßt wurde« (Zit.n. N.
Vucic, 1988, S.291). Der mit westlichem Kapital kreditierte
Akkumulationsprozeß erzeugte aufgrund innerjugoslawischer
Rigiditäten und sozialer Barrieren (niedrige
Arbeitsproduktivität etc.) eine insgesamt unzureichende
Wertschöpfung, um sowohl die Auslandsschulden und Zinsen
bedienen als auch eine autozentrierte Akkumulation in Gang halten zu
können, so daß das jugoslawische Regime Anfang der 80er
Jahre in Zusammenarbeit mit dem IWF dazu überging, in einem
frontalen Angriff auf den jugoslawischen Lebensstandard die
erforderlichen Werte herauszupressen.
Ein weiterer Aspekt der
Besonderheit des jugoslawischen Entwicklungsmodells ist die immense
internationale Bedeutung der jugoslawischen Politik, die ihr als
führendes »blockfreies« Land zukam, indem sie die
radikalen Forderungen der trikontinentalen Bewegungen gegenüber
den Metropolen moderierte und die sie als gewichtiger Akteur auf dem
Weltwaffenmarkt zu nutzen wußte. Die innerjugoslawischen
Besonderheiten wie regionale und nationale Ausgleichspraktiken im
internationalen Entwicklungsgefälle, regionale und lokale
Klassenkompromisse des Selbstverwaltungssozialismus werden in den
nachfolgenden Texten des Heftes genauer beschrieben. Zusammenfassend
läßt sich vielleicht folgenden festhalten: Die
jugoslawische Entwicklung, die sich an dem allgemein akzeptierten
industriellen Modernisierungsmodell orientierte, fand ihre
Besonderheit einerseits in der geopolitischen Herausnahme aus der
Kalten-Kriegs-Konkurrenz, wodurch okonömische und politische
Abhängigkeiten von den Machtzentren der Nachkriegsordnung - aber
auch begrenzte Vorteile - entstanden und eine anfänglich
selektive, im Verlauf der Krisen- und Verschuldungsdynamik und der
kapitalistischen Durchdringung zunehmend dependente
Weltwirtschaftsintegration einherging, und andererseits in der durch
die gescheiterte Zwangskollektivierung der Landwirtschaft ungelösten
sozialen Problematik der subsistenzwirtschaftlich und kleinbäuerlich
strukturierten Agrarregionen, die die gesamtjugoslawische
Nahrungsmittelversorgung nicht sichern konnten . Das jugoslawische
Entwicklungsmodell war von Anbeginn an eingeklemmt zwischen dem
Rentabilitäts- und Modernisierungsdruck, der aus der
intermediären Lage in der Nachkriegsordnung und der frühen
weltwirtschaftlichen Öffnung herrührte, und dem sozialen
Druck eines traditionell bewirtschafteten und den
Rationalisierungszugriffen widerstehenden Agrarsektors, der viele
Verbindungen in die Industrieregionen unterhielt. Die Spezifik des
jugoslawischen sozioökonomischen Raums kann durch das sich
vertiefende Entwicklungsgefälle zwischen den verschiedenen
Regionen (vereinfacht als Nord-Süd-Gefälle dargestellt) und
durch eine regionenübergreifende (Teilrepubliken)
sozioökonomische Zerklüftung, die sich aus dem
konfliktanfälligen und verfestigtem Nebeneinander vom am
Weltmartniveau orientierten industriellen Regionen und sich
behauptenden »traditionellen« Agrarregionen
(Stadt/Land-Disparität) ergab, charakterisiert werden und die
das internationale Verdikt der »Unregierbarkeit« trifft.
Wahrscheinlich müssen wir die territoriale sozioökonomische
Zerklüftung im Modell nachholender Industrialisierung, in der
subsistenzwirtschaftliche Produktions- und Reproduktionsweisen,
soziale Rückzugsräume, tradierte Lebensweisen und
Vorstellungen fortleben konnten, als entscheidende Entwicklungs- und
Modernisierungsblockaden betrachten. Es ist dem sozialistischen
Entwicklungsregime - trotz internationaler Kreditierung - nicht
gelungen, die bis in die Gegenwart hineinreichende hemmende
Problematik der »inneren Landnahme«, d.h. der Zurichtung
ländlicher Regionen und Bevölkerungen auf ein industrielles
Entwicklungsmodell, kleinzuarbeiten und eine
industriegesellschaftliche Gesamtrationalität
herzustellen.
Darauf weisen nachdrücklich die wenigen
Arbeiten, die zur jugoslawischen Landwirtschaft erschienen sind, hin.
So bestätigt unter anderem J.B. Allcock unsere Vermutungen, daß
die »sozialistische Transformation« des jugoslawischen
Dorfes, also die Beseitigung des subsistenzwirtschaftlich und
kleinräumlich strukturierten Bauerntums und seine Integration in
die sozialistische Agroindustrie, scheiterte. Trotz eines
kontinuierlichen Drucks (Kooperationsangebote, Kredite, Grüne
Programme etc.) auf das »jugoslawische Dorf« und seine
subsistenzwirtschaftliche, existenzgarantierende Struktur ist es dem
jugoslawischen Regime bis zur Gegenwart nicht gelungen,eine
rationelle und produktive Ausbeutungsorganisation auf dem Land gegen
das »jugoslawische Dorf« durchzusetzen . Unter dem
Rationalisierungsdruck des sozialistischen Regimes »wanderte
das Dorf in die Fabrik«, ohne seine Beziehungen zum Land
aufzugeben. So war 1978 jeder dritte Beschäftigte ein
sogenannter Arbeiterbauer, der mit seiner Familie noch einen Neben-
oder Zuerwerbshof, meist unter der Führung der Frau
(Feminisierung des Dorfes), betrieb. Ende der 70er Jahre waren mehr
als die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe zu dieser
Form der Existenzsicherung (Land-und Fabrikarbeit) gezwungen. Diese
Höfe dienten in erster Linie der häuslichen Versorgung und
der kleineren Bauernmärkte, und erst dann und in geringem Ausmaß
produzierten sie für den »sozialistischen Markt«,
auf dem ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse regelmäßig
unterbewertet wurden (Preisdisparitäten zwischen industriellen
und landwirtschaftlichen Produkten). Die Zähigkeit, mit der sich
»das jugoslawische Dorf« - Mitte der 70er Jahre lebte
immerhin noch 35% der jugoslawischen Bevölkerung dort - den
Rationalisierungszugriffen des Entwicklungsregimes erwehrte, geronn
zur unauflösbaren Blockade des jugoslawischen
Entwicklungsmodells, die wahrscheinlich erst durch die Verwüstungen
des jugoslawischen Bürgerkrieges aufgebrochen wird.
Mit dem
Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung und dem Zerfall der osteuropäischen
nationalen Wirtschaften entfielen jene ökonomischen und
politischen begrenzten Vorteile, die die jugoslawische Wirtschaft
jahrzehntelang aus der Kalten-Kriegs-Konkurrenz hatte ziehen können
(Ostmärkte, westl. Kapital etc.). Das Wegbrechen der das
jugoslawische Modell für eine kurze Zeit begünstigenden
ökonomischen und politischen Bedingungen läßt die
seit Anfang der 80er Jahre sich verschärfende innerjugoslawische
Krise eskalieren. Das westliche Kapital reagierte schon früh mit
Desinvestment in das jugoslawische Modell und rigiden
Strukturanpassungsauflagen.
Gegen das Versickern internationaler
Investitionen in das Selbstverwaltungsmodell und das Stocken des
Werttransfers und der Renditen in die Metropolen setzte das Regime in
den 80er Jahren (1982 und 1987) eine mit dem IWF koordinierte
Austeritätspolitik durch und preßte zwischen 1981 und 1987
einen Schuldendienst von ca. 30 Mrd. US-Dollar (Schuldendienstrate
1987 etwa 46%) aus den Regionen und den Bevölkerungen heraus,
indem der Lebensstandard radikal herabgesetzt wurde
(Preissteigerungen, Importrestriktionen etc.).
Das jugoslawische
Industrialisierungsmodell war aus seiner Sonderstellung in Europa
heraus (Integration in die internationale Arbeitsteilung und in die
Weltwirtschaft) weitaus stärker und wesentlich früher als
die anderen osteuropäischen nationalstaatlich organisierten
Ökonomien sowohl den Rentabilitäts- und
Produktivitätszwängen des Weltmarktes als auch dessen
Krisen unterworfen. So übertrug sich die Krise der
metropolitanen fordistischen Akkumulation Mitte der 70er Jahre in
viel stärkerem Maße auf den jugoslawischen
Entwicklungszyklus.
Seit Mitte der 60er Jahre praktizierte das
jugoslawische Entwicklungsregime mit Unterstützung westlichen
Kapitals variierende Reformen in der Industrialisierungsstrategie, um
die Verwertungsbedingungen zu reorganisieren und zu
rationalisieren.
Gegenwärtig müssen alle aus dem Zerfall
und Krieg hervorgehenden unabhängigen Republiken des ehemaligen
Jugoslawiens als Billigproduktionsstandorte mit denen im übrigen
Osteuropa konkurrieren . Aber die Aufsplittung Jugoslawiens in
Teilrepubliken wird die oben angedeuteten strukturellen und sozialen
Akkumulationsblockaden nicht zertrümmern - dafür war die
Wirtschaft schon zu dezentralisiert und in beinahe abgeschlossenen
Teilmärkten organisiert - allein der Krieg war dazu
notwendig.
»Rent-seeking behavior« -
Selbstverwaltung von unten
Mit »rent seeking
behavior« bezeichnet T. Eger ein Verhalten der an der
Selbstverwaltungspraxis und -prozedur (Absprachen) Beteiligten
(Betriebsdirektoren, Manager, ArbeiterInnen, lokale Bürokraten
etc.) das Werte abzuziehen versuchte aus institutionellen
Beziehungen, aus der Möglichkeit, Betriebsrisiken zu
externalisieren und aus dem Zugang zu knappen Ressourcen, der nicht
über den Preis vermittelt war, sondern über das Kriterium
lokaler/regionaler Zugehörigkeit reguliert wurde.
So konnten
Manager und ArbeiterInnen sich die Selbstverwaltung aneignen und sich
ein Einkommen sichern, das von der realen Arbeitsproduktivität
losgelöst war und der Akkumulation entzogen wurde. Das
betriebliche Unterlaufen der Gewinnorientierung zugunsten der
Einkommensorientierung beschreibt O. Kovac folgendermaßen:
»Wenn das Einkommen als Zielfunktion des Unternehmens gestellt
wird, werden sie in eine sehr schwierige Position versetzt. Von ihnen
wird erwartet, eine Zielfunktion anzustreben, die widersprüchliche
Kategorien beinhaltet, also persönliche Einkommen und Profit,
und die Versuchung, den Anteil der persönlichen Einkommen im
Verhältnis zu Profit zu bevorzugen ist zu stark, besonders wenn
das Wirtschaftssystem dazu beiträgt, daß ein Teil des
gesellschaftlichen Eigentums (...) in die persönlichen Einkommen
(Gehälter und Löhne) umverteilt werden kann. Bis vor kurzem
war unter hoher Inflationsrate die Aufrechterhaltung des konstanten
Realwertes des gesellschaftlichen Eigentums nicht sichergestellt, mit
dem die Arbeitsorganisationen (d.h. Unternehmen, d.V.) gewirtschaftet
haben; es wurden die realen Abschreibungsraten der festen Fonds nicht
gewährleistet und auf diese Weise wurde das gesellschaftliche
Eigentum in das laufende Einkommen umverteilt und aus dem laufenden
Einkommen nach allen Regeln auf Verbrauch und Akkumulation verteilt.
Deshalb wurde mit der Zeit klar, daß die Akkumulation des
Kapitals in Jugoslawien nicht mehr für die Entwicklung
ausreicht« (O. Kovac, 1988, S.166).
Soweit die
Umverteilungspraxis der Selbstverwaltung von unten. Zeitweise
Nicht-Arbeit steigerte sich lt. POLITIKA vom 15.1.1987 zum
Dauerabsentismus, in dem durchschnittlich jede/r Beschäftigte/r
beinahe 5 Monate im Jahr freimacht . Das Produktivitätsdilemma
der sozialistischen Markt- und Selbstverwaltungswirtschaft
unterstreicht auch ein Zitat von L. Djekvic: »Eines der
wichtigsten Selbsverwaltungsrechte (kommt) in negativer Weise zum
Tragen. Dieses Recht besteht in einer gesetzlich verankerten
autonomen Entscheidung der Beschäftigten über Verteilung
des erwirtschafteten Nettoertrages des Unternehmens einerseits auf
Investitionen und betriebliche Fonds und andererseits auf das
persönliche Einkommen der Belegschaft. Die Interessen der an der
Selbstverwaltung beteiligten erweisen sich aber als zu kurzfristig
und in erster Linie auf eine rasche Erhöhung ihres Einkommens
und damit des persönlichen Verbrauchs gerichtet. Deshalb
verlagern die Unternehmen ihre Tätigkeit tendenziell auf
kurzfristige und ohne große Mühe durchführbaren
Transaktionen. Längerfristige und höherwertige Geschäfte
unterbleiben, was insbesondere auch in der Außenwirtschaft über
Vernachlässigung von Kooperationen und Joint Ventures negative
Auswirkungen gezeigt hat. Eine wesentliche Rolle spielt auch, daß
diese hauptsächlich über Preiserhöhungen erzielten
Einkommenssteigerungen selbst in jenen Bereichen gegeben sind, die
mit Verlust arbeiten, da im Selbstverwaltungssystem nicht die
Unternehmen, sondern vielmehr die Gemeinden, aber auch die Republiken
und der Bund die Verantwortung für Verluste
tragen.
Wirtschaftliche Fehlentscheidungen der Unternehmen werden
nicht wirksam sanktioniert. Es bestehen vielmehr zahlreiche
Möglichkeiten, die Risiken zu externalisieren. Man geht davon
aus, daß zur Zeit in Jugoslawien etwa 7.000 Betrieben, d.h.
etwa ein Viertel der Betriebe im gesellschaftlichen Sektor mit ca.
1,6 Mill. Beschäftigten, der Konkurs eröffnet werden müßte«
(L. Djekovic, 1988, S.179f). Das Selbstverwaltungssystem mit seinen
Sozialisierungsmechanismen, angemessene Einkommen gegen
Produktivitätssteigerungen zu verteidigen, reifte - und da sind
sich alle Wirtschaftsjournalisten einig - zu einer entscheidenden
Entwicklungsblockade heran.
Dabei wurden bereits in den 60er
Jahren im jugoslawischen Modell sozialistischer Wertschöpfungs-
und Akkumulationsorganisation marktorientierte Reformen dezentral in
den Republiken mit dem Ziel eingeführt, eine effektivere
gesamtwirtschaftliche Rationalität in den ökonomischen
Beziehungen zu erreichen: die Unternehmens- und Republikkompetenzen
wurden unter dem Motto »Liberalisierung des sozialistischen
Marktes« ausgeweitet . Dieses frühe Reformprojekt nach der
Phase der extensiven Industrialisierung mündete schließlich
in wilde Streiks, StudentInnenunruhen, und die »kroatische
Krise von 1971 markierte das Ende des jugoslawischen Äquivalents
zur Perestroika« (V. Zaslavsky/ V. Vujacic, 1991,
S.20).
Rezentralisierung des politischen Kommandos, Vertiefung der
territorialen Konföderalisierung und eine kreditfinanzierte
Steigerung der Akkumulation und des Lebensstandards waren die
Systemreaktion Anfang der 70er Jahre darauf. Die Stärkung und
Ausweitung der Selbstverwaltungsrechte der Unternehmen in der
Verfassungsänderung 1974 wurde nicht im Sinne der
»Selbsttätigkeit der ArbeitnehmerInnenklasse«
vorgenommen, sondern als Verfeinerung des Organisationssystems zur
Steigerung der Produktivität verstanden, in dem die Autonomie
der Unternehmen auf dem sozialistischen Markt gestärkt und »neue
Managementtechniken im Sinne des `job enrichment' und `job
enlargement' als Methoden der Konfliktvermeidung« eingeführt
wurden . Die Problematik der Industriebesteuerung, der
ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion, der
Fabrikorganisation (vgl. sowjet. Fabrikgemeinden) gleicht der, die
wir im Materialien- Band Nr.4 für die Sowjetunion
herausgearbeitet haben. Entscheidend für die Einordnung des
jugoslawischen Industrialisierungs- und Entwicklungsweges scheint uns
zu sein, daß das jugoslawische Regime bereits seit 1965 mit
politisch-ökonomischen Rationalisierungskonzepten der
Konfliktregulierung und wirtschaftlichen Modernisierungsstrategien
aufwartete, um eine produktivitätssteigernde Marktrationalität
zu erzwingen, die aber allesamt nicht die intendierten Folgen einer
gesteigerten ökonomischen und sozialen Effizienz und
Produktivität zeitigten und durch soziale Interessenlagen und
Widerstände unterlaufen wurden (vgl. oben). Die jugoslawische
Wirtschaft ist aus ihrer intermediären Lage ein frühes
Experimentierfeld marktradikaler Reformen gewesen.
Die Blockierung
einer systematischen Gesellschaftsrationalisierung (Subsistenz,
Interessenkoalition von Bank-, Betriebsmanagement, Belegschaft und
lokaler und regionaler Bürokratie, dezentralisierte
Teilökonomien), die sich vertiefende Wirtschaftskrise, der
Massenverarmungsprozeß, Arbeitslosigkeit (1,1 Mio/1987) und die
sozialen Unruhen Ende der 80er Jahre verschärften das
innnerjugoslawische Entwicklungsgefälle und heizten die
regionalen ökonomischen und politischen Konkurrenzen an . Das
Scheitern gesamtjugoslawischer Rationalisierungs- und
Modernisierungsstrategien und die Dezentralisierung des
Selbstverwaltungssystems tragen erheblich zur Herausbildung
regionaler und lokaler nationalistischer Eliten bei. Die ökonomische
Dezentralisierung (als Marktelement gedacht) schaffte abgeschottete
Teilökonomien, in denen ca. 60% der produzierten Waren nicht das
Territorium oder die Reggion verließen. »In Jugoslawien
wurde eine Wirtschaftsstruktur geschaffen, in der ein politischer
Voluntarismus der Entscheidungen, der hinter der Bildung der
Wirtschaftsstrukturen von acht Nationalökonomien steht, etwas
gestaltet, das mit einer Ausrichtung auf einen
gesamtgesellschaftlichen Markt nichts zu tun hat«, so N. Vucic
(N. Vucic, 1988, S.293). Die jugoslawische politische und ökonomische
Zerklüftung, die föderative Zersplitterung, band die
ArbeiterInnen in der Wirtschaftskrise, die im Süden zum
Überlebenskampf sich steigerte, immer stärker an die
regionalen Machteliten, deren nationale Programmatik immerhin das
Versprechen der auf die Republik/Region bezogenen
Privilegiensicherung enthielt. Das bedeutete das Aufsprengen der
Krise der Akkumulation und Wertschöpfung in seine
ethnisch-territoriale Dimension, die im blutigen Krisenchaos den
Anschein der Verteidigung von Gemeinschaftsinteressen
aufrechtzuerhalten vermochte. Die herrschenden regionalen
kommunistischen Eliten nutzten über dezentralisierte
Wirtschafts- und Machtstrukturen den von ihnen inspirierten
Nationalismus als Herrschaftsinstrument. »Brutalität,
äußerste gesellschaftliche Gewalt, Krieg und Bürgerkrieg
wurde der Gesellschaft eines Landes, die jetzt in verschiedenen
Ländern lebt, gegen ihren Willen aufgezwungen. Es war der Wille
zur Macht einiger weniger, die das Ende ihrer Macht, ihrer
Privilegien, ihrer Verbindungen zum parallelen und Schwarzen Markt,
ihres Einflusses auf Wirtschaft, die Medien, ganz einfach auf die
Gesellschaft kommen sahen.« (I. Vejvoda, 1993, S.23)
Es war
- im Gegensatz zu anderen osteuropäischen
Transformationsprozessen - das Fehlen einer gesamtjugoslawischen
»Modernisierungselite« , übergreifender
Krisenakteure, die aus eigener materieller und ideologischer
Interessiertheit den Transformationsprozeß und die
Weltmarktanpassung (Programm der Bundesregierung Markovic) hätte
vorantreiben und durchsetzen können , so daß schließlich
die nationalen Krisenregimes in den einzelnen Republiken zur
Alternative heranreiften und die Chance ergriffen, die
Selbstverwaltungs-, die sozial verfestigten ländlichen
Strukturen, die soziale Blockierung des jugoslawischen
Akkumulationsregimes im Krieg aufzubrechen . Zur Ethnisierung der
sozialen Frage wird in den folgenden Heftbeiträgen Material
vorgelegt. Der jugoslawische Krieg scheint letzter Ausweg aller
nationalen Regime unter kriegswirtschaftlichem Zugriff, die
Reorganisation der dezentralisierten Ausbeutungs- und
Verwertungsbedingungen anzugehen. In kriegswirtschaftlicher
Arbeitsteilung sind bspw. im allen Teilrepubliken die Reallöhne
radikal gesenkt worden. Dennoch bleibt der Reorganisationsprozeß
der regionalen Akkumulationsstruktur mit sozialem Widerstand
konfrontiert.
Im Gegensatz zu den osteuropäischen
Transformationsregimen scheiterte Anfang der 90er Jahre das
jugoslawische Entwicklungsmodell nach einer langen Phase
gesamtgesellschaftlicher Modernisierungsoffensiven, die sich jetzt im
jugoslawischen Krieg zu verdichten scheinen und sich als ethnische
Gewalt transformieren und vielleicht eine Ouvertüre auf den
osteuropäischen Umbruchs- und Neuordnungsprozeß
darstellen, der schließlich mit einem sozialen Überschuß
- verstanden als populäre Utopie sozialer Gerechtigkeit und als
real herausgedrängte »Überschußbevölkerung«
(vgl. oben) - konfrontiert ist, dessen Aspirationen gewaltsam
niedergehalten und dessen Wege in die Emigration verstopft
werden.
»In Bosnien gewinnt Europa neue
Gestalt«
In Bosnien stirbt nicht Europa, wie von
mitteleuropäischen Intellektuellen und metropolitanen
Demonstranten anklagend konstatiert wird, sondern gewinnt, wie
Joachim Hirsch zu recht bemerkt, neue Gestalt. Das westliche Kapital
und die europäische politische Klasse können - auch bei
internen Differenzen und Konkurrenzen - dem jugoslawischen Zerfall
und Krieg, deren Ausgangsbedingungen sie mitgeschaffen haben,
abwartend und moderierend gegenüberstehen.
Die jugoslawische
Region hatte mit dem Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung ihren
»Sonderstatus«, wie wir ihn oben beschrieben haben,
endgültig verloren und war dadurch, was die
Kapitalverwertungsanforderungen betraf, den anderen osteuropäischen
Ökonomien gleichgestellt, die untereinander um eine möglichst
günstige periphere Anbindung an den EG-Raum zu konkurrieren
gezwungen waren. Der innerjugoslawische Krieg beschleunigte den
sozialen und ökonomischen Anpassungsprozeß der
jugoslawischen Teilrepubliken an die transnationale Akkumulation.
Gleichzeitig durchbricht er jene Verwertungsblockaden, an denen das
jugoslawische Entwicklungsmodell scheiterte. Der innerjugoslawische
Krieg und die kriegswirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen in allen
Teilrepubliken bereiten geradewegs die sozialen, politischen und
wirtschaftlichen Strukturen für eine kapitalistische
Inwertsetzung auf. In den ethnischen Zonierungen und Schichtungen des
jugoslawischen Raums werden kapitalistische Kontroll- und
Einflußspähren strategisch neu geordnet. Solande der Krieg
territorial begrenzt werden kann, Flüchtlinge und »Vertriebene«
in Schutzzonen konzentriert und auf ihrem Weg in die Metropolen
abgewehrt werden können, solange steht »Europa« dem
»Ausbluten des Konfliktes« zumindest gleichgültig
gegenüber - alles andere wäre nicht in seinem
Interesse.
Literatur: ALLCOCK, J.B. 1979, Die
»sozialistische Transformation« des Dorfes -
Jugoslawische Agrarpolitik seit 1945, in: Osteuropa, 29. Jg., H.2/
1979, S.123-136
BREY, T. 1986, Jugoslawische Landwirtschaft in der
Krise, in: Osteuropa, 36. Jg., H.5/1986, S.375-388
ders. 1987,
Jugoslawien nach dem XIII Parteitag: Zwischen Aufbruch und
Stagnation, in Osteuropa, 37. Jg., H.6/1987, S.444-454
BRUCAN, S.
1992, Die Schocktherapie ist gescheitert - Interview mit H. Hofbauer,
in: WOZ Nr.36 vom 4.9.1992
CONERT, Hg. 1988, »Die
sozialistische Marktwirtschaft« in der Schuldenkrise, in: E.
Altvater u.a. (Hg.), Die Armut der Nationen, Berlin 1988
DJEKOVIC,
L. 1982, Jugoslawien zwischen EG und RGW, in:
Südosteuropa-Mitteilungen, 22. Jg., H.2/1982, S.3-12
ders.
1983, Jugoslawiens wirtschaftliche Fatalitäten, in:
Südosteuropa-Mitteilungen, 23. Jg., H.4/1982, S.20-28
ders.
1988, Wirtschaftskrise in Südosteuropa, in,
Südosteuropa-Mitteilungen, 28. Jg., H.2/1988, S.176-184
ders.
1991, Der kurze Atem der Selbstverwaltung, in: J. Furkes, K.-H.
Schlarp (Hg), in: Jugoslawien: Ein Staat zerfällt, Reinbek 1991,
S.134ff
DJEKOVIC-SACHS, L. 1993, Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens
zwischen Stabilisierung und Zusammenbruch, in:
Südosteuropa-Mitteilungen, 33. Jg., H1/1993
EGER, Th. 1986,
Überwindung des regionalen Entwicklungsgefälles, in: K.D.
Grothusen, O.N. Haberl, W. Köpken (Hg), Jugoslawien am Ende der
Ära Tito, Bd.2, München 1986
ders. 1987, Ökonomische
Anreizstrukturen und Wirtschaftskrise in Jugoslawien, in:
Osteuropa-Wirtschaft, 32. Jg., H.3/1987, S.213-228
GROSSE-JÜTTE,
A./ JÜTTE, G. 1983, Die außenpolitischen Beziehungen
zwischen Jugoslawien und USA 1968-1978, in: Grothusen u.a. (Hg.),
Jugoslawien am Ende der Ära Tito, Bd.1, München
1983
HERBERT, G. 1988, Das selbstverwaltete Jugoslawien in der
Wirtschaftskrise, in: Mehrwert Nr.20, Januar 1988, S.141-153
ders.
1992, Zu den aktuellen Ereignissen, in: C. Samary, Krieg in
Jugoslawien, Köln 1992, S.116ff ders. 1992a, Bohrende Fragen
bleiben, Interview in SoZ Nr.24, vom 3.12.1992
HOFBAUER, H. 1991,
Der wilde Osten: Reportagen vom Rande Europas, Wien 1991
HOFBAUER,
H./ KOMLOSY, A./ ROMAN,V. 1992, Die Angst bei der Auswahl von Herr
und Knecht - Rumänien: Ein Land wird entindustrialisiert, in:
WOZ Nr.36 vom 4.9.1992
HÜBNER, K. 1992,
Entwicklungskoordinaten der Weltwirtschaft, in: K. Fuchs, J. Schuster
(Hg), Zwischen Nationalstaat und Globalpolitik, Köln 1992,
S.41ff
JANIGRO, N. 1992, »Jugoslawismus« - Aufstieg
und Niedergang eines Modells, in: PROKLA 22. Jg., 6/1992,
S.207-224
JUGOSLAWIEN: Selbstverwaltung versus
Weltmarktintegration, in: AK Nr.340 vom 11.3.1992 KOVAC, O. 1988,
Wege zur Überwindung aussenwirtschaftlicher Schwierigkeiten
Jugoslawiens, in: Südosteuropa-Mitteilungen, 28. Jg.,H.2/1988,
S.154-175
KRASIN, Y. 1993, Perspektiven nach dem Scheitern der
»Schocktherapie« in Rußland, Das Argument, 35. Jg.,
H.2/1993, S.185-193
LAZIC, M. 1992, Krieg und Wirtschaft im
ehemaligen Jugoslawien, in: Krieg in Europa - Analysen aus dem
ehemaligen Jugoslawien, Linz 1992
MALKIEWICZ, A./ PALYS, J. 1993,
Wege und Fallen beim Aufbau des Kapitalismus in Polen, in: Das
Argument, 35. Jg., H.2/1993, S.175-183
MATERIALIEN FÜR EINEN
NEUEN ANTIIMPERIALISMUS NR.4, Das Ende des sowjetischen
Entwicklungsmodells, Berlin 1992
dies. Nr.5, Strategien der
Unterwerfung - Strategien der Befreiung, Berlin 1993
MILLER, R.F.
1980, Alte und neue Formen der Kooperation für Jugoslawiens
Bauern, in: Osteuropa, 30. Jg., H.6/1980, S.517-530
ders. 1980a,
Sozialistische Theorie und sozialistischer Wandel in Jugoslawiens
Landwirtschaft, in: ebenda, H.10/ 1980, S.1122-1138
REUTER-HENDRICHS,
I. 1983, Jugoslawien und der Rat für gegenseitige
Wirtschaftshilfe (RGW), in: Grothusen u.a. 1983, s.O.,
S.123ff
SAMARY, C. 1992, Krieg in Jugoslawien, Köln
1992
SIMIC, P. 1993, Bürgerkrieg in Jugoslawien: Vom lokalen
Konflikt zur europäischen Krise, in: Südosteuropa-Mitteilungen,
33. Jg., H.1/1993, S.35-49
SÖRGEL, W. 1979,
Arbeiterselbstverwaltung oder Managersozialismus?, München
1979
TATUR, M. 1991, Etatistische Gesellschaft in Polen, in:
Leviathan, 19. Jg., H.2/1991
dies. 1993, Solidarnosc: Form- und
Funktionswandel einer sozialen Bewegung, in: 1999 Zeitschrift für
Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 8. Jg., H.2/1993,
S.78-88
VEJVODA, I. 1993, Gesellschaftliche Gewalt im früheren
Jugoslawien, in: links H. 4/1993
VUCIC, N. 1988, Die Rolle der
Außenverschuldung in der jugoslawischen Wirtschaft, in:
Osteuropa, 38. Jg., H.4/1988, S.289-299
ZASLAVSKY, V./ VUJACIC, V.
1991, Die Ursachen des Zerfalls in der UdSSR und Jugoslawien, in:
Freibeuter Nr.50, S.12-32
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil II -
Bemerkungen zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen zur Kampfgeschichte der
moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus
und Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
Bemerkungen zur
Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
»Das,
was einst Jugoslawien genannt wurde, ist eigentlich auch jetzt noch
ein halburbanisiertes, halbindustrialisiertes Gebiet in Südosteuropa.
Die sozialistischen Modernisierungs-, Industrialisierungs- und
Urbanisierungsprozesse wurden auf eine typisch »bäuerliche
Weise« verwirklicht. Die intensive Produktion eines
Proletariats und von Proletariern, wobei die Bauern die Rolle eines
natürlichen Rohstoffs spielten, führte nicht zu den
erwünschten Resultaten: zur Proletarisierung der Städte und
zur Urbanisierung der Dörfer. Die Dörfer wurden
halbproletarisiert, und die Städte verwandelten sich in große
Siedlungen oder in übergroße Dörfer, in denen nicht
das städtische »soziale« Element - um vom
»politischen« ganz zu schweigen - zum dominanten wurde.
Das Resultat war die Dominanz einer »strengen« ländlichen
Mentalität mit entsprechenden Wertma?stäben. Man könnte
auch im populären Jargon des hiesigen Menschenschlags von einer
»gebirglerischen« oder »dinarischen«
Mentalität sprechen. Ähnliche, vielleicht sogar noch
intensivere Prozesse sind gerade jetzt im Gange, da gerade der letzte
der Balkankriege wütet.«
Man kann dem Verfasser
dieser Zeilen dankbar sein. Ohne sich die Mühe analytischer
Distanz zu machen, ruft er mit seinen Schlagwörtern noch einmal
die rassistische Vorstellungswelt wach, mit denen Nazismus,
Bolschewismus und die dualistische Entwicklungspolitik über 7o
Jahre hinweg ihren Haß auf das Objekt ihrer Begierde und ihre
Furcht vor seiner Gegenmacht zum Ausdruck brachten. Gerade darin
jedoch bringt er ein wesentliches Moment des aktuellen Kriegs genauer
auf den Punkt, als jede Agrarsoziologie es vermöchte, wenn auch
sicher unabsichtlich. Begriffe wie »bäuerliche Weise«,
»natürlicher Rohstoff«, »ländliche,
dinarische Mentalitäten« gehören zur
Frontberichterstattung über einen sozialen Krieg, der die
Akkumulationszyklen dieses Jahrhundert geprägt hat und der bis
jetzt zu einem globalen Saldo von mehreren hundert Millionen Toten
aufgelaufen ist. Es ist nicht der Krieg gegen die BäuerInnen. Es
ist der Krieg gegen ein soziales Kontinuum von moralischer Ökonomie
und Existenzrecht. Es war seine Gegenmacht, die in der
osteuropäischen Revolution von 1917-19 zum ersten Mal die
Barbarei der Kapitalakkumulation in die Defensive brachte. Was jetzt
im Gemetzel der ethnischen Säuberungen zertrümmert wird,
ist eine späte Gestalt dieser Gegenmacht. Sie unterscheidet sich
zwar deutlich von ihren frühen Ausdrucksformen von 1917, aber
sie ist mit ihr über einen historischen Transformationsprozeß
verbunden und daher ohne sie nicht zu verstehen.
Es ist natürlich
rassistischer Unsinn, wenn Jugoslawien als Dorf beschrieben wird.
Aber es ist die selbe moralische Ökonomie, die sich noch vor
hundert Jahren auf die Auseinandersetzung der Dörfer mit den
spätfeudalen Ausbeutern beschränkt hatte, die später
die Akkumulationsstrategien der jugoslawischen Eliten vor und nach
dem 2. Weltkrieg bis in Städte und Fabriken hinein immer wieder
von unten in die Enge brachte. Vor dem Krieg in der
Auseinandersetzung mit der »Raubwirtschaft«
(Seton-Watson) eines diktatorischen Staatsmonopols, nach dem Krieg
mit der Raubwirtschaft eines sozialistischen Staatsmonopols. Die
Raubmethoden unterschieden sich wenig: Überausbeutung über
eine staatlich regulierte Preisschere zwischen Agrarprodukten und
industriellen Investitions- und Konsumgütern, Überausbeutung
im Mißverhältnis von Steuern und Leistungen, gezielte
Dorfverelendung, flankiert durch eine polizeiliche Dauerbelagerung.
Die Formen, in denen die moralische Ökonomie sich mit ihnen
konfrontierte und sich selbst darin transformierte, zeugen von ihrer
erstaunlichen Elastizität und waren selbst durch die
Krisenstrategien der 80er Jahre nicht zu überwinden. Dies hat
einen wesentlichen historischen Grund darin, da? die einzige
wirkliche soziale Macht, die aus dem zweiten Weltkrieg hervorging,
die der Bauernpartisanen war, einzigartig in der europäischen
Geschichte. An ihren politisch-sozialen Strukturen scheiterte der
Versuch der wangskollektivierung, sie waren der eigentliche Grund,
warum die Unterwerfung des Lohns unter die Mehrwertkalkulationen der
Führung in den letzten 4o Jahren nie gesichert war und sich der
Druck der Einkommenserwartungen immer wieder gegen die Diktate der
Wertschöpfung politisierte. Um dies zu begreifen, müssen
wir die Entwicklungslinien seit dem revolutionären Flächenbrand
von 1917 - 1919 kurz nachzeichnen.
Was der Entwicklungsrassismus
linker und rechter Prägung gern zum »natürlichen
Rohstoff« mit irgendwelchen indigenen Mentalitäten
verdinglichte, war das Subjekt, das in den Jahren 1917-19 den
gesamten Agrargürtel von Finnland bis Griechenland in
revolutionären Brand setzte und seinen Ausgangspunkt in den
russischen Dörfern hatte. Dieser revolutionäre Proze? war
transnational. Der Nationalstaatsgedanke war untrennbar mit den
Herrschafts- und Ausbeutungsaspirationen der jeweiligen Intelligenz
verbunden und gehörte zum ideologischen Arsenal des sozialen
Feindes. Daher spielten auch die offiziellen Kriegsgegnerschaften
kaum eine hemmende Rolle. Ethnische Unterschiede, die heute wieder zu
jahrhundertealten Vorgeschichten des Kriegs montiert werden, stellten
lediglich Einfärbungen in der Homogenität der sozialen
Gegnerschaft dar. David Mitrany formuliert nur die Feststellungen
vieler Kenner: »Soziale Bewegungen waren in der Vergangenheit
niemals nationalen Linien gefolgt. Die Bauern einer Region, so
unterschiedlich sie nach Sprache, ethnischer Herkunft oder Religion
waren, schlossen sich zusammen, wenn sie ihre Rechnung mit den
Grundbesitzern beglichen.«
Der revolutionäre Prozeß
war auch nicht auf das Land beschränkt, sondern bestimmte über
das mobile Element der sogenannten »BauernarbeiterInnen«
die Revolution auch in die Fabriken hinein. Er war nicht proletarisch
im marxistischen Sinne einer bereits in die Wertschöpfungsdynamik
eingebundenen und disziplinierten Schicht erblicher Arbeiter, im
Gegenteil. Er radikalisierte vielmehr die Werte von Gleichheit,
Kollektivität und Versorgung aller gegen das Diktat der
ökonomischen Wertschöpfung insgesamt zu revolutionären
Kampfwerten. Diese hatten weder etwas mit »bäuerlichen
Mentalitäten« zu tun noch mit biologischen Eigenschaften
eines »natürlichen Rohstoffs«. Denn ihr oft als
»primitiver Bauernkommunismus« denunzierter
Basiskommunismus war nicht primitiv. Seine Formen und Autonomien
kollektiver Gegenmacht hatte er in der jahrhundertelangen
Auseinandersetzung gegen Herrschaft und Auspressung entwickelt,
modernisiert und durch neue Formen der Mobilität
vergesellschaftet. Er war auch entgegen der marxistischen Propaganda
nicht kleinbürgerlich, denn er verwirklichte sich in den
kollektiven Aneignungsformen der revolutionären Dorfkommunen
oder Basisgemeinden, wie man will, ja er machte auf dem Höhepunkt
der Revolution das gerade durch die herrschende Agrarpoltik gebildete
Privateigentum wieder rückgängig. Schlie?lich war er auch
nicht einmal mehr »feudal« oder »antifeudal«,
er war so modern wie sein Gegner. Sein Haß, der Haß von
70-80% der Bevölkerung, richtete sich präzise gegen das
jeweilige Managment und die Formen ausbeutender Gewalt.
Zunächst
gegen den Feudaladel, dann gegen die Pächter und Pioniere der
Fabrikausbeutung. Im letzten Stadium radikalisierte er sich in der
Auseinandersetzung mit der staatsmonopolistischen Verschärfung
der Gewalt vor und im ersten Weltkrieg und das heißt vor allem
gegen die progressistische städtische Intelligenz und die
Agenturen ihres staatlichen Monopolismus, egal ob links oder
rechts.Wir haben diese Entwicklung in einem ersten Entwurf zur
russischen Revolution im Materialienband 4 beschrieben und auch die
politisch-ökonomische Reaktion umrissen, mit der dieser
übergreifende revolutionäre Prozeß zum Ende des
Kriegs zerlegt und eingedämmt wurde. Von besonderer Wichtigkeit
für unser Thema ist die Rückzugslinie des
nationalstaatlichen Monopolismus, in dessen Grenzziehungen die
Transnationalität der Revolution eingehegt und parzelliert
wurde.
Sie war kombiniert mit den hinhaltenden Zugeständnissen
von Landreformen, die die Formen der revolutionären Aneignung
durch den Kollektivismus der Basisgemeinden einer
staatsmonopolistischen Regelung unterwerfen und damit langfristig dem
Diktat der Wertschöpfung wieder zugänglich machen sollten.
In diesen Rückzugsstrategien trafen sich die bürgerlichen
Architekten des nationalstaatlichen Systems von Versailles mit der
rechtsbolschewistischen Reaktion, wie Rosa Luxemburg es noch aus dem
Gefängnis in Breslau kritisiert hat.
Damit war das
transnationale Kontinuum des revolutionären Prozesses zwar
zerschnitten, seine Front verlief gleichwohl weiter durch alle Länder
an einer einzigen sehr präzisen Linie. Für die Kommissare
des bolschewistischen Raubmonopols blieb das russische Dorf ein
gefährliches Terrain, vielfach eine regelrechte no-go-area. Und
für das sogenannte »Jugoslawien« schrieb Tomasevich
plastisch: »Der Staat war keine Institution, den die Bauern -
und das heißt die überwältigende Mehrheit der
Bevölkerung - als ihre eigene betrachteten, er blieb für
sie eine fremde, gefürchtete, oft geha?te Organisation. Der Haß,
den die Bauern über Jahrhunderte gegen die Feudalaristokratie
gehegt hatten, wurde jetzt auf die Staatsbürokratie und die
Repräsentanten der neuen sozioökonomischen Ordnung aus der
Stadt übertragen.«
Diese Beschreibung kennzeichnete
nicht spezifisch jugoslawische Verhältnisse. Sie zeichnete die
soziale Front, die sich von Litauen über Polen und Rußland
bis Mazedonien durch alle »Länder« hindurch in der
Auseinandersetzung von revolutionärem Proze? und etatisiertem
Raubmonopol zog und die sich in alle drei Kontinente globalisieren
sollte.
Der revolutionäre Prozeß hatte seinen
dynamischen Kern im russischen Bauernaufstand, der schon im Sommer
1917 die alte Ordnung hinweggefegt hatte, bevor sich die
bolschewistische Machtergreifung im Oktober die vollendete Tatsache
zunutze machen konnte. Er verlängerte seine Dynamik im Verlauf
des Jahres 1918 in den Balkan, wobei auch hier eine Bauernguerilla
die dörflichen Aneignungsformen flankierte, teils als »grüne
Garden« (vor allem in Kroatien und Slawonien), teils als
Deserteursverbände aus den Wäldern in einer Gesamtstärke
von mehreren Hunderttausend allein in den südslawischen
Teritorien, deren Erfahrungen die Bildung der Partisanenverbände
des zweiten Weltkriegs vorwegnahmen und begünstigten. Auch hier
zielte seine Bewegung auf einen Kommnunismus von unten, der wie in
der russischen Dorfgemeinschaft («mir«) die Elemente
kommunitärer Gegenmacht aus der südslawischen
Familiengemeinschaft, der »Zadruga«, zu Formen
kollektiver Aneignung radikalisierte. Dasselbe gilt für die
familiäre Feldgemeinschaft der Kmetschina in Bosnien und der
Herzegowina und das an der Küste vorherrschende Kolonat. Ähnlich
wie die Bolschewiki in der Agrargesetzgebung von 1918 versuchte die
südslawische Exekutive im Gleichschritt mit den übrigen
Regierungen des Agrargürtels, den Flächenbrand der
kommunitären Bewegungen in Landreformen aufzufangen und ihren
Kollektivismus durch Eigentums- und Erwerbsgarantien zu parzellieren
und zu verrechtlichen, in der vagen Hoffnung, ihn langfristig in den
Abschottungen der neuen Nationalordnung von Versailles
aufzureiben.
Dies waren zunächst reine Rückzugslinien,
und sie wurden in Jugoslawien und den anderen Teilen des Balkans in
zum Teil wilder Panik arrangiert (etwas anders als in Polen, wo die
nationalistische Kriegsstrategie der Bolschewiki im Polenfeldzug
mithalf, den Kommunismus von unten von vorneherein stärker
einzudämmen). Sie leiteten die Latenzphase einer
politisch-ökonomischen Konfliktualität ein, die sozial und
ökonomisch in allen Ländern an der schon beschriebenen
Front ständig explosiver wurde. Die Feindseligkeit den
nationalen und intellektuellen Eliten gegenüber (auch aus den
Bauernparteien) nahm zu, lediglich hingehalten durch populistische
Erscheinungen wie die der aus der Narodnikitradition stammenden
Brüder Radic in Jugoslawien, Stamboliski in Bulgarien oder Witos
in Polen. Faschistische Initiativen blieben eine Sache rechter
Intelligenz und Kleinbürgerschichten der rechten Intelligenz und
vermochten in der Subsistenz kaum Fuß zu fassen - entgegen
einer manchmal geäußerten Auffassung auch in Polen nicht,
sehr zu Leidwesen der nationalsozialistischen Beobachter - mit
Ausnahme der rumänischen Eisernen Garde in der ersten Phase
ihrer christlich-chiliastischen Propaganda. Die kommunistische
Intelligenz stieß wegen ihrer Gegnerschaft gegen die
herrschende Ausbeutungsordnung auch in Jugoslawien auf eine gewisse
Sympathie, die durch die Nachrichten über die stalinistische
Zwangskollektivierung beeinträchtigt wurde, fand jedoch über
das schmale Segment einer unbedeutenden Arbeiterklasse hinaus nie
eine breite Basis.
Das wirkliche Problem der linken wie rechten
nationalen Ausbeutungseliten blieb die Gegenmacht der moralischen
Ökonomie auf dem Land, die über die Binnenmigration bis in
das »Niemandsland« (wie es ein zeitgenössischer
Bericht ausdrückte) der städtischen Armenviertel
hineinreichte. Ihre Ausdruckformen hatten sich auch unter dem Regime
des etatistischen Monopolismus von Versailles nur wenig verändert.
Sie kontrollierte die am Familieneinkommen orientierte Verausgabung
von Arbeit. Die wütenden Berechnungen unzugänglicher und
nicht beherrschbarer Arbeitsreserven waren das Dauerlamento
ohnmächtiger Entwicklungsagenturen unter den ominösen
Stichwörtern der »verdeckten Arbeitslosigkeit« und
»Überbevölkerung«. Gerade in den ersten Jahren
hatten die nationalen Monopolstrukturen in der Furcht vor der
Revolution große Schwierigkeiten damit, Agrarprodukte aus den
familiären Konsumzusammenhängen auf den Markt zu pressen,
um mit Hungerexporten Devisen zu erwirtschaften. Nachdem der
Hungerzwang infolge der Revolution versage, klagte Baumberger in
zynischem Mißmut, esse sich der Bauer satt und arbeite nur noch
soviel, als hierzu notwendig sei . Besonders in Jugoslawien war der
Rückgang der Marktbelieferung zeitweise dramatisch .
Der
Zugriff war weder über eine zum Teil blutig operierende
Steuerpolizei noch über gesetzliche Einrichtung von Mühlen-,
Silo- und Vermarktungsmonopolen (an deren später unter
nationalsozialistischer Orientierung betriebenen Experimente Tito in
den 5oer Jahren wieder anknüpfen sollte) noch über die
Kreditschraube neuer Agrarbanken so erfolgreich, da? er zu einem
grundsätzlichen Durchbruch führte. Die Monopole wurden
mühelos durch die undurchdringlichen und unkontrollierbaren
regionalen Strukturen unterlaufen und die repressiven Maßnahmen
nahmen aus Furcht vor der Revolution die Formen eines durchaus
blutigen Dauerkriegs an, dessen Intensität ständig am Pegel
der Unruhen ausgerichtet und moderiert wurde.
Verhaftungen,
Verprügelungen und Tod infolge Fluchtverdachts waren in
Jugoslawien alltägliche Erscheinungen (eher vorsichtige
Schätzungen berichten in diesem Zusammenhang über einen
Blutzoll von 60 Hinrichtungen, 200 Toten durch Polizeiterror und
Inhaftierungen, 20.000 Gefangenen durch Sondergerichte, die die
staatsmonopolistische Kriegsführung allein während der
kurzen Regierung Alexanders kostete ). Sogar viele technische
Momente, die die entwicklungsorientierte Linke in ihrem
Sozialrassismus den primitiven und rückständigen
Mentalitäten zurechnet, wie etwa die Rückständigkeit
des Arbeitsgeräts und der Saatgutversorgung (Holzpflüge
etc.), erweisen sich bei näherem Hinsehen als strategische
Momente des Konflikts. Die Familien haben nicht nur die extrem hohen
Zinsen kalkuliert, sondern den damit einhergehenden sozialen Zugriff
auf Arbeit und soziale Kohärenz in ihren Versorgungsaspekten zu
blockieren versucht. Ihre hohe Elastizität erwies die moralische
Ökonomie besonders angesichts der Weltwirtschaftskrise. Bei
allem Elend vermochte sie noch die aus den Städten
zurückflutenden ArbeiterbäuerInnen in ihre
Versorgungsstrukturen aufzunehmen und die sozialbereinigende
Krisenfunktion des kapitalistischen Zyklus zu unterlaufen. Es gab
keine Arbeitslosigkeit auf dem Land .
Anlaß für die
Eskalation des Rassismus gerade in der deutschen Metropole, wie er
von Susanne Heim und Götz Aly in seinen späteren
Ausprägungen analysiert wurde: »Das Dorf wächst wie
ein Polypenstock; die Menschen verlieren allmählich all jene
imponderabilen Eigenschaften, die den eigentlichen soziologischen und
eugenetischen Wert einer Bauernbevölkerung ausmachen,
degenerieren körperlich und seelisch zum Typus des mickrigen
Menschen« .
Es war diese moralische Ökonomie, ihr
»Esserismus«, ihr »parasitäres
Pro-Esser-System«, die in der sozialen Gegenmacht ihrer
ökonomischen Versorgungstrukturen zuerst von der stalinistischen
Zwangskollektivierung angegriffen wurde und ein halbes Jahrzehnt
später als »überflüssiger Esser« von der
jugoslawischen Agrarpolitik, die sich in dieser Zielrichtung an den
informellen Imperialismus des Neuen Plans von 1934 und dann des
Vierjahresplans von 1936 anschlossen . Die jugoslawischen
Bauernunruhen der letzten Jahre vor dem deutschen Überfall im
Frühjahr 1941 konfrontierten sich mit dieser Eskalation. Als
dann die deutsche imperialistische Kriegsökonomie den Zugriff
intensivierte, war sie überraschend schnell und breit mit einer
autonom aufflammenden revolutionären Bauernguerilla
konfrontiert. Diese schöpfte ihre Kraft nicht etwa nur aus einer
nationalen Orientierung gegen den äu?eren Aggressor (der Rahmen
jugoslawischer Staatlichkeit zerfiel, als hätte es ihn nie
gegeben). Es war die soziale Kohärenz ihrer
moralisch-ökonomischen Strukturen, die sie gegen die Raub- und
Vernichtungspolitik eines sozialen Aggressors mobilisierte. Es war
keine nationale Erhebung, es war eine soziale Erhebung, die sich auch
gegen die jugoslawischen Eliten richtete. Sicher, von BosnierInnen,
SerbInnen, KroatInnen, aber diese Einfärbungen waren schon immer
zum Tragen gekommen, wenn der soziale Feind zugleich der äu?ere
Feind gewesen war.
An ihrer Entstehung hatte die kommunistische
Partei keinen Anteil. Ihr kurz nach Einmarsch der deutschen Truppen
gebildetes Miltärkommitee unter Tito war zunächst ohne
Einflu?. Es spielte dabei sicher eine Rolle, da? die bis Mitte der
30er Jahre zahlenmäßig starke Partei 1937 von Tito und als
langjährigem Berufsagent im Auftrag der Komintern von
»Trotzkisten« und luxemburgistischen oder sonstwie
bauernfreundlichen Linkssektierern gesäubert und in ihrem
sozialen Einfluß geschwächt worden war. Wenn es Tito
gelang, sich durch sein organisatorisches Talent und
Führungsqualitäten und vor allem auch wegen seiner
logistisch wichtigen Beziehungen zur UdSSR und kommunistischen
Bruderparteien an die Spitze der Partisanenverbände zu setzen,
so bedeutete dies nicht unbedingt eine Stärkung der KPJ. Eher im
Gegenteil. KämpferInnen der bäuerlichen PartisanInnen
begannen, von unten in die organisatorischen Kaderstrukturen
aufzurücken und sie mit ihren basiskommunistischen Vorstellungen
zu infiltrieren. Sie blieben auch in Zukunft weitgehend den sozialen
Strukturen und der sozialen Basis verbunden, aus der sie kamen. Eine
Wiederholung der unter Trotzki im russischen Kriegskommunismus
eingeleiteten Initiative, über den Krieg eine stabile
Kaderorganisation gegen Guerilla und BäuerInnen zu schmieden,
hatte hier keine Chance. Die Militärpolitik sollte noch längere
Zeit brauchen, um aus der Armee ein stabiles Instrument der
Staatsmacht zu machen. Das führte dazu, daß die noch immer
stalinistische Organisation im anwachsenden Parteiapparat sich als
abgespaltener Kern im Hintergrund hielt und der Volksheld Tito mehr
nolens als volens die Funktion einer populistischen Brücke
übernehmen mußte.
Dies war Stalin klar, als er 1948 am
Konflikt mit Tito über die Kominform den Trennungsstrich des
Kalten Kriegs an der Grenze zu Jugoslawien zog. Weder der Kern der
jugoslawischen KP noch Tito waren zunächst Abweichler. Ihre
Landreformen, die ebenso wie 1919 die dörfliche Massenarmut
hinhalten sollten, noch die gleichzeitige gegen die Überbleibsel
peasantistischer Organisationen gerichtete Säuberungspolitik
fiel aus dem Rahmen der Volkrepubliken heraus. Die strategische
Zielorientierung der Agrarkollektivierung bewegte sich anfangs
durchaus in der Spitze ihres Spektrums (die öffentliche Rhetorik
widersprach den Plänen und gab der Sorge über die
Unberechenbarkeit des Widerstands Ausdruck), sie war radikaler als
die des polnischen und sogar als die des bulgarischen Regimes. Als
die Kominform nach Schdanows Anklage im Juni 1948 den Bann gegen Tito
wegen trotzkistischer Abweichung und was sonst noch richtete, da
waren viele der vorgetragenen Gründe lächerlich, bis auf
einen: Tito hatte ein unerhörtes ideologisches Sakrileg begangen
und in einer Rede die Bauern als das festeste Fundament des
jugoslawischen Staates bezeichnet. Selbst das wäre in Anbetracht
von Titos Verdiensten und Fähigkeiten eine läßliche
Sünde und lediglich eines Rüffels wert gewesen. Das
Schlimme daran war, daß es stimmte.
Die Gründung der
Kominform im Spätsommer 1947 war eine Antwort auf den
Marshallplan. Sie war keine defensive und auch keine lediglich
politische, sondern auch eine ökonomische Antwort. Die Grenze
des Kalten Kriegs sicherte den territorialen Zugriff für die
Verlängerung einer Politik der sozialen Zertrümmerung der
»esseristischen« Dorfstrukturen im Wege der
Zwangskollektivierung in die Volksrepubliken, die als Strategie der
»sozialistischen Akkumulation« neue agrarische Werte und
Arbeitsreserven mobilisieren sollte. Der Koreakrieg hatte in der
Verschärfung dieser Politik im Ostblock etwa dieselbe Funktion
wie in der Verschärfung des US-Imperialismus. Dies war in
Jugoslawien nicht durchsetzbar.
Bezeichnend ist die Klage des
kroatische Premier Dr. Bakaric im Herbst 1949, es gäbe keine
Probleme in der Getreideproduktion, nur die Zwangsabgaben wären
nicht durchsetzbar. Hierbei erfüllten sogar die
Arbeitskooperativen ihre Pflicht nicht. Außerdem gäbe es
Mi?brauch bei den örtlichen Parteimitgliedern. Sie weigerten
sich oft, den armen Bauern das Getreide abzunehmen und hielten sich
an die reichen, indem sie ihnen manchmal mehr als die ganze Ernte
wegnahmen ). In der Tat standen in Jugoslawien keine Machtmittel zur
Verfügung, um das ganze Spektrum der Gegenmacht zu brechen. Denn
es war nicht, wie in anderen Republiken, auf das Dorf und
ArbeiterbäuerInnen beschränkt, sondern es hielt die Armee,
die Partei, die lokale und regionale Administration bis in die
höheren Ränge besetzt. Au?erdem war die Rote Armee weit
weg. Auch in Polen etwa war die Kollektivierung nur unter ihrem
Schutz in Angriff zu nehmen . Ein Einmarsch in Jugoslawien aber gegen
das Volk und eine der besten Partisanenarmeen der Welt, der
möglichweise den Flächenbrand gegen den Stalinismus in ganz
Osteuropa und sogar Russland neu entfacht hätte, kam nicht
infrage. Das Beispiel der jugoslawischen Verhältnisse erwies
sich ohnehin als gefährlich genug. So wurde die Kominformattacke
auf Tito von polnischen Bauern mit der Schlachtung von Vieh (ein
traditionelles Kampfmittel) beantwortet und die polnische KP klagte,
daß eine ziemliche Anzahl von lokalen KP-Funktionären von
Bauern getötet worden sei .
Der Bann gegen Tito war das
Signal für eine neue Etappe in der Verbindung des kalten Kriegs
nach außen mit der Intensivierung des sozialen Kriegs nach
innen. Es ging nicht um die Person Tito, sondern um die soziale
Macht, für die er nur eine mehr oder weniger unschuldige
Gallionsfigur war. Es wird vermutet, daß Stalin möglicherweise
auf eine Erhebung der traditionell russenfreundlichen serbischen
Bevölkerung gegen Tito hoffte.
Ich halte es für
unsinnig, ihm als einen der erfahrensten Kenner bäuerlicher
Gegenmacht eine derartige Fehleinschätzung anzulasten. Die
Abgrenzung von Tito war ein Teil einer grundsätzlichen und
langfristigen Orientierung von globaler Bedeutung und mü?te im
Hinblick auf die zukünftige Politik gegenüber den
basiskommunistischen Kräften »nationaler«
Befreiungsbewegungen noch einmal genauer untersucht werden. Sie war
das Pendant und Signal zur »inneren« Säuberungswelle
in den Volksrepubliken, der Sprachrohre der bäuerlichen
Unterklassen wie etwa Gomulka zum Opfer fielen, aber auch weniger
artikulierte Abweichler wie Patrascanu in Rumänien, Kostov in
Bulgarien und Koci Xoxe in Albanien.
Dies gab den Plänen zur
Durchführung der erzwungener Kollektivierung in Jugoslawien
praktisch den Todesstoß. Wenn sie auch anfänglich im
Verbund mit anderen Volksrepubliken auch gegen die sich abzeichnenden
großen inneren Widerstände in Jugoslawien anvisiert worden
sein mochte, nach 1948 hatte sie isoliert letztlich keine Chance
mehr. Tito lie? diese Erkenntnis schon zwei Monate nach der
Kominformattacke in der Erklärung anklingen, Jugoslawien hätte
genug aus den Ereignissen in Ru?land gelernt, um in der
augenblicklichen Situation die Landwirtschaft nationalisieren und
kollektivieren zu wollen, das würde die Bauern nur verwirren.
Trotzdem wurden noch bis 1951 die schon eingeleiteten
Kollektivierungsinitiativen weiterverfolgt, denn die Endgültigkeit
der Ausgrenzung mochte noch nicht sicher sein, die jugoslawischen
Stalinisten wollten den Anschluß nicht verlieren und
kalkulierten zudem darauf, noch möglichst viel Terrain zu
gewinnen. Unter dem Eindruck des wachsenden Widerstands besonders in
Kroatien und Mazedonien wurden sie jedoch 1951 abrupt abgebrochen.
Auf dem Hintergrund der zum Teil kollektivierungsbedingten Mi?ernte
von 1950 wuchs nicht nur die in der Einschränkung der
Belieferung und in den Unruhen zum Ausdruck gelangende Radikalität
und Militanz, diese drohten auch, das in sich widersprüchliche
Gewebe der politisch-ökonomischen Struktur zu zerreißen,
mit unabsehbaren Folgen.
Zwangsablieferungen von Fleisch, Milch
und Tierfutter wurden abgeschafft, lediglich die von Getreide wurde
zunächst beibehalten und erst im Juni 1952 abgeschafft. Die
Zwangsma?nahmen zum Beitritt in die sogenannten Bäuerlichen
Arbeitsgenossenschaften, die Zugriff auf Arbeitsleistung und
-organisation und eine überproportionale Wertabschöpfung
zugunsten der Industrie eröffnen sollten, wurden fallengelassen
mit dem Erfolg, da? sie binnen Monaten verwaisten. Das durch die
Maßnahmen jedoch wiederaufgelebte Mißtrauen, die
Ablehnung der Parteieliten und das Aufbrechen der alten Frontlinien
waren bei aller guter Erinnerung an die Kriegserfahrungen allerdings
nicht mehr rückgängig zu machen. Dazu war auch kein Anlaß.
Denn der taktische Rückzug leitete nur einen taktischen
Grabenkrieg ein, der unter verschiedenen Deckmäntelchen
versuchte, die alte Politik fortzusetzen, mit Mitteln, die den Bauern
zumeist schon aus der Vorkriegszeit geläufig waren.
Ich kann
an dieser Stelle nicht auf die verschiedenen zum Teil mit
beträchtlicher Raffinesse eingesetzten Angriffs- und
Ausbeutungsstrategien eingehen, sie sind gut bei Robert Miller
nachzulesen (der einen etwas besseren, offenbar von Teodor Shanin
inspirierten Einblick in die Grundsätzlichkeit des
sozial-ökonomischen Antagonismus erkennen läßt) aber
auch bei Loncarevic, Allcock oder Wädekin . Zu ihren wichtigsten
Momenten gehört ein regelrechtes Zweiklassenwahlrecht (in der
zweiten Produzentenkammer waren die Städter fünf mal so
stark repräsentiert wie die Landbewohner); die zum Teil
drastische Ökonomische Überausbeutung über eine
administrativ fixierte Preisschere zwischen Agrar- und ländlichen
Investitionsgütern (Dünger, Saatgut, Maschinen), aber auch
Konsumgütern (auch und gezielt zugunsten der im Verhältnis
oft drastisch überkapitalisierten und parasitär-kostspieligen
»sozialistischen« Agrarbetriebe); die Belastung der
BäuerInnen (im Gegensatz zu den StädterInnen) mit dem
Stra?enbau, der Einrichtung von Stromversorgung, Schulen,
Erste-Hilfe-Stationen (praktisch eine Wiederauflage der alten
Fronverpflichtungen) die Unterwerfung unter die verschiedensten
Formen von staatlichen und halbstaatlichen Monopolen (zu deren
Instrumentarium ab 1955 auch die Allgemeinen Landwirtschaftlichen
Genossenschaften mit ihren Vertriebs- und Absatzmonopolen und
Aufgaben lokaler Administration und Kreditvermittlung zählten);
der Ausschluß von der Teilhabe an der öffentlichen
kostenlosen Gesundheits-, Alters- und Invaliditätsversorgung
oder die Belastung mit extrem hohen Beitragsleistungen; die höhere
Steuerlast. Insgesamt (und damit ist noch nicht gesagt, wieweit diese
Differenzen überhaupt in die Statistiken eingingen) lag das
Einkommen nicht landwirtschaftlich Erwerbstätiger durchgängig
um 50% höher als das der landwirtschaftlich Erwerbstätigen
und auch dies war im »sozialistischen« Sektor weit höher
als bei den BäuerInnen.
Das Mittel zur Mobilisierung dieses
gewaltigen Werttransfers, der dem der Vorkriegszeit mit Sicherheit
nicht nachsteht, waren verschiedene Spaltungslinien, die taktisch
eingesetzt, genutzt, vertieft wurden. Dazu gehört in erster
Linie die Spaltung zwischen etablierten und qualifizierten
ArbeiterInnen und BäuerInnen bzw. dem mobilen Moment der
ArbeiterbäuerInnen, die aus den letzteren praktisch
»Staatsbürger zweiter Klasse« (Miller) machte. Ihr
Management wurde zur Verschleierung und zur Reduzierung der
politischen Konfliktualität dezentralisiert, lokalisiert und in
die Organe der sogenannten Selbstverwaltung und Formen der
Mitbestimmung hineinverlagert (in der Bauern nichts und die
administrative und Arbeiterelite das meiste zu sagen hatten).
Diese
Selbstverwaltung hatte auch gro?en Anteil an der allmählichen
Befreiung der Partei und Bürokratie vom Einfluß
bäuerlicher Gegenmacht, die der Partisanenkrieg mit sich
gebracht hatte. Sie wurde flankiert durch eine entsprechende
Militärpolitik. Genutzt und vertieft wurden auch regionale und
ethnische Differenzen, die darin eine neue sozial-ökonomische
Bedeutung erhielten. Eine besondere Bedeutung hat die Feminisierung
der Armut und der Landwirtschaft. Die Anzahl der ArbeiterbäuerInnen,
die zum Familieneinkommen in den Städten und großen
Agrobetrieben beitragen mußten, nahm zu, die Vernachlässigung
und Verelendung der Dörfer sorgte für eine Abwanderung der
Jungen mit der Folge einer starken Überalterung.
All dies hat
die moralische Ökonomie einem Dauerstre? ausgesetzt, sie
transformiert, sie aber nicht beseitigt. Sie hat eine grundsätzliche
Einbindung auch der Arbeiterklasse in die Verantwortung für die
Mehrwertrate und die Regeln der Akkumulation, wie sie hierzulande
seit hundert Jahren durchgesetzt ist, kaum aufkommen lassen. Dies
belegt die Ungezügeltheit der Streikbewegungen ebenso wie der
Druck der am Familieneinkommen orientierten Einkommenserwartungen und
-forderungen, der die Herren des Mitbestimmungsarrangements immer
wieder in die Defensive brachte und ihren Rahmen in den großen
Streikbewegungen der letzten Jahre auf der einen und die Flucht in
eine heillose Geld- und Kreditinflation auf der anderen Seite völlig
gesprengt hat. Dies belegt aber auch die Elastizität der
bäuerlichen Familienökonomie, die gegen den
kapitalistischen Gebrauch der Krise im industriellen Sektor alte
Existenz- und Versorgungsgarantien wiederbelebt, man kann fast sagen
aktualisiert hat und für einen sozialen Machtzuwachs der Frauen
gesorgt hat.
Es sind die sozialen Strukturen und Werte dieser
moralisch-ökonomischen Gegenmacht und die mit ihnen verbundenen
Blockierungen nationaler und transnationaler Wertschöpfung, auf
deren Zertrümmerung dieser Krieg abzielt. Er stellt darin nur
eine Facette des Spektrums von sozialem Krieg in Osteuropa dar, wie
wir ihn schon in Band 4 der Materialien analysiert haben. Die
Paradoxie liegt darin, daß ein fast sozialtechnischer Einsatz
bewaffneter Interventionen an ethnischen Konfliktlinien von oben
erstmals in der Geschichte Jugoslawiens in der Lage war, auch
orientierend auf das gewaltige Potential der Militanz von unten zu
wirken und darin zugleich die Männermacht wiederherzustellen. Im
Einzelnen veweise ich dazu auf die weiteren Ausführungen dieses
Bandes. Mir ging es an dieser Stelle nur darum, aus der
geschichtlichen Bewegung des sozial-ökonomischen Antagonismus
bestimmte Facetten des Kriegs zu beleuchten und leichter erklärbar
zu machen.
J. Gaisbacher u.a. (Hg.), Krieg in Europa, Analysen
aus dem ehemaligen Jugoslawien, Graz 1992, S.72, Fn. 7
David
Mirany, The Effect od the War in Southeastern Europe, New Haven 1936
S.32
Soziale Revolution und das Kommando der Akkumulation. Zur
Aktualität der russischen Revolution in: Das Ende des
sowjetischen Entwicklungsmodells, Materialen für einen neuen
Antiimperialismus Nr. 4, S.9. hier: S.58-73;
A. Mayer, Political
Origins of the New Diplomacy, 1917-1918. New Haven 1959. Die
Renationalisierung der realsozialistischen Reaktion in der
Auseinandersetzung mit den den transnationalen Charakteristika der
revolutionären Bewegung ist bisher kaum thematisiert. Nur ihre
Einzelaspekte im Umbau der militärischen Struktur, der
Hegemonisierung des sozialistischen Internationalismus etc. sind
abgehandelt. Ihr drastischster Ausdruck war die nationalistische
Strategie im russisch-polnischen Krieg von 1920, die mehr als alles
andere zur Eindämmung des revolutionären Prozesses in Polen
beigetragen hat.
J. Tomasevich, Peasants, Politics and Economic
Change in Yugoslavia, Stanford S.144
Für einen guten
Überblick vgl. M. Sering Hg. Die agrarischen Umwälzungen im
außerrussischen Osteuropa, Berlin 1930
Baumberger-Deimling,
Die agrarische Umwälzung in Großrumänien, in M.
Sering a.a.O., S.341, 388; Vgl auch Mitrany, Marx against the
Peasant, London 1951, S.126 f.
vgl. Zahlen bei L. Fritscher,
Agrarverfassung und agrarische Umwälzung in Jugoslawien, in
Sering a.a.O. S. 277 hier: 332 ff.
vgl. Hugh Seton-Watson,
Osteuropa zwischen den Kriegen 1918-1941, Paderborn 1948, S.154 f.
S.18o f. S.264 f.; vgl. auch Tomasevich a.a.O
S.496; D. Tomasic,
The Struggle for Power in Jugoslawia, Journal of Central European
Affairs 1941, S.148, S.154
Vgl z.B. W. Woytinsky, Les Consequences
de la Crise, Genf 1936, S.224 ff.
S. Heim, G. Aly, Vordenker der
Vernichtung, Hamburg 1991
A.H. Hollmann, Agrarverfassung und
Landwirtschaft Jugoslawiens, Berichte über Landwirtschaft, N.F.,
Sonderheft 3o, S.67, hier S.68
R.W. Davies, The Socialist
Offensive, The Collectivization of Soviet Agriculture, London 198o,
2. Kapitel und derselbe, The Soviet Collective Farm, London 198o, 6.
Kapitel.
Vgl. D. Hartmann, Völkermord gegen soziale
Revolution, Autonomie NF 14, S.217, hier: S.241, 3. Auflage Berlin
1987
London Times, 22.1o.49
Der Chefideologe der Ungarischen KP
erklärte 1949, daß die Kommunisten einen Bürgerkrieg
nur dank der Präsenz der »Roten Armee" vermeiden
könnten, London Times, 7.5.49
Bericht in London Times
25.1.49
R.F. Miller, Alte und neue Formen der Kooperation für
Jugoslawiens Bauern, Osteuropa 6/1980, S.51o; derselbe,
Sozialistische Theorie und sozialer Wandel in Jugoslawiens
Landwirtschaft, Osteuropa 10, 198o; I. Loncarevic, Die Kooperation
zwischen den privaten Landwirtschaftsbetrieben und den
gesellschaftlichen Wirtschaftsorganisationen in der Landwirtschaft
Jugoslawiens, Berlin 1974;
K.-E. Wädekin, Sozialistische
Agrarpolitik in Osteuropa, Berlin 1974;
J.B. Allcock, Die
»sozialistische Transformation des Dorfs«, Osteuropa 2,
1945.
<- Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen Umbruchs |
Zur
Kampfsituation 1987 ->
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil IIII -
Zur Kampfsituation 1987
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus
und Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
Zur Kampfsituation 1987
Im März 1987 fragt die »Zeit«:
»Revolution - nur in welche Richtung?« Damit bringt sie
ihre Wahrnehmung über die zugespitzte soziale Konfrontation in
Jugoslawien zu jenem Zeitpunkt auf den Punkt. In der Unterzeile heißt
es etwas bescheidener: »Lohnstopp und Preiserhöhungen
treiben die Arbeiter zu verbitterten Protesten. »Tatsächlich
war damals das soziale Thema vorrangig und nicht das nationale1.
Wenn
es so war, schließt die zentrale Frage für das gesamte
Geschehen in Jugoslawien an: Wie konnte es geschehen, daß die
soziale Radikalisierung der Jahre 1982 bis 1987 von 1988 an in eine
nationale überführt worden ist? Wie konnte das
Ordnungsmodell des Völkischen (des religiösen, kulturellen
und sprachlichen) so mächtig werden, daß es den sozial
solidarischen Kampf der Menschen zu Fall brachte? Oder: Wie haben
sich die Herrschenden des Völkischen (Ethnischen) bedient, um
den Aufeinanderprall von ökonomischen Interessen und
existenziellen Lebensbedingungen zu regulieren? Von welchen
Voraussetzungen hängt es ab, welche Kampfperspektive sich
durchsetzt? Müssen wir davon ausgehen, daß die Schwäche
der sozialrevolutionären Intelligenz in Jugoslawien und in
Europa diesen Vernichtungskrieg erst ermöglicht hat?
Hätte
eine sozialrevolutionär wirksame Kraft, Perspektive, Bewegung
den Geschichtsverlauf ändern können?
1987 war das Jahr,
in dem sich die Unmöglichkeit herausstellte, den dortigen
Sozialismus ohne Gewalt gegen die Bevölkerung zu deregulieren.
Allerdings wurde im Mai 1987 noch der Einsatz der Bundesarmee gegen
die sozialen Bewegungen diskutiert, ab Dezember wurden mit der
Machtübernahme von Milosevic die Weichen anders gestellt - auf
Krieg zwischen den Teilrepubliken. Vermutlich ist der Machtwechsel
schon damals mit der Übernahme der
deutsch-kroatisch-slowenischen Aufteilungsperspektive durch eine
Fraktion der serbischen Parteiführung verbunden, die den
sozialen Krieg in den nationalen überleiten sollte. Daß
der Unregierbarkeit mit einem neuen Ordnungsmodell begegnet werden
sollte, ist offensichtlich. Indikator der historischen Zäsur ist
das Steckenbleiben der IWF-Auflagen und Pläne im offenen
Klassenkampf.
Im Frühjahr 87 kommt es in ganz Jugoslawien zu
hunderten von Streiks mit dem Schwerpunkt in Kroatien (NZZ 19.3.87).
Die Streikwelle war Höhepunkt einer jahrelangen Radikalisierung
und in diesem Moment Antwort auf einen Parlamentsbeschluß, die
Löhne auf dem Stand des vierten Quartals von 1986 einzufrieren.
Gleichzeitig waren die Preise für Fleisch, Zucker und andere
Grundnahrungsmittel erheblich erhöht worden. Die Inflationsrate
von über 100 Prozent im Jahr 1986 sollte eingedämmt werden,
die Lohnerhöhungen unmittelbar an Produktivitätssteigerungen
gebunden und unrentable Betriebe stillgelegt werden. Das hätte
Massenentlassungen bedeutet, um die betrieblichen Kosten zu senken,
das Lohnniveau weiter zu senken, die Arbeitsnormen zu erhöhen
und die sozialen Leistungen einzuschränken. Ziel war es, einen
neuen privaten Sektor aufzubauen, der von einem Armutsreservoir
billigster Arbeitskräfte umgeben sein würde. Ab Mitte des
Jahres sollten Verlustbetriebe konsequent geschlossen werden (FR
8.4.87). Im Juli heißt es, daß ab September 7000 Betriebe
geschlossen werden sollten, weil diese in den ersten drei Monaten 2,5
Milliarden Mark Verluste gemacht hätten. Diese
Betriebsschließungen würden dann die Entlassung von 1,6
Millionen Menschen bedeuten (FR, 13.7.87, Spiegel, 27.7.93). Also die
offene Kriegserklärung an die Bevölkerung über alles
bisherige hinaus. War hier nicht schon klar, daß der
Antagonismus von ökonomischen Herrschaftszielen und
existenziellen Interessen der Massen in eine gewalttätig blutige
Entscheidungsschlacht münden konnte? Die »große
Angst« war jedenfalls schon damals in den Gesprächen mit
JugoslawInnen spürbar.
»Die soziale Abstammung der
Streikenden ändert sich zusehends. Auf den Plan treten jetzt
immer öfter Bau-, Metall- und BergbauarbeiterInnen, die in
großen Industriebetrieben beschäftigt sind. Ihre Streiks
dauern nicht nur länger, sondern sie verbreiten auch eine
klassenkämpferische Atmosphäre. Dazu kommt, daß von 6
Millionen ArbeiterInnen in Jugoslawien täglich über 700.000
unentschuldigt nicht zur Arbeit erscheinen. Das sind mehr als 10
Prozent. Weitere 400,000 verbringen täglich mit Sitzungen
außerhalb des Hauses oder der Produktionsstätte ihren
Arbeitstag« (Stuttgarter Zeitung, 23.5.87).
Als Ergebnis der
Streikwelle im März muß das Parlament die Beschlüsse
wieder revidieren. Der Lohnstop wird wieder aufgehoben bzw. nach
Branchen differenziert, die Preiserhöhungen müssen wieder
zurückgenommen werden. In der internationalen Presse werden die
Zugeständnisse als Teil einer Unregierbarkeit gehandelt (FAZ, SZ
23.3.87; NZZ 26.3.87).
In dieser Situation wird der Einsatz von
Militär gegen die verschiedenen Bewegungen diskutiert. Die
Konfrontation wird in den offiziellen Verlautbarungen als eine
zwischen Regime und Staatsfeinden der verschiedensten Couleur
begriffen, gegen die eine Militärdiktatur helfen könne.
Aber der Einsatz der Bundesarmee als Ordnungsmacht scheint, obwohl
überall sonst im Westen wie im Osten üblich, nicht der
gangbare Weg zu sein. Der Spiegel offenbart die andere Option,
wohlgemerkt im März 1987: »Wäre es nicht
vernünftiger, Jugoslawien in eine Konföderation, in einen
Staatenbund, umzuwandeln?« Mikulic, jugoslawischer
Ministerpräsident: »Nein, das glaube ich nicht. Ich bin
dafür, daß man gegen die partiellen egoistischen
Interessen kämpft. Aber so, wie wir gemeinsam in die mißliche
Lage gekommen sind, müssen wir auch gemeinsam nach einem Ausweg
suchen« (Der Spiegel, Nr. 13, 23. 3.87, S.149).
Die Schwäche
des Zentralismus und der Bundesarmee gegenüber den sozialen
Kämpfen in den Republiken hat jedenfalls nichts mit
Zimperlichkeit und Humanität zu tun, sondern mit der dezentralen
Struktur der Streiks und dem Gefälle der regionalen ökonomischen
Machtstrukturen, die keine übergreifend-gemeinsame
Sanierungsperspektive besaßen. Ein zentralistischer
Militäreinsatz hätte die wilden Kämpfe und Streiks
erst recht vorangebracht und vereinheitlicht.
Das typische an den
von Jahr zu Jahr eskalierenden Streik- und Protestbewegungen besteht
darin, daß es keine formale Organisation oder Struktur gibt,
die diese organisiert. Es sind bis jetzt samt und sonders wilde
Streiks, und sie sind lokal und regional begrenzt. Es gibt keine
landesweite »Solidarnosz« (1980), die eine Koordination
und politische Lenkung ausübt.
Sowohl
Arbeiterselbstverwaltung als auch Gewerkschaften sind an sich dafür
zuständig, die Arbeiterforderungen im institutionellen Verfahren
zu klären und zu erfüllen und mit den
Managementanforderungen in Einklang zu bringen. Streiks sind nicht
vorgesehen, da die Arbeiterselbstverwaltung sie offiziell überflüssig
macht. Die Streiks finden oft unter anderem Namen statt, indem sie
als Diskussionsveranstaltungen oder Betriebsversammlungen zur Klärung
von Problemen ablaufen. Andere Formen sind von Militanz geprägt,
es werden spontane Märsche vor die örtliche
Parteiverwaltung organisiert, es kommt zur Erstürmung von
Verwaltungsbüros, Streikbrecher und Geheimpolizisten werden
verprügelt. Über allen Ereignissen liegt eine strenge
Nachrichtensperre bzw. Zensur. So wissen wir bisher nur
Fragmentarisches.
Um die Bewegung in den Griff zu bekommen, wird
zum ersten Mal darüber geredet, daß Streiks legal
stattfinden dürfen sollen (FR 8.4.87). Die ArbeiterInnen fordern
ständig, die »wirkliche« Arbeiterselbstverwaltung,
d.h. das Bedürfnis nach (wirklichem) Kommunismus ist überall
vorhanden und wächst in den Kämpfen.
Im Herbst 1987
gründen die ArbeiterInnen in der bosnischen Stadt Zenica eine
alternative Gewerkschaft und Keimzelle einer neuen KP als Antwort auf
angekündigte Massenentlassungen im Zusammenhang mit dem
Agrokomerzskandal (zu diesem Skandal siehe weiter unten).
April/Mai
1987 kommt es zum ersten Mal in der jugoslawischen Geschichte zu
einem gewerkschaftlich organisierten Streik von 1.200 ArbeiterInnen
in einem Fleischwarenkombinat in Zagreb/in Sljeme (unterschiedliche
Angaben in der FR vom 14.5.87 und in der Stuttgarter Zeitung vom
23.5.87). An jedem Monatsende streiken die ArbeiterInnen erneut, weil
sie mit den Löhnen unzufrieden sind, da überall
Lohnkürzungen stattfinden. Das gesamte Feld wird völlig
unübersichtlich. Ohnehin gibt es nicht nur Unterschiede von
Region zu Region, sondern auch von Betrieb zu Betrieb in derselben
Region, da im Rahmen der Selbstverwaltung jeweils betriebsinterne
Abmachungen über die Höhe der Lohnauszahlung getroffen
werden können. Während dies bisher als Spaltungsmechanismus
funktionierte, verwandelt sich dieser Zustand nunmehr in einen
offenen Machtkampf zwischen Klasse und Bürokratie, in der vor
Ort alles in Bewegung ist und keine institutionelle Festlegung mehr
greift, sondern das Reproduktionsniveau zunehmend im offenen
Kampfgeschehen »geregelt« wird. Statt institutioneller
Delegation und komplizierte Vermittlungsmechanismen wird die
kämpferische Subjektivität der Menschen selbst zur
unmittelbaren Entscheidungsgröße. Ganz offen geben die
staatlichen Instanzen zu, daß bestimmte Schritte politisch
nicht durchsetzbar sind. Alles ist blockiert.
Das Jahr 1987 endet
mit der Entmachtung des vermittelnden Flügels innerhalb der
serbischen KP und mit der Machtübernahme von Milosevic, der ab
1988 den Nationalismus zur Durchführung der Konterrevolution
benutzt. Der Weg in den Krieg ist damit vorgezeichnet, weil ein
friedliches Teilungsarrangement zwischen den Republiken keine soziale
Neuordnung und keine Zerstörung der Klasse und ihrer Kämpfe
gebracht hätte. Die regionalen Eliten wären nun erst recht
die Gegner im Klassenkampf geworden und hätten ihre
Grenzträgerfunktion ausgespielt. Nur im Krieg gegen die
Bevölkerung konnte der Sozialismus abgeschafft und die
Deregulierung durchgesetzt werden. Bevor Thesen über den
Nationalismus von unten aufgestellt werden, müßten
zunächst die nationalen Spaltungen in den sozialen Kämpfen
der Jahre bis 1987 untersucht werden. Darüber wissen wir nichts,
äußer einigen dünnen Hinweisen, u.a. über
nationalistische Fußballrandale Mitte der Achtziger. Die
Entlassungen in den Teilrepubliken werden nationalistisch so gelenkt
worden sein, daß MigrationsarbeiterInnen aus den anderen
Teilrepubliken nach Hause geschickt wurden. Wildcat schreibt über
den großen Streik der Bergarbeiter in Labin/Istrien im April
87:
»Die Bergwerke in Labin hatten in Jugoslawien eine
starke symbolische Bedeutung. 1921 gehörten die Labiner
Bergarbeiter zu den Avantgarden des damaligen Kampfzyklus. Nach dem
2.Weltkrieg wurde das Bergwerk mit pompöser Geste den Arbeitern
`überreicht'; ein Mosaik in der Ortsmitte trägt die
Aufschrift: `Das Bergwerk gehört uns'.
Der Streik 1987
dauerte für die dortigen Verhältnisse völlig unüblich
33 Tage. Auch die Ziele des Streiks gingen über das bislang
übliche raus: Neben einer hundertprozentigen Lohnerhöhung,
was aber angesichts der hohen Inflationsrate in den 80er Jahren
nichts besonders Spektakuläres war, forderten sie die Ablösung
von Teilen des Managements und der Betriebsgewerkschaftsführung.
Die streikenden Bergarbeiter waren hauptsächlich Bosnier. Die
bosnischen Arbeiter machten üblicherweise die miesen Jobs und
waren außerdem von den traditionellen Verhandlungsmechanismen
teilweise ausgeschlossen: zum einen weil sie aus einer anderen
Republik kamen, zum anderen, weil die Arbeiterselbstverwaltung
insgesamt eine Domäne der höher qualifizierten
ArbeiterInnen war. Die bosnischen Bergarbeiter forderten von der
Republikgewerkschaft - also vom kroatischen Staat - Kredite für
den Wohnungsbau zuhause in Bosnien. Außerdem verlangten sie die
Bezahlung der Streiktage, was bis dahin in Jugoslawien nicht üblich
war - und auch nicht so nötig, wenn die Streiks nur zwei Stunden
oder einen Tag dauerten. Eines der beiden Bergwerke wurde Anfang 1988
dichtgemacht, um das Unruhepotential, d.h. die Bosnier
rauszukriegen.«
(Wildcat Nr.61, April/Mai 1993,
S.5/6)
Leider gibt es keine exemplarischen Berichte über den
Ablauf der Kämpfe im einzelnen, hier klafft noch eine riesige
Informationslücke. Über eine ganze Reihe von Punkten würden
wir gern mehr wissen, uns fehlen aber die Informationen dazu:
-
über den konkreten Verlauf von Selbstorganisation und die
angewandten Kampfformen; im weiteren über die Verweigerung der
Arbeit, die sog. Arbeitsmoral und Arbeitsdisziplin, die den
Unternehmen soviel zu schaffen machte; damit im Zusammenhang die
Land-Stadt-Dimension, der Zusammenhang mit dem Landbesitz und der
Großfamilie (50 Prozent der Arbeiterfamilien haben
Landbesitz!)
- über den Verlust der Kontrolle durch die
Arbeiterselbstverwaltung einerseits und die Zugeständnisse an
den Druck von unten andererseits;
- über die Herkunft und
Zusammensetzung der ArbeiterInnen (in den Kämpfen) einerseits
und die nationalistisch/rassistische Dimension der örtlichen
Sozialpolitik oder Beschäftigungspolitik andererseits;
- über
die Beteiligung von Frauen, deren Kampfinhalte und Kampfformen.
Das
soziale Gefälle und die Logik der Teilung
In einem
Artikel von Jens Reuter, einem Hauptexperten der
Südosteuropaforschung, wird die soziale Durchschnittslage im
Jahre 1987 so dargestellt: »...können vier von insgesamt
6,7 Millionen Haushalten ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr aus
regulären Einkünften decken. Sie müssen auf
Schwarzarbeit, Überweisungen aus dem Ausland oder andere Quellen
zurückgreifen.
Nebenerwerbslandwirtschaft oder zumindest
verwandtschaftliche Beziehungen zum Dorf sind nicht selten die
einzige Möglichkeit, sich über Wasser zu halten. 95 Prozent
der Jugoslawen gaben bei der Umfrage an, sie könnten von den
regulären Einkünften nicht normal leben und 50 Prozent
erklärten, ihr Lebensstanddard sei unter das Existenzminimum
gefallen«. Dies sind Durchschnittswerte für ganz
Jugoslawien. Schärfer wird das Bild, wenn wir die enormen
Unterschiede zwischen den Regionen mit einbeziehen.
Schon 1980
wurde die Reichtums- bzw. Armutskluft in der Wertschöpfung in
folgenden Kennziffern festgehalten:
Reproduktionsfähigkeit
je Einwohner:
SFJR (Gesamt Jugoslaw.) 100
Bosnien und
Herzegowina 66,5
Montenegro 76,1
Kroatien 130,2
Mazedonien
64,5
Slowenien 222,5
Serbien o.P. 86,9
Kosovo 13,8
Vojvodina
116,2
(Quelle: NIN, 23. 11. 1980, zitiert in: Jens Reuter, Die
Albaner in Jugoslawien, München 1982, S.60)
Deutlich ist
ablesbar, daß in Nordjugoslawien der relative Reichtum sitzt,
während in Kosovo trikonentale Zustände herrschen. Reuter
schreibt, daß 1980, also vor den massiven Entlassungswellen,
von 1,5 Millionen Einwohnern in Kosovo nur ganze 170.000 in einem
Arbeitsverhältnis standen.
Anzahl der Beschäftigten
je 1000 Einwohner 1979
Slowenien 427
Kroatien 298
Serbien
257
Bosnien und Herzegowina 191
Montenegro 205
Kosovo
107
(Quelle: Reuter, Albaner, S.61)
Wie hielten sich die
Leute im Süden am Leben? Neben einer innerjugoslawischen
Abwanderung (albanische Konditoren im Norden, vielleicht
Straßenkehrer und Putzfrauen in Belgrad) ernähren sie sich
zum einen und zum wesentlichen Teil noch in der
Subsistenzlandwirtschaft. Daneben gibt es Bergwerke (Zink, Blei), die
zwar ökonomisch wichtig sind, aber kapitalintensiv und nur einem
kleinen Teil der Bevölkerung im Süden ein Auskommen bieten.
Wichtiger sind die zahlreichen Dörfer mit kleinbäuerlicher
Landwirtschaft, die noch nach dem Prinzip der Selbstversorgung
funktionieren und nur zum geringeren Teil den Markt beliefern. Eine
Durchkapitalisierung zum Lohnarbeitsverhältnis, eine
Verstaatlichung der Landwirtschaft, hat in weiten Teilen nicht
stattgefunden. Die Subsistenzlandwirtschaft ist vielfach
Rückzugsmöglichkeit, sei es gegenüber der Lohnarbeit
generell, sei es als Ressource zur Selbstversorgung in Zeiten von
Not, Arbeitslosigkeit usw. Angewiesensein auf
»Nebenerwerbslandwirtschaft« wurde dieser Sachverhalt im
Zitat oben genannt. Anders als in der ehemaligen Sowjetunion, wo die
Subsistenz auf den staatlichen Kolchosen und Sowchosen weiterlebte,
ist der Boden in Jugoslawien privat, weil sich die Bauern gegen eine
Verstaatlichung nach ihrer Teilnahme am Befreiungskrieg erfolgreich
gewehrt hatten; d.h. sie waren stark genug, sich gegen ein
stalinistisches Konzept durchzusetzen, das zunächst vorgesehen
war. »82 Prozent des Bodens werden immer noch privat
bewirtschaftet. Jugoslawien hat die niedrigste Wachstumsrate der
Agrarproduktion in der Welt (...) am Umfang des privaten Landbesitzes
hat sich seit 1953 nichts geändert. Als Höchstgrenze für
den privaten Besitz gilt immer noch 10 Hektar. Nach Meinung von Drbic
(..) habe die Obergrenze von 10 Hektar früher einen Sinn gehabt
als eine Familie auf einer solchen Bodenfläche ausreichend
Arbeit finden konnte. Heute aber sei dieses Maß angesichts der
Technisierung der Landwirtschaft nicht mehr tragbar (...)«.
Die
Bemessung der erlaubten Landgröße war Ergebnis der
sozialen Revolution im zweiten Weltkrieg. Pachtverhältnisse und
mit ihr die Schuldknechtschaft der Bauern waren revolutionär
beseitigt worden. Keine Verstaatlichung, sondern freie Kleinbauern,
die auch nicht akkumulieren und zu Kapitalisten werden sollten. Das
ist also bis heute so geblieben, aber wie die Experten feststellen,
sind die Flächen heute zum Leben zu wenig und zum Sterben zu
viel. Die meisten BäuerInnen, die in die Städte
abwanderten, um dort zu arbeiten, haben ihr Land behalten, so daß
vor dem Krieg 50% der Bevölkerung Landeigentum hatten, obwohl
nur noch 20% dort lebten.
Die Dörfer und die
Landverteilungsproblematik stellten immer einen wichtigen Punkt in
der politschen Debatte und in der Sichtweise der jugoslawischen
Unterklassen dar. Beispielhaft kann das am Landkauf der Albaner im
Kosovo belegt werden. Im Zuge der Abwanderung der SerbInnen aus
sozialen Gründen wurde dies später dem Überhandnehmen
albanischer Landkäufe zugeschrieben und als ethnischer Streit in
der Presse angeheizt.
Der Krieg ist auch ein Mittel, die soziale
Struktur auf dem Lande - und natürlich nicht nur dort - neu zu
ordnen. So oder so mußte es zu einer kapitalistischen
Bodenreform kommen, die als friedliche politsch nicht durchsetzbar
war. Einmal, weil die Flächen ohnehin zu klein geworden waren,
um auf dem Markt mit den Produkten genug Bares für eine
»Technisierung« größeren Stils zu
erwirtschaften. Aber mehr noch als »soziale Säuberung«:
Es ging darum, die traditionale Stellung der Großfamilien, die
Strukturen von Subsistenz auf dem Dorf und in den Kleinstädten
wegzusäubern. Es geht darum, diejenigen Strukturen zu zerstören,
in denen Widerstandswerte sich erhalten hatten, die auf
traditionellen Gepflogenheiten beruhten. Diese waren in Bosnien und
insgesamt im Süden stärker ausgeprägt als im
Norden.
Die Rückzugsmöglichkeit in die Selbstversorgung
steht der Verwertung der Bevölkerung entgegen, weil es mit Boden
im Hintergrund Existenzmöglichkeiten für die zahlreichen
Familienangehörigen gibt, die gegen Vertreibungsdruck und
entfremdete Arbeit Widerstand ermöglichen.
Bevölkerungsökonomisch also Überbevölkerung, die
»über« ist, weil sie gesellschaftlich nichts oder
nicht viel einbringt, womöglich sogar mehr kostet als
hereinkommt.
»Zwar nehmen es auch die Serben nach guter
balkanischer Art mit den Anordnungen der Behörden nicht allzu
genau, bei den Albanern ist aber das Mißtrauen gegenüber
der Obrigkeit und die Mißachtung ihrer Gesetze noch
ausgeprägter. Im Laufe ihrer Geschichte waren sie ja auch nur in
kurzen Phasen mit einer staatlichen Autorität konfrontiert, die
sie als `ihre' ansehen konnten. Die Obrigkeit repräsentierte
fast immer den Okkupator, den Machthaber, dem die Bevölkerung
ausgeliefert war. Insofern haben sich die Albaner angewöhnt,
soweit wie möglich ohne Gesetze auszukommen - gleichzeitig aber
die Konfrontation mit dem Gesetzgeber zu vermeiden.
So fahren
viele Autofahrer im Kosovo ohne Führerschein, viele Leute zahlen
keine Mieten und keine Steuern. Zwar verhalten sich auch viele
serbische Bürger nicht wesentlich anders«.
Über
die innere und äußere Migration war ein undurchdringliches
Netz von Reproduktion entstanden, das sowohl im Sinne der Verwertung
auffangfähig war und niedrige Löhne zuließ,
andererseits aber zunehmend militante Sozialbewegungen
fundierte.
Letztlich sind die Subsistenz und die »vormodernen«
Verhaltensweisen Kostenfaktoren und reichen als Produktivitäts-
und Modernisierungsschranke in alle anderen gesellschaftlichen
Bereiche hinein - besonders in das der Arbeiterselbstverwaltung und
die sozialistische Bürokratie vor Ort. Die umverteilten Gelder
aus den Entwicklungsfonds, die aus den Überschüssen des
Nordens und aus westlichen Krediten gespeist wurden, wurden
unprofitabel verwendet. Diese Blockierung gegen den Profit war dabei,
sich antagonistisch zuzuspitzen.
»Das System der
Selbstverwaltung bewirkt damit neben der Steigerung des persönlichen
Verbrauchs der Bevölkerung außerdem eine Zunahme des
öffentlichen Verbrauchs. In den Gemeinden und Republiken wurde
die Praxis immer durchschlagender, aufgrund unökonomischer
Kriterien der Wirtschaft Mittel zu entziehen und diese für eine
Vielzahl von unkoordnierten Entwicklungsprogrammen zu verwenden«.
Bis zum Krieg hatten die Arbeiterbauern und BauernarbeiterInnen (das
patriarchale Verhältnis wäre noch zu untersuchen), aber
auch die in die Stadt gewanderten, eine starke Stellung, gewachsen
aus Kombination von Traditionalität des Dorfes,
Selbstverwaltungssozialismus und europäischer Migration (und
dies wiederum kombiniert mit der internationalen Stellung
Jugoslawiens zwischen den Blöcken, die die Weltmarktintegration
und kapitalistische Kreditierung beförderte).
Genau diese
starke Stellung gegen die Verwertung im Lohnverhältnis wird von
den Sozialtechnokraten als Überbevölkerung und als
Entwicklungshemmnis wahrgenommen, theoretisiert und in einem Konzept
ethnisierender Spaltung gewalttätig-völkermörderisch
zerschlagen. Wie auch das Vorgehen der Nazis im zweiten Weltkrieg als
ethnisch (= rassisch) fundierte »Entwicklungspolitik« im
Osten konzipiert war, ist der Krieg Belgrads nicht ein banaler um
Territorien, sondern zielt auf die Zerschlagung von Widerstand und
sozialen Blockierungen. Die Cetniks werden von ausgebildeten
Geheimdienst- und im Partisanenkampf geschulten Offizieren zumindest
indirekt gelenkt. Die Vorgehensweise ist systematisch: eine Gruppe
Cetniks kommt in ein Dorf, erschießt ein paar Leute und sagt
dem Rest, sie sollen abhauen. Diese Methode ist weit billiger als die
der SS, die LKW`s, Züge und Lager eingesetzt hat. Das ist in der
Vertreibungs- und Säuberungsökonomie des serbischen
Faschismus nicht mehr nötig. Das ist grade das moderne an ihr,
daß die Vertreibungsmethode billig und effektiv ist. Eine
Eigentumsreform wird sich anschließen, um aus der nationalen
die soziale Neuordnung zu machen. Die noch in der Subsistenz
befindliche Bevölkerung wird zwangsmobilisiert, entsprechend
ihrer Brauchbarkeit selektiert von der Ghettolagerökonomie bis
zur Deportation nach Pakistan.
Diese Art von Vertreibungspolitik
ist schon einmal 1937 programmatisch niedergelegt worden. Vaso
Cubrilovic, später Berater des ZK und Professor in Belgrad,
schrieb damals ein Dokument: Die Vertreibung der Albaner, in dem er
ohne Umschweife empfahl: Erregung von Psychose und Schürung von
religiösem Fanatismus, Strafen, Zerstörungen des Eigentums
der Albaner, Brutalität und Pogrome zum Zwecke der Vertreibung.
Und: »Es bleibt noch ein Mittel, das Serbien auf höchst
praktische Weise nach 1878 angewandt hat, wobei es im geheimen
albanische Dörfer und Stadtviertel anzünden ließ.«
Noch 1987 gab es keine offizielle Distanzierung von dieser Schrift.
Spätestens 1986 ist halböffentlich diskutiert worden, wie
gegenüber der Kosovo-Bevölkerung erneut eine planmäßige
»Umsiedlungsaktion« organisiert werden könnte.
Wahrscheinlich sind im Zusammenhang mit der Kosovo-debatte die
Blaupausen für das Vorgehen bei den späteren »ethnischen
Säuberungen« entstanden.
Im Norden ist die Geschichte
der Industrialisierung, Verstädterung und
Nationalstaatsentwicklung anders gelaufen. Er war Teil des
Habsburgerreiches und als metropolitane Region mit arbeitsintensiver
Industrie als Hauptzweig ganz anders nach »Europa«
eingebunden. Als Zulieferregion für die deutsche
Textilindustrie, als devisenerwirtschaftende Tourismusregion und als
Hauptlieferant für disziplinierte Migrationsarbeitskräfte
waren Kroatien und Slowenien schon lange mit dem deutschen Kapital
innig verbunden. Mercedes und Opel lassen hier produzieren und haben
einige Werke aufgekauft oder als Joint-Venture eingebunden (das
VW-Werk in Sarjewo ist sang- und klanglos geschlossen worden). Die
Tourismuseinnahmen betrugen 1980 eine Mrd. US-$, der Transfer der
Einkommen der MigrationsarbeiterInnen 1977 2,1 Mrd.
US-$.
Dementsprechend dürfte es hier, ähnlich wie in
Norditalien und seinem Gefälle nach Süden, eine typische
MassenarbeiterInnen-Kampfsituation gegeben haben, die es zu
deregulieren galt. Schon in der Verfassungsreform von 1974 waren die
Rechte der nördlichen Republiken gestärkt worden, so daß
sie ihre Erfordernisse zur Anpassung an die EG besser erfüllen
konnten, während die zentralen Vermittlungsinstanzen geschwächt
wurden.
Aus der grundsätzlichen Problematik eines
Nord-Süd-Gefälles ergab sich ein ständiger
Verteilungsstreit zwischen den Republiken. Die nördlichen
Regionen waren unter dem doppelten Druck: Einerseits sollten sie in
den achtziger Jahren weiter Devisen und Kredite für
Entwicklungsprojekte oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Süden
abliefern, die sich zunehmend als Finanzierung einer »unproduktiven
Überbevölkerung« darstellten. Andererseits standen
sie unter dem Druck, die Stärke ihrer eigenen hochgarantierten
ArbeiterInnenklasse arbeitspolitisch zu deregulieren, die gesamte
Arbeitsorganisation zu effektivieren. Das Selbstverwaltungsmodell
wird von den westlichen Beratern und der jugoslawischen Elite als
wesentliche Blockierung einer ökonomischen Gesundung, als
Ursache einer niedrigen und ständig absinkenden
Arbeitsproduktivität betrachtet (Berichte aus dem Inneren der
Fabriken usw. fehlen völlig). Die Umstrukturierung von Arbeits-
und Arbeitsmarktpolitik stellte sich aber rechtlich noch
komplizierter als in der SU dar, da nicht der Staat der Eigentümer
ist und Eigentumsrechte »vermarkten« kann, sondern die
ArbeiterInnen selbst das gesellschaftliches Eigentum hatten.
Die
Logik der Aufteilung folgt somit streng den üblichen
Verwertungskriterien. Das nationalistische daran ist die jeweilige
Benutzung der kulturellen/institutionellen Rahmenbedingungen, in
denen sich der Antagonismus abspielt. Die Abtrennung der besonderen
sozialen Blockierungen des Südens ist das Konzept des Nordens
und auch der BRD gewesen - belegbar seit 1987 (Spiegel, März
87).
Blockierung des jugoslawischen ökonomischen
Systems und das nationalistische »Umdrehen« der
Kämpfe
Das sogenannte »Umdrehen« der
Kämpfe und sozialen Ansprüche hat mehrere Aspekte. Einer
davon ist, wie sich die nationalen Eliten zu den sozialen Kämpfen
verhalten haben. Dabei stellt sich heraus, daß die Kämpfe
mittels inflationärer Geldschöpfung teilweise befriedet und
damit gleichzeitig nationalistisch »perspektiviert«
werden konnten. Es geht um die unabhängige »graue«
Geldschöpfung in den Republiken, die den Mischpunkt zwischen
Ökonomie, Aufruhr und sozialistischer Staatsstruktur in den
Republiken ausmachte.
In der wirtschaftswissenschaftlichen
Literatur über Jugoslawien wurden in den 80er Jahren die
niedrige Arbeitsproduktivität und die ständig steigenden
Inflationsraten als Kernursachen der jugoslawischen Krise
analysiert2.
Liliana Djekovic schreibt 1982, daß die
Arbeitsproduktivität dreimal niedriger als in den meisten hoch-
oder mittelentwickelten Ländern sei3. In der Bundesrepublik sei
sie um 73%4 höher. An dieser Situation habe sich trotz der
IWF-Auflagen in den 80er Jahren nichts geändert - im Gegenteil.
Die Arbeitsproduktivität sei weiter gefallen. Vor allem fiel
auf, daß die Arbeitslosenzahl nicht so stark gestiegen sei, wie
es bei einer Umwandlung zum Markt und dem üblichen Modell einer
Schocktherapie hätte sein müssen. Obwohl ein hoher
Prozentsatz (um die 15% im Landesdurchschnitt) arbeitslos war,
reichte das für eine Zerstörung der sozialistischen
Struktur und Umwandlung der Wirtschaft nicht aus. »Aus der
Tatsache, daß die Arbeitslosenquote zwischen 1985 und 1988 in
Jugoslawien bei wachsender Bevölkerung sowie stagnierendem
Sozialprodukt stabil bleibt, kann auf ein deutliches Absinken der
ohnehin niedrigen Arbeitsproduktivität geschlossen werden. Die
Arbeitsproduktivität fällt in Jugoslawien seit 1960
permanent ab, bei bis Mitte der Achtziger Jahre steigender
Arbeitslosigkeit«5. Zwar wurde das Lohn- und Lebensniveaus
massiv gesenkt, um die »Strukturanpassung« und eine neues
Kommando über die ArbeiterInnen zu erzwingen, aber das Mittel
waren im wesentlichen steigende Preise für Benzin, Strom und
Nahrungsmittel. Massenentlassungen waren auf Grund des politischen
Systems nicht möglich.
Für die westlichen Gutachter ist
die »Überbeschäftigung« Quelle des Übels:
viel zu viele Leute werden beschäftigt und verursachen Kosten.
»Die Gewohnheit, als Gesellschaft mehr als das realisierte
Sozialprodukt zu verbrauchen und als einzelner mehr, als verdient
wurde, auszugeben, war tief verwurzelt«6.
Der hohe
Beschäftigungsgrad trotz Krise ist zwar nur eine unter
verschiedenen Ursachen der mangelnden Produktivität7, ist aber
gut geeignet, um das Verhältnis zwischen Klasse und Apparat zu
kennzeichnen und idealtypisch den Krisenzusammenhang
herauszuarbeiten.
Der ökonomische Mechanismus, über den
sich trotz des Angriffs des westlichen Finanzkapitals ein Sinken der
Produktivitätskennziffern ergab, war in Jugoslawien folgender:
Ein Betrieb macht Verluste, weswegen auch immer (von schlechtem
Management über nicht weltmarktgerechte Waren bis zum Widerstand
der ArbeiterInnen). Das zieht sich eine Weile hin, und es werden
Versuche gemacht, über Kreditaufnahmen zu modernisieren. Es
gelingt nicht, den Absatz zu steigern oder die Kosten zu senken. Nach
marktwirtschaftlichen Gesetzen müßte der Betrieb Konkurs
anmelden. Stattdessen kann er sich dank der Verbindungen zu Banken
und politischer Verwaltung weiter verschulden. Dies passiert in
Jugoslawien landesweit in tausenden von Betrieben.
Der Druck der
ArbeiterInnen, deren Reallohn zwischen 1980 und 1986 um 40 % (!)
zurückgegangen ist (lt. NZZ v. 27.3.86), ist durch die
Arbeiterselbstverwaltung nicht zu kontrollieren, im Gegenteil, diese
wird zum Instrument der Übertragung der Nöte der Klasse auf
den Apparat. Das integrative und gegen die Klassenkämpfe
gerichtete Verhalten der Arbeiterselbstverwaltung bedeutet aber auf
der anderen Seite, daß sie an der Erhaltung der örtlichen
Arbeitsplätze usw. mitarbeitet und alles tut, um den »Standort«
zu erhalten. Über die Arbeiterselbstverwaltung, die sich aus den
höheren Schichten der Klasse und vor allem aus dem Management
rekrutiert, wird die ArbeiterInnenstärke auf den ökonomischen
Bereich übertragen, ohne daß eine Zentralbank dem
entgegenwirken kann8.
Die Banken der Republiken sind politisch
unabhängig von Belgrad und schöpfen als Folge der
Kreditierung der Betriebe selbst weiter und schneller Geld und
produzieren damit Inflation. Hellsichtig arbeitet Bruno Schönfelder
diesen Sachverhalt in einem Artikel in den Comparative Economic
Studies heraus: »Dem Absinken der Realeinkommen folgte ein
Absinken des privaten Verbrauchs, aber ein längst nicht so
dramatisches (...). Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Erstens
hörten die Haushalte auf, einen Teil ihres persönlichen
Einkommens als Sparguthaben bei den jugoslawischen Banken zu
deponieren. Nach 1980 sank deren realer Wert. (...) Zweitens deshalb
weil trotz Reallohnsenkung von über 30 Prozent die Beschäftigung
gleichzeitig um 20 Prozent zunahm. Die Gemeinden mit großer
Arbeitslosigkeit übten Druck auf die Unternehmen aus,
zusätzliche Leute einzustellen, auch wenn die Betriebe bereits
überbeschäftigt waren und auch wenn das zur Folge hatte,
daß die Löhne unter die Armutsgrenze fielen.
Schätzungsweise wurden mindestens 1,7 Millionen Beschäftigte
von den insgesamt 7 Millionen Beschäftigten im sozialistischen
Sektor nicht gebraucht und hätten entlassen werden können
ohne Senkung der Produktion«. So analysiert ein
westlich-kapitalistischer Ökonom9. Außerdem: »Nach
1983 bekamen die halblegalen und illegalen Formen von Bankkrediten an
sozialistische Unternehmen eine wachsende Bedeutung (...). Im
eigentlichen Stabilisierungsprogramm war vorgesehen, daß die
Überfluß-Arbeitskraft (surplus labor) eine Beschäftigung
im sich entwickelnden privaten Sektor finden sollte. Tatsächlich
passierte wenig. Die Kommunen hatten es in der Hand, inwieweit sich
das private Gewerbe entwickelte. Leider haben die örtliche
Parteifunktionäre dies meist behindert(...)«10. Gabriele
Herbert weist auf das alte Zadruga-Element hin: »Es gibt eine
Art 'Familienkorruption`, was sich in der Beschäftigungspolitik
der Betriebe äußerst problematisch auswirkt. Betriebe
verhalten sich häufig wie die alten Familienstrukturen - die
serbischen 'Zadrugas.«11
In der politisch-rechtlichen
Strukturierung des Arbeitsmarktes steckt die traditionell-vormoderne
Familienmacht (im Süden hauptsächlich) über den Alltag
und die moderne Klassenmacht der MassenarbeiterInnen (im Norden
hauptsächlich) gleichermaßen. Der Anspruch der älteren
auf einen festen Arbeitsplatz ist überhaupt diejenige
Legitimationsgrundlage des Systems, die nur um den Preis der völligen
Selbstaufgabe und des damit einhergehenden Kontrollverlustes
öffentlich aufgegeben werden könnte. Genau das verlangt der
IWF aber gerade, nämlich die Selbstabdankung der bürokratischen
Klasse, die öffentliche Verkündung der Abschaffung des
Vorrangs des gesellschaftlichen Eigentums und damit die Aufkündigung
des sozialen Konsenses innerhalb der Gesellschaft. Die Bürokratie
sitzt zwischen den Stühlen. Das Management will natürlich
zu neuen »produktiven Ufern« aufbrechen. Aber wo soll der
Anfang gemacht werden? Wo soll der gräßliche Einschnitt
ins politische System beginnen, der eine soziale Katastrophe riesigen
Ausmaßes mit sich bringen würde? Über die politische
Ebene mit Wahlen, über die Ebene der Betriebsschließungen,
über den Bankenzusammenbruch? Spätestens 1987 wird die
Krise in der Weltpresse offen als Unregierbarkeit verhandelt.
Jährlich wächst die Binnenverschuldung um 2 bis 3 Mrd.
Dollar. Nicht zufällig erscheint 1987 in Zagreb und nicht in
Belgrad eine Studie, die die »fundamentalen Defekte im Bank-
und Finanzwesen« beschreibt. Die Neue Zürcher Zeitung
bemerkt in diesem Zusammenhang: »Wie gering die Bereitschaft
weiterhin ist, auf Marktmechanismen zu bauen, zeigt sich bei den
Lohnregeln für Verlustbetriebe: Hier kam es kürzlich zur
Anpassung der geltenden Lohngrenzen nach oben. Ziel ist es, die
Abwanderung der qualifiziertesten Arbeitskräfte zu
verhindern.
Sie liefen den Verlustbetrieben in letzter Zeit
verstärkt davon; dadurch habe sich die Lage dieser Unternehmen
'noch weiter' verschlechtert, heißt es. Von mehr Markt ist im
Arbeitsrecht jedenfalls nichts zu spüren.«12 In einem
Verlustbetrieb die Löhne zu erhöhen, statt zu senken, geht
ja nun wirklich nicht. International wird dies als Begleitumstand der
Arbeiterselbstverwaltung gesehen. Indem sie Ökonomie und Politik
verklammert, bewirkt sie eine unmittelbare Übersetzung des
Sozialen in die Krise der Finanzen. Das Regelwerk der Vermittlung,
die Verhandlungswirtschaft mit weitreichenden dezentralen
Befugnissen, ist als Folge weiterer Modernisierungsschritte völlig
undurchsichtig geworden. Eine Menge neuer Vorschriften soll die
Profitkriterien stärken und dennoch den offenen Bruch
vermeiden.
Aber bis 1987 sind die Banken in der Lage, ihre
Bilanzen so zu gestalten, daß der Verlust nicht als Riesencrash
und totaler Zusammenbruch des gesamten staatlichen Bankwesens zu Tage
tritt. Über die staatlichen Banken wird unbeschränkt Geld
künstlich geschaffen. Die Geldmenge wird nach Maßgabe des
politischen Kräfteverhältnisses mit der kämpfenden
Klasse schrankenlos ausgeweitet, daß jedem Kapitalisten die
Haare zu Berge stehen.
In den Banken akkumulierte sich das
Krisenkapital, d.h. den ausgegebenen Krediten steht kein realer
Gegenwert gegenüber, die Bilanzwerte sind fiktiv. Äußeres
Merkmal der Entwicklung ist, daß die Inflation schneller als
die Zinsen steigen, ein negativer Realzins bestand. Vom IWF her
bestand die zentrale Forderung, einen positiven Realzins
herzustellen, was bedeutet hätte, den Diskontsatz beispielsweise
im Herbst 1987 auf 130% zu heben (in der BRD liegt er immer unter
10%). Statt der Banken und damit des politischen Regimes sollten also
die Betriebe pleitemachen, indem sie die Zinsen nicht hätten
bezahlen können.
Exemplarisch für einen durchgezogenen
Crash ist der Fall des Agrokommerzskandals in Bosnien im Jahre 1987.
Die Agrokommerz war ein landesweit renommierter Agrokonzern und
gleichzeitiges Entwicklungsprojekt in Bosnien-Herzegowina. An ihm
wurde bilderbuchmäßig der Zusammenbruch von Bank,
regionaler Parteispitze und zig Betrieben vorexerziert. Der Skandal
bestand äußerlich darin, daß das Unternehmen 8.500
Wechsel in Höhe von über einer Milliarde Dollar nicht
bezahlen konnte, diese also ungedeckt waren. Die Schulden waren
gemacht worden, um Löhne von 13.500 ArbeiterInnen bezahlen zu
können. Insgesamt waren 63 verschiedene Banken verwickelt. Die
Forderung des Unternehmens an die Teilrepublik zur Umschuldung der
kurzfristigen Kredite in langfristige konnte diese nicht erfüllen,
so daß die Belgrader und Zagreber Banken und die
Bundesregierung hätten einspringen müssen. Die waren nicht
bereit zu einer Umschuldung. In der Folge wurden der Generaldirektor
und weitere 100 Leute verhaftet, der Präsident der Nationalbank
der Teilrepublik wurde entlassen, der Vertreter Bosniens im Präsidium
des Bundes, der eigentlich im nächsten Jahr Präsident
geworden wäre, mußte zurücktreten. Der ganze Konzern
sollte in Konkurs gehen.13 In diesem Zusammenhang kommt die FR zu
einem Ergebnis, das den übergreifenden finanzoperationellen Kern
des Skandals wie der Krise im allgemeinen freilegt: »...entwickelten
sich die Banken an der Nationalbank vorbei zu Emissionsquellen
zusätzlichen Kreditgeldes. Hierin liegt nach Meinung von
Fachleuten eine der Ursachen, daß der inzwischen über die
100-Prozentmarke gestiegenen Inflation nicht beizukommen ist.
Die
Idee, sich mit billigem Inflationsgeld oder -krediten zu sanieren,
lag auch den faulen Wechselmanipulationen von `Agrokommerz' zugrunde.
Fikret Abdic (Generaldirektor) glaubte offenbar, über seine
politischen Beziehungen die betroffenen Banken dazu bringen zu
können, die ungedeckten Wechselschulden in mittelfristige
Kredite umwandeln zu können. Diese wären dann nach Jahren
mit billigem inflationsentwertetem Geld zurückgezahlt worden
(...). Serbische Banken sollen angeblich bosnische Wechsel nicht mehr
annehmen. In Sarajewo wehrt man sich aber vehement, daß
zwischen 'Agrokommerz' und der Teilrepublik ein Gleichheitszeichen
gesetzt wird.« Im innerjugoslawischen Machtkampf bedeutete der
Agrokommerzskandal die lancierte Ausschaltung eines konkurrierenden
Machtzentrums - nicht zufällig desjenigen von Bosnien,
derjenigen Teilrepublik, die als mulitethnisches »Jugoslawien
im Kleinen« auf jeden Fall dem gegenrevolutionären Projekt
der Nationalisierung der sozialen Konfliktualität am
entschiedensten widersprochen hätte und hat. Strategisch war der
Plan der Aufteilung des Gesamtstaates schon in den Köpfen der
Politiker im Norden vorhanden und das bedeutete auch, den bosnischen
Teilstaat perspektivisch zwischen einem vergrößerten
Serbien und einem vergrößerten Kroatien aufzuteilen.
Deswegen durfte hier einmal ein Staatsbankrott auf Teilrepubliksebene
durchgezogen werden.
Die ArbeiterInnen reagieren auf den Crash,
indem sie eine neue KP und eine alternative Gewerkschaft in Zenica
gründen und die soziale Absicherung der von Entlassung bedrohten
ArbeiterInnen verlangen.14
Ein bißchen vergleichbar ist die
Geschichte mit dem Bankenkrach in Deutschland von 1931, als statt
eines totalen Bankenzusammen-bruchs eine Großbank als
Bauernopfer Konkurs machen mußte.15 Während in Bosnien ein
exemplarischer Crash durchgezogen wurde, war es aber in den anderen
Republiken im Prinzip nicht anders mit der Geldschöpfung.
Überall
prallten die Sanierungsvorhaben aus Belgrad in Form von
Preiserhöhungen und Privatisierungsvorschriften auf eine
dezentrale Teilökonomie, die die soziale Disziplinierung über
den Finanzsektor konterkarierte und praktisch von innen her alle
schocktherapeutischen Maßnahmen unterlief. Der Kampf von unten,
hunderte von Streiks wurden in die Absicherung der lokalen Eliten
umgeleitet, statt diese wegzufegen.
Der Nationalismus ist
konsequenter Ausdruck davon, weil er das Zwangsgefäß von
Klasse und regionaler Bürokratie auf den Punkt bringt. Er hat
seine materielle Basis in der Beschäftigungspolitik, sei sie
noch so morsch und korrupt, und ist die klassenübergreifende
Projektion der Wirtschaftskrise nach außen - auf die Belgrader
Zentralregierung und den politischen Verteilungskampf zwischen den
Republiken. »Wir sitzen in einem Boot« wäre kein
hohler Spruch, sondern eine Realitätsbeschreibung der
ökonomischen Mechanismen vor Ort. Das Streben nach
Unabhängigkeit der Republiken ist die Verlängerung und
nachträgliche Legalisierung des Finanzverhaltens der regionalen
Eliten gewesen. Bei einer zentralen Revision der Verhältnisse
hätten die regionalen Eliten sowohl in der Logik
kapitalistischer Rationalität als auch aus der Sicht von unten
als Wirtschaftskriminelle (wie im Falle Agrokommerz real passiert)
dagestanden. Das zu vermeiden hieß, die nationale Gemeinschaft
als Opfergemeinschaft zusammenzuschmieden und das Bündnis mit
dem reaktionären Uralt-Nationalismus einzugehen.
Dieses
Transformationsproblem ist überall in Europa ähnlich und
selbst in Deutschland an den Problemen der Treuhand deutlich. Wer
macht bankrott, wer kann sich retten? Was sollen die Kriterien für
»marode« und »nicht marode« sein? Geht es
überhaupt darum? Es geht doch um die Disziplinierung der Klasse
durch völlige Neuzusammensetzung.
Der Norden glaubte sich
dann gerettet, wenn er die Zahlungsverpflichtungen in den
gesamtjugoslawischen Entwicklungsfond los wäre, also nicht mehr
die Sozialpolitik im Süden mitfinanzieren muß (daher mußte
der Crash von Agrokommerz in Bosnien inszeniert werden). Um das
Abschütteln dieser »Last« der sozialen Sicherheit
der Massen im Süden geht es den beiden nördlichen
Republiken, bei ihrem Abkoppeln vom Süden. Denn dies ist die
Logik des Zerfalls. Der Norden wird sich mit Europas Hilfe
»sanieren«, während der Rest seinem Schicksal der
»Unproduktivität« überantwortet wird und den
Bach runtergehen kann.
Die materielle Basis der serbischen
Strategie liegt neben dem Abfangen der sozialrevolutionären
Zuspitzung in den materiellen Interessen des zentralen Staatsapparats
in Belgrad, der mehrheitlich von SerbInnen besetzt ist. Der Erhalt
des Gesamtstaats gegen eine Wegrationalisierung und Schrumpfung ist
das materielle Anliegen einer ganzen Schicht.
Eine Reihe anderer
»struktureller Fehlentwicklungen« bezieht sich auf die
Art der industriellen Investitionsentscheidungen 16, deren
Hauptstreitpunkt die regionale Verteilungsfrage darstellt. Die
Herrschaftskrise ist 1987 voll entfaltet. Die sozialen Kämpfe
erzwingen ein Hin und Her zwischen immer neuen Lohn- und
Preisregularien und nötigen die regionalen herrschenden Klassen
zur Flucht in die weitere Inflation einerseits und in die
nationalistische Kriegspropaganda andererseits, die ebenfalls eine
Flucht aus dem unkontrollierbar gewordenen sozialen Antagonimus
darstellt. Der Nationalismus ist der einzig verbliebene soziale Kitt
zwischen unten und oben in den Teilrepubliken.
Insgesamt scheint
es so gewesen zu sein, daß zum einen durch den Lokalismus und
die regionale Begrenztheit, zum anderen wegen des Fehlens einer
sozialrevolutionären Organisation die sozialen Kampfinhalte in
eine nationalistische Polarisierung übersetzt werden konnten.
Geheimpolizei und die vorhandenen Organisationsstrukturen der
traditionellen Organisationen konnten sich auf die Kämpfe
setzen, indem sie ihnen eine Sprache verliehen, die der Gegensätze
zwischen den Republiken und des Gegensatzes zur
Zentrale.
Neuzusammensetzung von Subjektivität
durch die Sozialtechnik der Ethnisierung
Von
Neuzusammensetzung der Subjektivität der Massen könnte
versuchsweise deshalb gesprochen werden, weil es um die Art der
Zusammensetzung schon vorhandener fundamentaler Bilder und Werte
geht. Die Konstrukteure der Bilder vom »Nationalen« lösen
die Bilder und Kampfwerte aus ihrem Entstehungszusammenhang und
betreiben eine Schablonisierung für den aktuellen
Verteilungskampf, der die Fronten spalterisch bewußt falsch
setzt. Die verbrauchten Werte des Sozialismus und die
Selbstentlarvung der Bürokratie durch offensichtliche
Verteilungsungerechtigkeiten und die Repression waren Voraussetzung.
Die Sprache des Sozialismus hatte abgewirtschaftet und, eine
revolutionäre Linke, die mit anderer Sprache und
politisch-ästhetischen Interventionen über die »neuen
sozialen Bewegungen« hinausging, gab es anscheinend nicht.
Im
folgenden einige kurze Bemerkungen zur Steuerung der nationalen
Empfindungen. Es sind wirklich nur Randbemerkungen, weil die
Organisationsgeschichte der nationalen Gruppen, die Innenansicht der
jeweilgen Bürokratie in der Republiken, die Untersuchung von
typischen Fernseh- und Pressekampagnen hier nicht geleistet werden
kann. Wir wissen, daß erst der superbrutale TV-Einsatz in
Kombination mit gelenkten Massakern die Voraussetzung geschaffen hat,
wesentliche Teile der Bevölkerung ideologisch zu verhetzen. Die
Säuberung der Medien von kritischen Jounalisten ging parallel
zur Entwicklung seit 1987/88.
Durch den übergreifenden
imaginären Fluchtpunkt, den sozialen Flächenbrand und den
sozialrevolutionären Krieg der Massen gegen die Bürokratie
abzuwehren, bewegte sich die Taktik der Herrschenden notwendig in der
Fortschreibung und historisch-nationalistischen Aufladung des
sozialen Konsenses aus der Vorkrisenzeit. Obwohl die ursprüngliche
materielle Basis dieses Bündnisses längst entfallen war,
also die Option einer regionalen Entwicklungspolitik mit der
harmonisierenden weil wohlstandsfördenden Einbindung der Klasse
im Rahmen der kommunistischen Staatsidee, eignete sich der vorhandene
ökonomisch-institutionelle Rahmen zur national-faschistischen
Wendung. Sein wesentlicher ideologischer Inhalt bestand darin, sowohl
die Ursachenerklärung für soziale Misere nach außen
zu projizieren als auch die Hoffnungsseite der sozialen Verbesserung
in einem sich radikalisierenden regional-rassistischen (»nationalen«)
Klassenbündnis zu verankern (sozusagen die Fortschreibung der
materiellen Basis des ehemaligen Klassenkonsenses auf einer
defensiven Ebene). Materielle Basis für die Massen war - soweit
bisher zu sehen - das sichtbare Bemühen der örtlichen
Bürokratie, die lokalen Arbeitsplätze gegen den
weltkapitalistischen und zentralistischen Krisenangriff zu
erhalten.
Die Verarmungsprozesse wurden doppelzüngig der
Zentrale und vor allen den jeweils anderen Republiken samt ihren
feindlichen Völkern angelastet. Aber das war längst nicht
ausreichend. Die Steuerung hin zum Krieg lief praktisch mittels der
Hauptmethoden »Lügen und Leichen«:
- Propaganda
und Lügen in den Medien
- reale Massaker und Leichen, die
vorgeführt werden können
- kombiniert damit wurden die
sozialen Revolten durch nationale Meetings - die
Milosevic-Geheimdienst-Strategie - gegenbesetzt. Der öffentliche
Raum der Aktionen wurde organisatorisch übernommen mittels eines
schlagkräftigen Bündnissses mit den
nationalistisch-bürgerlichen Parteien bis hin zu Faschisten. Die
Patriarchalität dieser Wendung hat historische
Vorläufer.
Zwischen allem besteht eine sich selbst
verstärkende Wechselwirkung. Die Muster sind nun auch aus
Deutschland hinlänglich als Rassismus der Dreiergemeinschaft von
Staat, Rechtsradikalen und Mob bekannt. Lügenpropaganda und
rechtsradikaler Nationalismus/Rassismus hängen bekanntermaßen
so dicht zusammen, daß die Leichen und eine
Bürgerkriegskonfrontationslinie auch nicht mehr weit sind. Die
kulturellen, religiösen und regionalistischen Momente in der
Reproduktion der Massen sind als historisch wirksame Elemente
natürlich Grundlagen der sozialen Radikalität gewesen. Der
Lokalismus und die Dezentralität war ebenso Voraussetzung der
Kämpfe, die sich aber zunächst gegen die lokale
Herrschaftsschicht wandten .Erst die weitergehende Politisierung
konnte den Nationalismus aufpfropfen, weil eine sozialrevolutionäre
Assoziation der Kämpfe organisatorisch nicht ging. Den
Zusammenhang zwischen sozialen und religiös/kulturellen
Elementen in der balkanischen Widerstandstradition wäre
aufzuarbeiten, um deren Verwendung im Kontext der Kämpfe von
unten und ihrer Vereinnahmung von oben genau zu bestimmen. Hier
müssen wir davon ausgehen, daß Teilelemente dieser Kultur
in die nationalistische Propaganda eingegangen und für sie
funktionalisiert worden sind.
Im Buch von Ivo Andric »Die
Brücke über die Drina« wird diese komplexe Erfahrung
im Alltag verschiedener Kulturen über mehrere Jahrhunderte
hinweg beschrieben und könnte als Geschichtsbuch die
Verhältnisse verlebendigen. Der Roman spielt in der bosnischen
Stadt Wischegrad, die jetzt durch »Säuberung«
»entmischt« werden soll, nachdem es in den vergangenen
Jahrhunderten zwar immer wieder Metzeleien gab, aber die »Mischung«
sich doch erhielt (Bosnien galt als eine verkleinerte Ausgabe
Jugoslawiens).
In der historischen Entscheidungssituation des
Jahres 1987
- Aufbrechen des sozialen Antagonismus,
»Entinstitutionalisierung« des Kampfes um die
Reproduktion im Laufe des Jahres
- Staatsbankrott bzw. Leben am
Gängelband der internationalen Banken
- Absicht des sozialen
Frontalangriffs mit einer völligen Dekonstruktion der
Beschäftigung
- Verteilungskampf konkurrierender Machtzentren
in den regionalen Teilökonomien wird sichtbar, daß es aus
volkswirtschaftlicher Optik eine »Überbevölkerung«
in Südjugoslawien gibt, mit der irgendwie verfahren werden
wird.
Von uns sollte die »Unregierbarkeit« von 1987
als potentiell revolutionäre Situation interpretiert werden. Um
die damaligen Möglichkeiten einer sozialrevolutionären
Kampagne oder europaweiten Mobilisierung gegen die heraufziehende
Katastrophe zu untersuchen oder über mögliche Ansätze
dazu zu berichten, fehlt das Material. Was hätte eine
revolutionäre Gruppierung damals erörtert, was hätte
ein rechtzeitig geknüpftes Netz mit einer Gegenkonzeption gegen
den Teilungsplan, der das »nationale Selbstbestimmungsrecht«
als Counterideologie entziffert hätte, erreichen können?
Die strategische Vorentscheidung der Herrschenden muß 1987/88
gefallen sein, die Massen der Teilrepubliken tatsächlich
gegeneinander auszuspielen, indem die Option der Aufteilung
Jugoslawiens von den inneren Zirkeln der Macht längst diskutiert
wurde und es nur um das »wie« ging. Sowohl die
Integration der Massen als auch der Machterhalt der regionalen
Staatsbürokratie sollte dann dem Ziel dienen, denjenigen
Übergang zum Markt durchzusetzen, der bereits als Zugeständis
an den IWF seit 1982 versprochen, politisch aber an den
verschiedensten Strukturen vom Widerstand bis zum Machterhalt
gescheitert war.
Ein übergreifendes Manifest gegen den
heraufziehenden Bürgerkrieg hätte gerade in Deutschland
gegen die beabsichtigte Teilungspolitik mobilisieren müssen,
allerdings nicht mit dem Ziel des Erhalts der Staatsbürokratie,
sondern dem des Schuldenerlasses, um den Bewegungen objektiven
Spielraum zu ermöglichen. Selbstorganisierte Reproduktion gegen
den Weltmarkt hätte diskutiert werden können als
Alternative zum Massenmord.
Sämtliche Debatten um nationale
Selbstbestimmung wären auf die kapitalistische Sanierungsabsicht
zu beziehen gewesen, was im Kontext von Schuldenkrise und des
Diskurses über die Einführung von Marktwirtschaft und einer
Finanzreform leicht gewesen wäre.
Die Frage der kulturellen
Unterschiede wäre als Zusammenhang von historischer
Aufarbeitung, des sozialen Gefälles und eines akut notwendigen
Antirassismus gegen die Nationalisten zu thematisieren gewesen.
1
Über die Entwicklung der sozialen Kämpfe in den 80ern gibt
es zwei Veröffentlichungen: Osteuropaarchiv, Jugoslawien.
Klassenkampf-Krise-Krieg, Berlin 1992.(Osteuropaarchiv, c/o
Papiertiger, Berlin, Cuvrystr.25) und Wildcat Nr.61, April/Mai 1993,
Arbeiterklasse und Nationalismus. Im wesentlichen habe ich mich auf
Zeitungsausschnitte gestützt.
2 Vgl. Werner Gumpel (Hg.), Die
jugoslawische Wirtschaft. - Gegenwart und Zukunft.
(Südosteuropa-Gesellschaft e. V.) München 1988.
3
Liliana Djekovic, Jugoslawien zwischen EG und RGW. Im Westen
überschuldet - vom Osten zunehmend exportabhängig, in:
Südosteuropa-Mitteilungen, 1982, H.2, S.3
4 In der EX-DDR war
die Produktivität ein Drittel bis die Hälfte niedriger als
in der BRD, und damit wurden die Massenentlassungen in den
Großbetrieben begründet.
5 Liliana Djekovic, Der kurze
Atem der Selbstverwaltung. Eine Volkswirtschaft zwischen Dauerkrise
und gescheiterten Reformen, in: Furkes/Schlarp (Hg.), Jugoslawien.
Ein Staat zerfällt, Reinbek 1991 S.134 - 164, hier: S.137.
6
Zitiert in: Hansgeorg Conert, Die »sozialistische
Marktwirtschaft« in der Schuldenkrise, in: Elmar Altvater
u.a.(Hg.), Die Armut der Nationen, Berlin 1987, S.182-192, hier:
S.185.
7 Das Kriterium der Arbeitsproduktivität bezieht sich
direkt auf die Ausnutzung der Arbeit der Menschen, daneben ist die
Produktivität auf gesellschaftlicher Ebene z.B. durch die
Ausgaben für Soziales eingeschränkt, wenn die Reproduktion
der Bevölkerung auf gesellschaftlicher Ebene in Relation zu
anderen Staatsinvestitionen weniger einbringt. Die internationalen
Austauschbeziehungen sind ihrerseits durch Mechanismen des
Werttransfers in die Metropole geprägt, so daß die
gesellschaftliche Rentabilitätsrechnung sich letztlich an einer
internationalen Profitrate orientieren muß. Sie ist das
Resultat aus der Optimierung sozialer Gewalt mittels technologischem
Vorsprung, Eigentumsrecht als Kommando über (Haus-) Arbeit,
militärische Macht und Stand der medialen
Manipulationsmöglichkeiten. Über die Globalisierung der
Finanzmärkte und "offene Grenzen" (GATT) erfolgt die
Anpassung relativ direkt, ohne das der Nationalstaat die Möglichkeit
hätte, sich durch eigene Gestaltung von Wechselkursen und
nationaler Geldschöpfung abzupuffern.
8 Gabriele Herbert,
Rationalisierung und Arbeitslosigkeit in der jugoslawischen
Selbstverwaltung, Bremen. Dieselbe, »Die
Arbeiterselbstverwaltung ist nicht Ursache der Krise«, in:
Catherine Samary, Krieg in Jugoslawien, isp-Verlag, Köln 1992;
Rudi Supek, Probleme und Erfahrungen der jugoslawischen
Arbeiterselbstverwaltung, in: Althammer, Jugoslawien am Ende der Ära
Tito, München 1986, S.159-185.
9 Bruno Schönfelder,
Reflections on Inflationary Dynamics in Yugoslavia, in: Comparative
Economic Studies, Vol. XXXII, No.4, Winter 1990, S.85-105.
10
Schönfelder, a.a.O. S.100f.
11 Gabriele Herbert, in: Die
Arbeiterselbstverwaltung a.a.O. S.107
12 NZZ v. 10.12.87
13
Archiv der Gegenwart vom 8. September 1987 (S.31402), FR v. 10.9.93.
Süddt. Ztg. v. 24.9.87
14 FR v. 27.11.87
15 Vgl. Karl
Heinz Roth, Einleitung des Bearbeiters, in:
O.M.G.U.S.(Militärregierung der Vereinigten Staaten für
Deutschland) Ermittlungen gegen die Dresdner Bank, 1946, Nördlingen
1946, den Abschnitt über die Bankenkrise 1931, S. XI -XXXI.
Damals stand genauso der Staatsbankrott an. Die Nazis schoben den
Staatsbankrott über künstliche Finanzierung bis zum
Weltkrieg auf, um dann durch äußeren Raub und neue Ordnung
die kapitalistische Rekonstruktion herbeizuführen.
<- Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie | Nationalismus
und Ethnisierung ->
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil IV -
Nationalismus und Ethnisierung
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus und
Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
- Teil 4
-
-
Nationalismus und Ethnisierung
-
-
»Ohne die Vereinigung mit Europa haben wir keine
Entwicklungschance. Das impliziert gleichzeitig die Standardisierung
ökonomischer Kriterien und auch die Übernahme der in der
europäischen Gemeinschaft üblichen Verhaltensmuster. Hier
liegt indes auch etwas anderes verborgen. Wenn wir uns den
»europäischen Stil« nicht aneignen, werden wir
isoliert bleiben, eignen wir ihn uns aber an, so werden wir Teil der
westeuropäischen Integration werden müssen. Die Frage ist
jedoch, inwieweit unsere innere Situation die Integration
begünstigt. Deshalb muß man annehmen, daß wir noch
lange Zeit ein unterentwickeltes Bauernland bleiben werden.«
-
-
Die Worte des Belgrader Politologen Dragan Veselinov von 1988 also
am Vorabend des Krieges, haben quasi programmatischen Charakter
sowohl für das Scheitern des jugoslawischen Entwicklungsmodells
als auch für das Verständnis des gewalttätigen
Modernisierungsprozesses, der in Ex-Jugoslawien momentan vollzogen
wird. Das sozioökonomische Entwicklungsgefälle
Ex-Jugoslawiens ist geprägt von fast kontinentalen Ausmaßen:
Während sich im Norden im Laufe des über 100jährigen
Industrialisierungsprozesses eine gesellschaftliche Infrastruktur
entwickelt hat, die weitgehend westeuropäischen Zuschnitt
erreicht, verlief der nach dem 2.Weltkrieg einsetzende
Modernisierungsprozeß des Südens d.h., der bis Ende des
letzten Jahrhunderts unter osmanischer Herrschaft stehenden
Regionen, als ungleichzeitige Entwicklung, in der die Modernisierung
des ökonomischen Terrains punktuell blieb und nicht im gleichen
Maße eine Modernisierung der Gesellschaft bewirkte bzw. diese
auch nicht im gleichen Maße bewirken sollte, da in der
Beibehaltung der Verbindungen zum Dorf erst die Möglichkeit der
Produktivierung der privaten kleinbäuerlichen, am Eigenbedarf
orientierten Bauernökonomie lag, die nun quasi das Einkommen
der mobilisierten und proletarisierten Familienmitglieder
subventionierte und damit helfen sollte, die Reproduktionskosten in
den neu entstandenen Industriezentren möglichst niedrig zu
halten. Ehedem wurde ein Großteil der Kosten der
Industrialisierung durch die staatlich verordneten Niedrigpreise für
landwirtschaftliche Erzeugnisse den privaten Kleinbauern abgepreßt.
Der immer wieder auftauchende Begriff der Ȇbersetzung
-
» der Landwirtschaft etc. des Südens bezeichnet hier die
entwicklungssoziologische Verschleierung der Verfestigung der
Kontinuität einer »moralischen Ökonomie«,
deren Konsumorientiertheit die Grenzen einer Inwertsetzung nach
hinten verlagerte und eine permanente Rationalisierungsblockade
darstellte. Dieses Entwicklungsgefälle, welches nicht nur ein
sozioökonomisches war, sondern, bedingt durch die historisch
different entwickelte Gesellschaftlichkeit der einzelnen Regionen,
auch eine soziokulturelle Ausformung fand, bildet nun den
Hintergrund des Verständnisses der gegenwärtigen
Situation.
-
Neben dem Transfer aus dem agrarischen Wertraub war der
Nachkriegsmodernisierungsprozeß Jugoslawiens jedoch im
wesentlichen außenfinanziert, was nur möglich war durch
die spezifische geopolitische Lage Jugoslawiens an der Schnittstelle
des Ost-West-Konflikts. Dieser strategische Vorteil verschaffte dem
Regime während des »kalten Kriegs« sowohl vom
Westen als auch vom Osten die benötigten materiellen
Ressourcen, um einerseits einen massiven Modernisierungsprozeß
einzuleiten und andererseits die sich daraus ergebenden bzw.
vorhandenen sozialen Konflikte abzudämpfen. Die Geschichte des
gescheiterten jugoslawischen Entwicklungsmodells liest sich
dementsprechend, bis in die 80er Jahre, wie eine Geschichte des
Zurückweichens vor den sozialen Spannungen.
-
Und dennoch gelang in den verschiedenen Modernisierungsphasen eine
Zerlegung des sozialen Raums, die zwar im produktivistischen Sinne
dysfunktional war, die aber eine Zerstörung von
Gesellschaftlichkeit zur Folge hatte, die seit den 80ern und
besonders mit Kriegsbeginn zum Ansatzpunkt der kriegsmäßigen
Deregulierung wird. Im wesentlichen ging es dabei um die ungelöste
Agrarfrage, die im Laufe des Modernisierungsprozesses immer mehr, im
doppelten Sinne, in die Zange genommen wird. Zum einen geschah dies
durch die Industrialisierungs- und Modernisierungsprogramme selbst,
die eine deutliche Präferenz in Richtung eines Ausbaus der
industriellen Infrastruktur der Gesellschaft besassen, und zum
anderen kam es innerhalb dieses Entwicklungsprozesses zu einer
»Revolution der Erwartungen« besonders der jungen
Generation, die v.a. im Süden den Migrationsprozeß enorm
antrieb und die Absorbtionsmöglichkeiten des industriellen bzw.
des modernen Sektors bei weitem überstieg.
-
Die räumliche Fluktuation, in Jugoslawien schon immer ziemlich
hoch, steigerte sich seit den 70ern weiter und führte besonders
im Norden und in den neuen Industriezentren zu einem Zustrom von in
der Regel unqualifizierten jungen Männern aus dem Süden,
die meist der Plackerei der Landwirtschaft entflohen sind, aber noch
stark von den sich auflösenden dörflichen Strukturen
geprägt sind, oft Sprachschwierigkeiten haben, in
Barackenlagern oder Wohnheimen wohnen, wo sie häufig von vor
ihnen migrierten EinwohnerInnen ihres Herkunftsortes aufgenommen
werden und zumeist schwere körperliche Arbeit verrichten
müssen, sofern sie überhaupt einen Job finden. Während
die Frauen, Alten und Kinder häufig auf dem Land zurückbleiben
und die Landwirtschaft mehr und mehr zur Domäne der Frauen
wird, sind die jungen Migranten »Gastarbeiter im eigenen
Land«, räumlich und sozial von der eingesessenen
Bevölkerung getrennt. Sie sind im Norden der sichtbare Ausdruck
des jugoslawischen Nord-Süd-Konflikts, des Hereindrängens
der Peripherie in die Metropole.
-
Im Zuge der Kontraktion der jugoslawischen Ökonomie im Gefolge
der globalen Deregulierung, des Verlusts der strategischen
Besonderheit durch den Wegfall des Ost-West-Konflikts und des damit
einhergehenden Ausbleibens der politischen Kreditierung des maroden
jugoslawischen Entwicklungsmodells kommt es nicht nur zu einer
Zuspitzung der sozialen Kämpfe, sondern auch zu einer
Politisierung des Nord-Süd-Konflikts, der die Lösung der
»ungelösten Agrarfrage« zur jeweils spezifischen
Integration der nunmehr zu Nationalstaaten mutierten Republiken in
den europäischen Wirtschaftsraum bewerkstelligen soll. Und
diese Politisierung des Nord-Süd-Konflikts transformiert nun
auch die sozialen Kämpfe in einen neuen nationalistischen
Korporatismus und verbindet die sozialen Aspirationen mit einer
Teilnahme an den Vertreibungs- und Vernichtungsszenarien gegen die
nunmehr als »Überbevölkerung« definierten
Roma, Albaner, Muslime...
-
Doch dieser Transformationsprozeß erwies sich zunächst
als sehr fragil, immer wieder durchbrach der soziale Prozeß
die engen nationalistischen Grenzen, so daß sich letztlich nur
im Medium des Krieges die Modernisierung der Sozialstruktur
durchsetzen ließ. Im Zentrum des Kriegs steht dieser ungelöste
jugoslawische Nord-Süd-Konflikt, die »ungelöste
Agrarfrage«, die nun im Krieg ethnisch zerlegt wird,
bevölkerungspolitisch modernisiert durch Vernichtung und
Vertreibung der »Überschußbevölkerung«,
die erst im Krieg freigesetzt und geschaffen wird und durch
Umsiedlungen produktiv neu zusammengesetzt werden soll. Während
in den nördlichen Republiken dieser Prozeß geradezu
klassisch metropolitan als Loslösung von den südlichen
»Hungerleiderrepubliken« und durch die Ethnisierung des
Arbeits- und Wohnungsmarktes vollzogen wird, entfaltet sich dieser
kriegsmäßige Ethnisierungsprozeß der sozialen Frage
in den südlichen Republiken mit geballter Kraft und in den
unterschiedlichsten Facetten.
-
Die Problematik der Darstellung der Ethnisierungsprozesse im
ehemaligen Jugoslawien bestand nun u.a. darin, daß die
Begrifflichkeit oft die Differenzierungslinien der Ethnisierung
nachzuzeichnen scheint, indem mit den Begriffen, z.B. »die
Albaner
-
«, eine ethnische Homogenität reproduziert wird. Daß
diese Gesellschaften natürlich in sich überaus
differenziert sind, ändert aber nichts daran, daß sie als
gesamte angegriffen werden. Die Ethnisierung bestand genau darin,
die politische Differenzierung des jugoslawischen Sozialraums, die
sich in der Unterscheidung der verschiedenen Nationalitäten
ausdrückte, was ganz sicherlich einen entwicklungsrassistischen
Hintergrund ausdrückte, aber mitnichten einer Ethnisierung des
Ausbeutungsgefälles und der gesellschaftlichen Beziehungen
entsprach, im Sinne einer Konstruktion ethnischer Differenz
umzudeuten. Dafür ließen sich aber keine neuen Begriffe
finden, was sicherlich auch der fehlenden Diskussion und daher der
eigenen Unfähigkeit geschuldet ist.
-
Im folgenden soll nun dieser Ethnisierungsprozeß exemplarisch
am Beispiel des Kosovo, Serbiens und Bosnien-Herzegowinas
nachgezeichnet werden, um anschließend wieder zu einer
Gesamtbetrachtung zusammengefügt zu werden.
-
-
I. Kosovo
-
Der Konflikt im Kosovo hat für den Ethnisierungsprozeß in
Jugoslawien paradigmatische Bedeutung und ist gleichzeitig die
Initialzündung des gesamten kriegerischen
Deregulierungsprozesses in Jugoslawien gewesen, der sich dann
allerdings in seiner ganzen Brutalität im Krieg um
Bosnien-Herzegowina entfaltet.
-
Der Kosovo (ca.2 Mio. Einwohner, davon über 80% AlbanerInnen)
zählt mit einer Bevölkerungsdichte von 147 Menschen pro
qkm zu den am dichtesten besiedelten Teilen des ehemaligen
Jugoslawien (durchschnittlich ca. 80 Menschen pro qkm). Ihr
Auskommen fanden die Menschen bisher v.a. in der stark übersetzten
Landwirtschaft, die wenig technisiert, subsistenzwirtschaftlich
ausgerichtet, auf kleinen privaten Höfen durch die mehrere
Generationen umfassende Großfamilie organisiert war, und im
städtischen Handwerk und Kleinhandel. Auch hier ist die
vorherrschende Produktionsform die in einem Haus wohnende mehrere
Generationen umfassende Großfamilie. Handel und Handwerk
gelten ebenfalls als stark übersetzt. Daneben gibt es einen
stark kapitalintensiven und extrem monostrukturell ausgerichteten
Industriesektor (v.a. Energiewirtschaft und Metallurgie) und
natürlich, wie überall, nicht nur in Jugoslawien, einen
aufgeblähten Verwaltungs- und Parteiapparat. Zumindest bis zum
Prozeß der kriegsbedingten Mobilisierung bzw. Vertreibung der
albanischen Bevölkerung hat sich die stark patriarchal
strukturierte Großfamilie aufgrund ihrer zentralen
ökonomischen Bedeutung über die Jahrzehnte hinweg relativ
stabil halten können.
-
-
Geschichte
-
Nach der Niederlage der deutschen Wehrmacht im Herbst 1944
übernahmen keineswegs die Tito-Partisanen die Macht im Kosovo,
sondern die albanischen Nationalisten der »Balli kombetar«,
die einen starken Rückhalt in der Bevölkerung hatten, wie
selbst Tito eingestehen mußte. Mit militärischer
Unterstützung Albaniens zwangen die jugoslawischen Kommunisten
den Kosovo im Februar 1945 unter eine Militärverwaltung. Nach
einem mehrere Monate dauernden Kampf waren die Kräfte der Balli
kombetar im Juli 1945 besiegt und die Militärverwaltung wurde
aufgehoben. Ruhe herrschte damit noch lange nicht im »gefährlichsten
Teil des Landes«, wie der Kosovo schon damals genannt wurde,
und noch lange gab es in den Bergen und Wäldern einen
Partisanenkrieg gegen das kommunistische Regime.
-
Nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin 1948 begann eine Phase des
Terrors gegen die jetzt als »konterrevolutionär«
abgestempelte albanische Bevölkerung, die sich bis Anfang der
60er Jahre hinziehen sollte.
-
Zwar flossen seit Ende der 50er Jahre Investitionen in die
wirtschaftliche Entwicklung des Kosovo, im Vergleich mit den anderen
Regionen Jugoslawiens waren diese aber dermaßen gering, daß
sich der Abstand des Kosovo, als ärmster Region Jugoslawiens,
zu den anderen Republiken noch weiter vergrößerte. Die
Errichtung sogenannter »politischer Fabriken« zielte
allerdings auch keineswegs auf eine wirtschaftliche Entwicklung des
Kosovo - die Fabriken waren wohl zu einem Teil als Verlustbetriebe
konzipiert - sondern waren der erste Versuch der materiellen
Einbindung einzelner Teile der Bevölkerung und damit der
Versuch der Zersetzung der widerständischen Sozialität.
-
Der Zerfall des Zentralismus seit Ende der 50er machte sich für
die AlbanerInnen des Kosovo positiv bemerkbar. Seit Anfang der 60er
Jahre nimmt der repressive Druck deutlich ab (die Polizei bestand
überwiegend aus Serben), und mit dem Brioni-Plenum 1966 beginnt
nun im Kosovo eine Epoche der Modernisierung die bis 1981 dauern und
gravierende ökonomische, politische, soziale und kulturelle
Veränderungen mit sich bringen sollte - und dies nicht nur für
den Kosovo.
-
Ein gewaltiges Investitionsprogramm setzte ein, was allerdings v.a.
dem Ausbau der vorhandenen kapitalintensiven Basisindustrie im
Bergbau und dem Energiesektor zugute kam und nur wenige
Arbeitsplätze schuf. Die neuen industriellen Arbeitsplätze
in der entstehenden verarbeitenden Industrie schufen aber einen
Anreiz zur Landflucht ebenso wie die Öffnung der
Beschäftigungsmöglichkeiten für AlbanerInnen in
Polizei und Verwaltung. Der Abbau der Beschäftigungsprivilegien
für Serben führte zu einer starken Abwanderung von Serben
aus dem Kosovo, was weitere Arbeitsmöglichkeiten für die
Albaner freisetzte(bei der Vergabe von Arbeitsplätzen wurde nun
die Kenntnis der albanischen Sprache verlangt). Schrittweise kam es
zu einer »Albanisierung« des wirtschaftlichen Lebens im
Kosovo. Die Landflucht und die partielle Modernisierung der
Landwirtschaft (von 1948 bis 1981 verringerte sich der Anteil der
landwirtschaftlich Tätigen an der Gesamtbeschäftigungszahl
von 80,9% auf immerhin noch 54,6%) führten auch erstmals zu
einer geringen Steigerung der Agrarproduktivität.
-
Das Modernisierungsprojekt war aber so konzipiert, daß damit
die sozialen Probleme des Kosovo nicht zu lösen waren. Im
Gegenteil: die Struktur der Modernisierung (Modernisierung und
Beschäftigungsabbau in der Landwirtschaft, Bevorzugung der
kapitalintensiven und nicht beschäftigungsintensiven Industrie)
verschärfte die ökonomische und soziale Situation in der
Region, die die höchste Geburtenrate Europas aufweist, hin zu
trikontinentalen Verhältnissen. Die Schere zwischen der
wirtschaftlichen Entwicklung des Kosovo und den anderen Republiken,
auch der übrigen Entwicklungsgebiete, vergrößerte
sich immer weiter. Die Arbeitslosigkeit nahm drastisch zu, da nun
auch die »versteckte Arbeitslosigkeit« des Agrarsektors
durch die Migration ein Stück weit sichtbar wurde. V.a.
Jugendliche unter 19 Jahren, die über 50% der
Kosovo-AlbanerInnen ausmachen, waren arbeitslos. Auch die Aufblähung
des Bildungssektors, die Universität Pristina wurde in den
70ern die größte Jugoslawiens, konnte diesen Zustand nur
wenig kaschieren. Die Universität wurde zudem zu dem Ort, an
dem sich der albanische Nationalismus seit den 60ern entwickelt.
-
Der Kosovo war ein soziales Pulverfass, und es schien nur eine Frage
der Zeit, wann es explodieren würde.
-
-
1981
-
Am 11.3.1981 kam es mittags zu einem Protest von StudentenInnen der
Universität Pristina wegen der schlechten Qualität des
Mensaessens und gegen die schlechten Lebens- und
Arbeitsverhältnisse. Der zunächst friedliche Verlauf der
Demonstration von ein paar hundert StudentInnen ins Stadtzentrum
schlug um, als ein Gerücht in Umlauf kam, daß es
Verhaftungen gegeben habe. Darauhin bildete sich ein weiterer Zug,
der mit Parolen die Freilassung der Gefangenen forderte, bis
schließlich die gesamte Demo in eine Demonstration gegen die
Parteiführung des Kosovo umschlug. Die Miliz ging mit Tränengas
gegen die mittlerweile mehrere tausend Menschen umfassende Menge
vor, und es entwickelte sich eine Straßenschlacht, bei der 2
Milizionäre schwer verletzt wurden. Über die Ereignisse
wurde eine Nachrichtensperre verhängt - erst 14 Tage später
erfuhr die jugoslawische Öffentlichkeit, was geschehen war. Die
Parteiführung suchte das Gespräch mit den StudentInnen, um
die Explosivität der Stimmung abzubauen und eine weitere
Ausweitung auf die Bevölkerung zu verhindern.
-
Am 26.3. kam es erneut zu einer Demonstration, da sich seit dem
11.3. nichts verändert hatte. Neben den sozialen Forderungen
tauchten nun auch erstmals nationalistische Parolen auf: »Kosovo
den Kosovaren«, »Wir sind Albaner, nicht Jugoslawen«.
Die Parteiführung des Kosovo hatte nun den Innenminister um
»Hilfe« gebeten, und so gingen diesmal nicht lokale
Polizeieinheiten gegen die StudentInnen vor, sondern
Spezialeinheiten. Sie zerschlugen die Demonstration mit ungewohnter
Brutalität und verfolgten und verprügelten die
StudentInnen bis in die Wohnheime hinein.
-
In den folgenden Tagen kam es im gesamten Kosovo zu
Auseinandersetzungen mit der Polizei. Doch jetzt waren es nicht mehr
die StudentInnen allein, sondern auch die ArbeiterInnen, die ihre
Fabriken verließen, um gegen ihre miesen Lebensbedingungen zu
demonstrieren. Die ganze Region schien zu explodieren: Die Situation
war eskaliert. Am 2.4. wurde über die gesamte Region der
Ausnahmezustand verhängt und das Militär zur
Niederschlagung des Aufstandes eingesetzt. Nach 100 Toten war die
Friedhofsruhe wieder hergestellt.
-
Die Niederschlagung des Aufstandes beendete die 15jährige
Modernisierungsphase des Kosovo. Das Konzept der nachholenden
Entwicklung des Kosovo war genauso gescheitert wie sein großes
Vorbild, die Entwicklungsdekade der UN. Weder konnten die Strukturen
auf dem Land modernisiert werden noch konnte die Industrialisierung
Schritt halten mit dem Bedarf an Einkommensmöglichkeiten
außerhalb der Landwirtschaft. Die Landflucht verwandelte
Pristina dagegen in einen Vorhof des Landes: Selten migrierten ganze
Familien, so daß zumindest ein Standbein weiter auf dem Land
blieb und die Zirkulation von Erfahrungen von der Stadt auf das Land
enorm beschleunigt wurde, was die rasche Ausbreitung des Aufstandes
enorm begünstigte. Pristina wuchs nach dem 2.Weltkrieg von
14.000 Einwohnern auf heute ca. 140.000, was zu einem rapiden
Verfall und zur Verslumung führte.
-
Die Initiation moderner Sozialstrukturen war in einem solchen Chaos
nicht möglich, so daß die Großfamilie, obwohl
ökonomisch und sozial in ihrer traditionellen Funktion schon
stark eingeschränkt, als Residualgröße weiterhin der
wesentliche Bezugsrahmen blieb. Die Großfamilie in ihrer neuen
intermediären und intermittierenden Funktion, zwischen Stadt
und Land, zwischen Moderne und Tradition, ist nun auch der soziale
Ort, an dem der albanische Nationalismus neu entsteht: und zwar in
dem städtischen intellektuellen Bereich, welcher durch die
Ausweitung des Bildungssektors einem Modernisierungsprozeß
unterworfen war, in dem sich der traditionelle Bezugsrahmen auf die
Großfamilie in ein nationales Projekt transformierte, in
welchem die modernisierten städtischen Eliten die legitimen
nationalen Führer der neugeschaffenen unterdrückten und
nach Befreiung strebenden »Nation« sind. Bis 1981 ist
der Nationalismus jedoch im wesentlichen noch ein hochkopiertes
Großfamilienprojekt, und nirgendwo scheint die Dominanz der
sozialen Frage durch nationalistische Forderungen konterkariert zu
werden. Und doch ist der Nationalismus der AlbanerInnen ein Zeichen
der Zersetzung der sozialen Frage.
-
-
1981-1990
-
Das jugoslawische Regime war 1981 schon am Rande des
wirtschaftlichen Kollapses und besaß nun nicht mehr, wie noch
1968, die Ressourcen, um mit Hilfe einer selektiven materiellen
Einbindung die Sozialbewegung in ihrer Feindlichkeit gegenüber
dem Regime aufweichen zu können. Auch war die Massivität
und Breite des Aufstands ein Zeichen dafür, daß es hier
nicht mehr mit neuen Umverteilungsmodalitäten allein getan war,
sondern eine soziale Revolution sich von ganz unten zu entwickeln
drohte, deren Aspirationen durchaus auf andere Regionen überspringen
konnten und einen nicht mehr zu stoppenden Flächenbrand
revolutionärer Bewegungen aulösen könnten. Derart in
der Klemme, einerseits der drohende ökonomische Kollaps und die
Dringlichkeit einer Deregulierungsstrategie und auf der anderen
Seite die Drohung einer sozialen Revolution, blieb dem Regime als
letzte Option der Angriff auf die sozialen Strukturen des Kosovo.
Der Aufstand bedrohte die Überlebensmöglichkeiten des
Regimes und war daher nur als »Konterrevolution«
wahrnehmbar.
-
Die erste Reaktion des Regimes war eine Säuberungswelle in der
Partei und im Staatsapparat, »Differenzierung« genannt,
die nicht nur Funktionäre traf, sondern ebenso hunderte
einfacher Parteimitglieder ausschloß (Die Parteimitgliedschaft
war, wie überall im Sozialismus, mit gewissen Privilegien, z.B.
bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, verbunden).
-
Nach Säuberungen in den Fabriken verloren tausende AlbanerInnen
ihren Arbeitsplatz. Investitionen flossen kaum noch in den Kosovo,
und es begann ein Deindustrialisierungsprozeß, der von einer
massiven Migrationsbewegung begleitet war(es wird geschätzt,
daß in den 80ern ca. 200.000 AlbanerInnen und 40.000 SerbInnen
den Kosovo verließen).
-
Die Gefangenen des Aufstands, zumeist junge Männer, wurden als
Konterrevolutionäre zu extrem hohen Zuchthausstrafen
verurteilt. Die Kriminalisierung der politischen und sozialen
Opposition und ihre Verurteilung zu langjährigen
Zuchthausstrafen bereits für kleinste »Vergehen«
bzw. geplante und nicht ausgeführte »Delikte« (wie
z.B. Flugblattverteilen und Parolenmalen) ist die einzige Form des
administrativen Umgangs mit der sozialen und politischen Krise des
Kosovo. Schon 1983 sind über 40% der politischen Gefangenen
Jugoslawiens AlbanerInnen, und die meisten sind noch keine 25 Jahre
alt.
-
Am einschneidensten aber ist die Ethnisierung des sozialen
Konflikts. Sie ist die Klammer zwischen der sozioökonomischen
Deklassierung und Entrechtung der AlbanerInnen und der serbischen
Neuordnungspolitik, die ein bevölkerungspolitisches Programm
durchsetzt, welches sich in den 90ern zum drohenden Genozid an den
AlbanerInnen zuspitzen soll.
-
Unmittelbar nach der Liquidierung des Aufstandes setzte in
sämtlichen serbischen Medien eine gezielte Kampagne gegen die
AlbanerInnen des Kosovo ein. Im Mittelpunkt steht dabei der
angebliche Genozid an den Serben im Kosovo, d.h. das reale Faktum
der Abwanderung von Serben aus dem Kosovo während der bis 1981
laufenden Modernisierungsperiode wird dahingehend umgedeutet, daß
die Serben im Kosovo von den Albanern gedemütigt, beleidigt,
verfolgt und von Vertreibung und Vernichtung bedroht würden.
Tatsächlich ist es die mediale Inszenierung einer serbischen
Opfergemeinschaft, die mithilfe der Kolportage von Vergewaltigungen
serbischer Frauen, der Schändung serbischer Kirchen und
Friedhöfe, des Abbrennens der Felder serbischer Bauern etc.
durch »die Albaner« einen Vernichtungsangriff auf die
geistige, kulturelle und materielle Identität »der
Serben« suggeriert, der einem Genozid gleichkomme.
-
Für die nationalistischen Serben war der Kosovo seit eh und je
serbisches Kernland (die serbische Bezeichnung für den Kosovo,
die bis 1968 und seit 1989 wieder die offizielle ist, ist
»Kosovo-Metohija«. Metohija leitet sich ab vom
griechischen Begriff »metoh«, der soviel wie
»Kirchengut« bedeutet. Kirchen und Klöster sind im
Kosovo im wesentlichen Stiftungen der serbischen Könige aus dem
13. und 14. Jahrhundert. Es ist einleuchtend, daß dieser
Begriff von den Albanern abgelehnt wird, zumal die Bedeutung der
Kirche für die Albaner im wesentlichen in der Opposition gegen
das kommunistische Regime bestand. Wichtig für den serbischen
Nationalismus ist sicherlich auch die Revitalisierung des Mythos der
Schlacht vom Amselfeld, welcher geradezu klassisch die Inszenierung
einer Opfergemeinschaft als Identitätsstiftung darstellt.). Die
Kosovo-Problematik nimmt nun auch im Memorandum der »Serbischen
Akademie der Wissenschaften und Künste«, welches als
programmatisches Grundsatzprogramm des serbischen Nationalismus
gilt, eine herausragende Bedeutung ein. Damit kündigt sich an,
was kurze Zeit später im Kosovo bittere Realität werden
sollte: Der Beginn der projektierten Liquidierung der Kosovo-Frage.
Ein Jahr nach Veröffentlichung des Memorandums, auf dem
Höhepunkt der sozialen Krise Jugoslawiens und dem endgültigen
Scheitern der Modernisiererfraktion der Jugoperestroika, übernimmt
eben jener nationalistische Flügel um Milosevic die
Parteiführung.
-
Schon vor der Machtübernahme im September 1987 demonstriert
Milosevic, welche neue Qualität der serbische Nationalismus in
den nächsten Jahren erreichen wird: Im Mai 1987 kommt es in
Kosovo Polje, einem mehrheitlich von Serben bewohnten Ort in der
Nähe von Pristina, zum ersten organisierten nationalistischen
Massenmeeting, einem »mitinsi« der Serben gegen ihre
»gewaltsame Vertreibung« aus dem Kosovo.
-
Die nationalistischen Massenmeetings der Serben im Kosovo hatten
ihre Funktion in der populistischen Flankierung der
Serbisierungspolitik der Milosevic-Fraktion. Die Angriffe auf die
ökonomischen, politischen und kulturellen
Überlebensmöglichkeiten der AlbanerInnen verwandelten sich
im Konzert von administrativer Serbisierungspolitik, ökonomischem
Aushungern, nationalistischen Massenmeetings und anti-albanischen
Pogromen zu einer vollständigen Einkreisung, die jetzt auch
mehr und mehr dem Nationalismus bei den Albaner, als ideologischer
Restgröße des Anspruchs auf Überleben, zur
Durchsetzung verhalf. Nur aus diesem Zusammenhang ist es zu
verstehen, daß die Initialzündung des erneuten
Aufbegehrens der AlbanerInnen die Serbisierung der KP-Führung
des Kosovo war, gegen die sie noch 1981 gekämpft hatten.
-
Aus Protest gegen die Ablösung der albanischen KP-Führer
Jashari und Vllasi brachen am Morgen des 17.11.1988 ca. 3000
Bergarbeiter des Bergwerks »Stari Trg« zu einem
Protestzug, dem »Marsch des Zorns«, ins 52 km entfernte
Pristina auf. Im Laufe des Tages schlossen sich immer mehr Menschen
dem Zug an. Die Stimmung wurde immer brisanter und konnte auch nicht
durch das Auftreten von Vllasi beruhigt werden. Aus allen Teilen des
Landes kamen immer mehr Menschen nach Pristina, und am nächsten
Tag waren es schon 70.000. Am 19.11. demonstrierten schließlich
250.000 Menschen in Pristina für das Selbstbestimmungsrecht der
Kosovo-Albaner. Erst als die Parteiführung zusagte, die
Absetzung der beiden Politiker erneut zu »prüfen«,
löste sich die Demonstration wieder auf.
-
Die Serbisierungspolitik ging jedoch unverändert weiter ebenso
wie der ökonomische und repressive Druck auf die AlbanerInnen,
und in der Folgezeit kam es immer wieder zu kleineren Streiks und
Demonstrationen im gesamten Kosovo.
-
Als nun Rahman Morina, der »Lakai Belgrads«, zum neuen
Parteichef des Kosovo bestimmt wurde, eskalierte die Stimmung aufs
Neue. Am 20.2.1989 weigerten sich 1300 Bergleute von »Stari
Trg« aus Protest gegen die Serbisierungspolitik, die
Untertageschächte zu verlassen. Die Welle der
Solidaritätsstreiks erfaßte zunächst fast alle
Bergleute des Kosovo, und am 23.2. befand sich der gesamte Kosovo in
einem nicht erklärten Generalstreik, dem sich auch mehr und
mehr die lokalen Partei- und Verwaltungsinstitutionen anschlossen.
Die Sicherheitskräfte hielten sich total zurück, während
das Staatspräsidium mit der Einführung des
Ausnahmezustands drohte. Schließlich begab sich Azem Vllasi zu
den Bergleuten und versuchte sie zum Abbruch des Streiks zu bewegen.
Dies gelang aber erst, als Morina zurückgetreten war.
-
Noch während der Generalstreik lief, wurde am 23.2. in Belgrad
die Verfassungsänderung beschlossen, die die Autonomie des
Kosovo aufhob.
-
Als das Provinzparlament des Kosovo am 23.3. die Verfassungsänderung
annahm, eskalierte der Konflikt endgültig. Es kam zu tagelangen
militanten Auseinandersetzungen, und erstmals wurde von Seiten der
Demonstranten zurückgeschossen. »Sondermaßnahmen«,
d.h. der erste Schritt zur Einführung des Ausnahmezustands, und
die paramilitärische Unterdrückung des Aufstands führten
zu massiven Verhaftungswellen, und tausende wurden in
Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt. Allein 1032 Arbeiter aus
Urosevac wurden verurteilt, weil sie nach Einführung der
»Sondermaßnahmen« nicht zur Arbeit erschienen
waren. Mindestens 2oo Menschen wurden getötet.
-
Die Serbisierung aber ging weiter ebenso wie die Massenmeetings, die
gerade jetzt auch immer größer wurden: Allein am
28.6.1989, dem 6oo. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld,
mobilisierten die serbischen Nationalisten 1 Million Menschen.
-
Ende Januar 1990 kam es bei einem Sonderparteitag des BdJK, dem
letzten gemeinsamen in der Geschichte Jugoslawiens, zur Ablehnung
aller Liberalisierungsforderungen, u.a. derjenigen, die die
Situation im Kosovo entschärfen sollten. Im Kosovo setzte
daraufhin eine erneute Streikwelle ein, die das ganze Land erfaßte.
Der sich anschließende Aufstand konnte erst nach Tagen
heftigster Auseinandersetzungen von den paramilitärischen
Polizeieinheiten zerschlagen werden. Erstmals wurde zur
Unterstützung der Polizei die JNA aufgefahren, ohne jedoch
vorerst direkt in die Kämpfe einzugreifen. Ab Anfang Februar
übernahm aber das Militär sukzessive die Verwaltung des
Kosovo, und am 2.6. kam es, nach der Absetzung des
Provinzparlaments, zur Einsetzung eines serbischen Ausnahmeregimes
im Kosovo. Die Militärdiktatur war damit auch de jure
eingeführt.
-
Als erstes wurde die Reisefreiheit der AlbanerInnen innerhalb des
Kosovo eingeschränkt sowie den außerhalb des Kosovo
arbeitenden AlbanerInnen die Rückreise zu ihren Familien
verboten. Der Streik hielt jedoch weiter an und konnte erst unter
den Bedingungen des Ausnahmeregimes langsam zerschlagen werden.
-
Die Systematik der Unterdrückung der AlbanerInnen nahm unter
dem Kriegsrecht die Form des strukturiert geplanten drohenden
Genozid an. Sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens im
Kosovo wurden einer ethnischen Säuberung unterzogen. Schulen,
Betriebe, Kleingewerbe, Gesundheitswesen, Wohnungssektor....,
überall wurden die AlbanerInnen per Gesetz oder direkt
gewalttätig »herausgesäubert« und durch
SerbInnen ersetzt, die zumeist direkt aus dem »Engeren
Serbien« umgesiedelt wurden. Die Energieversorgung, das
ökonomische Herzstück des Kosovo, wurde umgehend unter
direkte Militärverwaltung gestellt: Damit war erstmals ein
Organ der Arbeiterselbstverwaltung in einem großen Betrieb
militärisch weggeputscht. Aber nicht allein im städtischen
und industriellen Sektor wurde ethnisch gesäubert. Auch auf dem
Land wurden die AlbanerInnen von ihren Höfen vertrieben und
durch serbische Neusiedler ersetzt. Dies erfüllte gleichzeitig
den Zweck der Rationalisierung der Landwirtschaft, indem der
personelle Besatz gesenkt und der technologische erhöht wurde.
-
-
Vertreibung
-
Den AlbanerInnen blieb nichts als die Verteidigung ihrer nackten
Existenz und die Flucht. Der Krieg im Kosovo ist entgegen den
Beschönigungen in Presse und Politik längst im Gange, ein
Ende nicht abzusehen und damit auch nicht das Ende der Umsiedlungen
und der ethnischen Säuberungen, d.h. der Vernichtung und
Vertreibung der AlbanerInnen. Es kommt zwar ständig und überall
im Kosovo zu mehr und mehr auch bewaffneten Auseinandersetzungen,
angesichts der militärischen Lage erscheint dies momentan aber
aussichtslos. Wieviele AlbanerInnen im Kosovo noch leben und
wieviele schließlich überleben werden ist nicht
voraussehbar.
-
Der drohende Genozid an den AlbanerInnen hat ganz sicherlich zu
einer Verfestigung des Nationalismus bei ihnen geführt und die
radikalen Nationalisten um Cosja gestärkt, was auch im
Interesse des serbischen Regimes ist, lassen sich doch
nationalistische Eliten besser funktionalisieren als soziale
Ansprüche einer »überflüssigen«
Bevölkerung. Allein die Dimension der Flucht und das Fehlen
einer bewaffneten nationalen Befreiungsbewegung weisen darauf hin,
daß die sozialen Aspirationen noch nicht komplett das Opfer
nationaler Selbstvergessenheit geworden sind. Noch immer scheinen
das Überleben und die Emanzipation der Menschen das Hauptmotiv
der Kämpfe der AlbanerInnen zu sein und nicht die
Opferbereitschaft für eine mythisch bestimmte nationale
Befreiung des Landes.
-
-
-
II. Serbien
-
Anders als der Prozeß der Zwangsethnisierung der AlbanerInnen
des Kosovo, in dem diese auf den Status einer trikontinentalen
»Überschußbevölkerung« reduziert und
ihrer Überlebensmöglichkeiten beraubt werden (Ethnisierung
als Bestandteil eines bevölkerungspolitischen Programms von
»Oben«), ist die Entwicklung des Nationalismus in
Serbien ein korporatistisches Konzept der Transformation sozialer
Aspirationen von »Unten« in einem Modernisierungsprozeß,
der als Prozeß von »Oben« nur unzulänglich
beschrieben ist und in dem wesentlich die »freiwillige«
und auch die »unfreiwillige« Selbstethnisierung einen
Teilhabeanspruch von »Unten« formuliert, der nun
innerhalb einer serbischen »Volksgemeinschaft« direkt
aus der Partizipation , d.h., der Verbindung von Raub- und
Vernichtungsstrategie mit den sozialen Aspirationen, an der
Durchsetzung der serbischen Okkupations- und Vertreibungspolitik
seinen Anteil vom Kuchen einlösen will. Der Ethnisierungsprozeß
in Serbien mündet direkt in ein Modernisierungsprojekt, welches
die spezifischen Bedingungen des Scheiterns des jugoslawischen
Entwicklungsmodells in Serbien aufnimmt und in ein geradezu
klassisches faschistisches Projekt überführt. Die Spezifik
dieser serbischen Entwicklung liegt in dem rapiden und
unvollkommenen Prozeß der Transformation einer überwiegend
agrarischen Gesellschaftlichkeit in eine moderne industrielle
Arbeitsgesellschaft. Zusätzlichen Anschub erhält der neue
serbische Nationalismus dadurch, daß neben dem »engeren
Serbien« zwei autonome Regionen, die Vojvodina und der Kosovo,
Bestandteil der Republik Serbien sind. Diese liegen nun auch im
ersten Zugriff der serbischen Neuordnungspolitik, und der jeweilige
spezifische Zugriff dokumentiert gleichzeitig die beiden
Entwicklungspole des serbischen Nationalismus.
-
-
Deagrarisierug
-
Noch nach dem 2.Weltkrieg war Serbien mit einem Anteil von 70%
Agrarbevölkerung ein wenig industrialisiertes Agrarland. DIe
nachholende Entwicklung führte zu einer Mobilisierung der
Landbevölkerung, die in eine rapide und unkoordinierte
Verstädterung mündete. Bei einem 30%igen Zuwachs der
Gesamtbevölkerung leben aber immer noch über 30% der
Serben auf dem Land und verdienen ihren Lebensunterhalt im
Agrarsektor. Die Abwendung von der Landwirtschaft betrifft v.a. die
junge Generation und erfaßt sowohl die unfruchtbaren
Bergregionen als auch die fruchtbaren Beckenregionen. Als erstes
wanderten junge Männer aus den fruchtbaren Regionen in
infrastruktureller Nähe zu den Städten und neuen
Industriezonen in die Städte, v.a. nach Belgrad. Die mittleren
Jahrgänge und die jungen Frauen schloßen sich an, und als
nächstes folgte die Migration aus den Bergregionen. Diese
wanderten aber zunächst nicht in die Städte, sondern im
ersten Schritt vorzugsweise in die Beckenregionen, wodurch der hier
durch die Migration der ansäßigen aktiven Bevölkerung
in die Städte entstandene Abwanderungsverlust zusätzlich
zum generativen Bevölkerungswachstum ausgeglichen werden
konnte. Die Bergregionen werden entvölkert, und in der Regel
bestehen die Dörfer nur noch aus Restfamilien, ohne erwachsene
Kinder und Männer oder gar nur noch aus alten Menschen, sofern
überhaupt noch jemand dort lebt. Die Landwirtschaft in den
Ebenen wird hauptsächlich von privaten Kleinbauern betrieben,
Agrokombinate gibt es kaum. Der Bevölkerungsaustausch bewirkte
aber insgesamt ein Aufbrechen der traditionellen,
entwicklungsfeindlichen Gesellschaftlichkeit der Bevölkerung
der Beckenregionen und führte zu einer wachsenden
Marktorientierung der Landwirtschaft und auch zu einer langsamen
Intensivierung der Agrarproduktion.
-
Gesamtgesellschaftlich kam es aber durch den Modernisierungsprozeß
und den damit einhergehenden besseren Informationsfluß zur
Ausbreitung und Ausbildung neuer, am urbanen Zuschnitt orientierter
Wertvorstellungen auf dem Land, die eine Sogwirkung besonders auf
die aktiven Teile der ländlichen und kleinstädtischen
Bevölkerung in die großen Städte ausübten, die
ursächlich aus der Unzufriedenheit und Beschwerlichkeit im
ländlichen Herkunftsbereich resultiert und getragen wird von
der Hoffnung auf ein besseres Leben, ohne die Plackerei in der
Landwirtschaft und der Eintönigkeit des ländlichen Lebens.
Diese optimistische Einschätzung der großstädtischen
Sphäre kontrastiert aber scharf mit den tatsächlich
vorgefundenen Existenzbedingungen und -möglichkeiten in den
Städten.
-
-
Industrialisierung
-
Die Industrialisierung verlief, nach der politischen Vorgabe der
Umwandlung der Agrargesellschaft in eine sozialistische
Industriegesellschaft, im wesentlichen initiiert über die
Errichtung von Großunternehmen oder zumindest mittelgroßen
Betrieben v.a. der Grundstoff- und Investitionsgüterindustrie
an allen zentralen Punkten der Beckenregion. Die Standorte sind aber
in der Regel so weit voneinander entfernt, daß es trotz eines
relativ starken Industriebesatzes nirgendwo zu Verdichtungen oder
gar Ballungen kommt. Der Inselcharakter wird noch dadurch gestärkt,
daß selbst dort, wo einzelne Branchen eine herausragende
Bedeutung besitzen, die industrielle Ausstattung meist relativ breit
über viele Branchen gestreut ist und ein Verbund unter den
Zentren relativ unterentwickelt ist. Das Wachstum dieser zentralen
Orte war und ist rapide, und die durch die Migration induzierte
durchschnittliche Verdreifachung der Einwohnerzahl der Städte
seit Kriegsende führte dazu, daß der Anteil der
Zugezogenen heute überall den Anteil der autochthonen
Einwohnerschaft übersteigt. Zentrale Orte im Sinne einer
Urbanisierung, d.h. der Ausweitung städtischer Verhaltensweisen
auf das Land, sind sie allerdings nicht. Die Städte
funktionieren hauptsächlich als in sich geschlossene
Sozialräume, und es gibt nur einen sehr begrenzten, äußerlich
bleibenden, unstrukturierten Kontakt und Impuls zum Umland: Stadt
und Land existieren nebeneinander und sind nicht funktional
aufeinander bezogen.
-
Der enorme Bevölkerungszuwachs führte dazu, daß
weder ausreichend Wohnraum noch genügend Arbeitsplätze in
den Städten zur Verfügung stand. Dies führte zu einer
starken Überbelegung des begrenzten Wohnraums (bis zu drei
Generationen in einer 3-Zimmer-Wohnung) sowie zum Wildwuchs der
Stadtentwicklung, der v.a. im Zentrum und den Randzonen bemerkbar
ist. Während die Stadtzentren zu Dienstleistungszentren
modernisiert wurden, verblieb der innerstädtische Wohnbereich
am Rande der Zentren unverändert. Am Stadtrand entstanden die
bekannten Betonsiedlungen, und ihnen vorgelagert umschließt
die Städte ein Kranz illegaler, in Eigenarbeit gebauter
Behelfsbauten, in denen oftmals über 10% der Stadtbevölkerung
leben. Andererseits führt das nicht ausreichende
Arbeitsplatzangebot zur Sichtbarwerdung der vormals verdeckten
ländlichen Arbeitslosigkeit, und dies wird damit zu einem
gravierenden sozialen Problem.
-
-
Belgrad
-
»Aus Sehnsucht nach der Stadt, eher aber wohl aus
Verzweiflung, strömen in diesem Augenblick ganze lokale
`Völkerwanderungen' in die großen - reichen, weniger
reichen und armen - städtischen Siedlungsräume. Jede
dieser `Wanderungen' scheint mir demographisch folgenreicher zu sein
als jene, die in protogriechischen Zeiten, in den sogenannten
`dunklen Jahrhunderten', die Achäer bis nach Kleinasien
vordringen ließen. Aber schon in allernächster Zukunft
werden diese `Völkerwanderungen', noch immer verdeckt und
unsichtbar, größer und gewaltiger sein als jene
Wanderung, die, zwei Millennien nach der Zerstörung Trojas, Rom
vernichtete und die mediterrane Welt ins Chaos stürzte...
-
Es ist freilich wenig wahrscheinlich, daß die
Menschenmassen, die jetzt in die Städte strömen, diese
Städte anzünden und in Ruinen verwandeln werden. Und doch,
die Bevölkerungsimplosion zerstört die Städte oder
trägt doch zumindest zu ihrer Selbstzerstörung bei: Die
Städte wuchern in anormale, bösartige Dimensionen aus; vor
uns liegt eine schon weithin sichtbare oder zumindest ganz leicht
vorstellbare Welt aufgeblähter, fiebernder Städte, ein
unumkehrbar vergiftetes architektonisches Magma in ständigem
Verfall, in zeitweiliger Erneuerung, eine ganze Welt eingezwängt
in einen aschgrauen Betonpanzer! Aber das ist nur der Anfang, nicht
das Ende des Prozesses.« (Bogdan Bogdanovic, ehemaliger
Bürgermeister von Belgrad)
-
-
Die Wirkungen, die der Industrialisierungsprozeß auf die
Modernisierung der Gesellschaftsstruktur Serbiens ausübte,
waren begrenzter Natur. Die Industrialisierung blieb merkwürdig
lokal zentriert und wirkte nicht als Impuls einer Verbreiterung
moderner Verhaltensmodi. Die damit einhergehende rapide
Verstädterung führte nicht zur Urbanisierung der
Gesellschaft - Stadt und Land blieben wesentlich voneinander
getrennt. Die Zerstörungskraft, die der Modernisierungsprozeß
auf die traditionelle Gesellschaftlichkeit ausübte, war zwar
enorm, die begrenzten und zeitweise bewußt begrenzt gehaltenen
Integrationskapazitäten des modernen Sektors verhinderten aber
die Herausbildung einer modernen produktiven Gesellschaftlichkeit.
Stattdessen entwickelte sich eine Gemengelage von Verhaltensweisen
und gesellschaftlichen Verhaltensmodi, die eine Gleichzeitigkeit der
Ungleichzeitigkeit beinhalten und einen stetigen, blockierten
Transformationsprozeß zwischen Tradition und Moderne
darstellen. Am Beispiel Belgrads soll dies nun im folgenden
exemplarisch expliziert werden.
-
Die Bevölkerungszahl von Belgrad hat sich seit dem Ende des 2.
Weltkriegs von 300.000 auf heute ca. 1,6 Mio erhöht. V.a. ist
dies Resultat von Zuwanderungsgewinnen durch den rapiden Ausbau der
Industrie und durch den Reiz, den Belgrad als Hauptstadt ausübt.
Das Areal der Stadt hat sich im gleichen Zeitraum mehr als
verdoppelt. Seit 1977 übertrifft die Zahl der industriellen
Arbeitsplätze diejenige Zagrebs und ist damit die höchste
in Jugoslawien. Jedoch sind nur etwa 20% der Beschäftigten
Belgrads in der Industrie tätig und weitere 20% in der
Bauwirtschaft, so daß Belgrad nur schlecht als Industriestadt
charakterisiert ist. Daß Belgrad, v.a. im industrialisierten
und urbanen Norden, abwertend als »großes Dorf«
oder »das Dorf« bezeichnet wird, ist aber v.a. der
Ausdruck der soziokulturellen Entwicklungsdifferenz, der Spezifik
der Herausbildung von Gesellschaftlichkeit in Serbien und speziell
in Belgrad im Zuge des durch Industrialisierung und Migration in
Gang gesetzten Transformationsprozesses, im Gegensatz zu der im
Norden.
-
Die Migration nach Belgrad verläuft einerseits in Etappen und
andererseits als direkter Zuzug vom Land. In der Regel sind es
Einzelpersonen, v.a. Männer, die ihre Familien, soweit
vorhanden, oft erst nach Jahren nachkommen lassen. Und doch ist der
Migrationsprozeß keine Individualangelegenheit, sondern
vollzieht sich als Kettenmigration, in deren Verlauf sich
regelrechte Communitystrukturen in Belgrad herausgebildet haben.
Meist kommen die neuen Migranten zunächst bei Verwandten und
Nachbarn aus ihrem Herkunftsort unter, die vor ihnen nach Belgrad
migriert sind. Hier erfahren sie sowohl in materieller als auch in
psychosozialer Hinsicht erste Hilfen, um sich in der neuen Umgebung
zurechtzufinden.
-
Da das Ausmaß der Zuwanderung den Bestand an zur Verfügung
stehenden industriellen Arbeitsplätzen bei weitem übersteigt
und die Zuwanderer zumeist unqualifiziert sind, gestaltet sich die
Suche nach einem Arbeitsplatz als ungemein schwer, und in der Regel
müssen sie sich die erste Zeit, die oftmals Jahre dauern kann,
mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten.
-
Noch schwieriger ist allerdings die Suche nach geeignetem Wohnraum.
Sofern sie nicht bei Bekannten oder Verwandten unterkommen, sind sie
gezwungen, in Notunterkünften oder sogenannten Kolonien, d.h.
Barackenlagern, unterzukommen, oder sie müssen auf die
umliegenden Dörfer ausweichen. Da es auf dem privaten
Wohnungsmarkt in Belgrad keine Preisbindungen gibt, sind diese
Wohnungen für Zuwanderer unerschwinglich; eine kommunale
Wohnung zugewiesen zu bekommen dauert Jahre und kommt somit auch
nicht in Betracht. Die einzige »realistische«
Möglichkeit, legal an Wohnraum zu kommen, der nicht in
abbruchreifem Zustand ist, ist eine Werkswohnung zu bekommen, wozu
allerdings eine Festanstellung im jeweiligen Betrieb erforderlich
ist. Und auch bei einer Festanstellung ist die Wartezeit auf eine
solche Wohnung immer noch sehr lang, da deren Vergabe nach Maßgabe
der Werkszugehörigkeit und der Qualifikation erfolgt.
-
Aufgrunddessen sind die ersten Jahre in Belgrad für die
Migranten von Interimslösungen geprägt, und es dauert
lange, bis der gewünschte bzw. benötigte Wohnraum gefunden
wird. Der Migrationsprozeß ist also in der Regel nicht mit der
Ankunft in Belgrad abgeschlossen, sondern verlängert sich hier
als innerstädtische Mobilität, die in Belgrad enorm
ausgeprägt ist.
-
Die reale materielle Situation vieler Migranten in Belgrad ist also
keineswegs besser als auf dem Land. Die Unsicherheit und
Instabilität des städtischen Lebens führt nun dazu,
daß die Verbindungen zum Land bzw. zum Herkunftsort
außerordentlich stark bleiben und sich diese materielle und
soziokulturelle Rückbezüglichkeit auch ins städtische
Leben transformiert. So ist die Verbindung zum angestammten Dorf und
den zurückgebliebenen Familienmitgliedern noch Jahre nach dem
Wegzug geprägt von häufigen Besuchen im Urlaub, zur Ernte,
etc., verbunden einerseits mit Konsumgeschenken und andererseits mit
Nahrungsmittelzuwendungen. Zurückgelassener Grundbesitz wird im
Dorf verbleibenden Familienmitgliedern zur Nutzung überlassen
oder, wo diese nicht vorhanden sind, für einen bestimmten
Anteil an der Ernte verpachtet, aber selten verkauft.
-
Die starke Verbindung zum Land und der kontinuierliche Austausch
führen dazu, daß sich trotz fortschreitender
Eingliederung ins städtisch-industrielle Leben der
Akkulturationsprozeß vieler MigrantInnen verzögert und
sie sich eher als eine Art urbane Erweiterung der ländlichen
Familie, gewissermaßen als deren städtischen Außenposten,
empfinden. Die Migration erscheint somit häufig eher als
räumliche und berufliche Veränderung mit der Herausbildung
einer im Transformationsprozeß steckengebliebenen
intermediären Stadt-Land-Identität denn als
abgeschlossener soziokultureller Standortwechsel im Sinne der
Herausbildung einer urbanen Identität.
-
Dieses gebrochene Hereindrängen des »Dorfes«
kennzeichnet nun wesentlich weite Bereiche des gesellschaftlichen
Lebens in Belgrad. Zum einen durch die schon eingangs erwähnte
Herausbildung von Migrantencommunities: Für die Aufnahme
sozialer Kontakte ist, neben dem Arbeitsplatz und dem Wohnort, v.a.
die Herkunft aus demselben Dorf oder derselben Region maßgeblich,
wobei dem zugute kommt, daß die Herkunftsgebiete der
Neubelgrader fast ausschließlich im »Engeren Serbien«
oder den serbischen Enklaven in anderen Republiken liegen. Zum
anderen ist es das Hereintragen traditioneller ländlicher
Verhaltensmodi, die am offensichtlichsten in den traditionellen
Hochzeitsfesten und der »Slava«, einem Fest zum
Namenstag des »Hausheiligen«, deutlich werden. Eine
Transformation, nicht aber die Aufgabe der ländlichen
Traditionen findet in dem Maße statt, wie diese Traditionen
mit den Anforderungen der Moderne konfrontiert werden, wie das
Beispiel des »Totenkults« zeigt: Während die
Beerdigungszeremonie noch relativ traditionell, mit üppigem
Leichenschmaus und bezahlten »Klageweibern«, abläuft,
ist die Erlangung eines Begräbnisplatzes entsprechend der
städtischen Platznot, die eben auch die Friedhöfe
betrifft, äußerst schwierig. Da Gräber Mangelware
sind und in der Regel alle verfügbaren Plätze vergeben
sind, ist ein Begräbnisplatz oftmals nur durch ein
Tauschgeschäft mit Verwandten oder Bekannten zu bekommen. Die
Totenfeiern sind meist ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem
nicht nur die Verwandten, sondern Freunde, Nachbarn bis hin zu
Arbeitskollegen und -kolleginnen teilnehmen. Nach 40 Tagen, 6
Monaten und nach 1 Jahr wird die Zeremonie nochmals, mit denselben
Beteiligten, wiederholt. Entsprechend den materiellen Möglichkeiten
werden die Gräber ausgestaltet, vom Holzkreuz bis hin zu den
»vikendice«, kleinen Bungalows, die auf die Gräber
gebaut werden und mit allerlei Gebrauchs- und Konsumgegenständen
der Toten bestückt sind. Eine besondere Form der Totenehrung
sind auch die »krajputasi«, Steinsäulen, die an
Straßen und Wegen rund um Belgrad aufgestellt werden und mit
gemeißelten Reliefs über Charakter, Beruf und die
Todesart des Verstorbenen Auskunft geben sollen.
-
Ein weiteres Merkmal ist die relativ starre Trennung der
Geschlechter, die oft selbst dann noch anhält, wenn die Frau
einer Lohnarbeit nachgeht, und die auch weitgehend bei hoher
beruflicher Qualifikation der Beteiligten andauert. So ist das Haus
weitgehend der Bereich der Frau, auch um sich mit anderen Frauen zu
treffen und auszutauschen, während die Männer in der Regel
in Kneipen, mit anderen Männern zusammen, den öffentlichen
Raum bestimmen.
-
Der unstrukturierte Zusammenprall von Tradition und Moderne zeigt
sich nicht zuletzt auch in der städtebaulichen Physiognomie
Belgrads und in dem Ausufern Belgrads in das Umland. Im Schatten
moderner Hochhäuser finden sich nicht selten verslumte
Altbauten mit Hinterhöfen und diversen Anbauten, die auf ihren
Abriß warten und bis dahin zumeist von neuangekommenen
Migranten bewohnt werden. Die Ausweitung der Wohnbebauung geht weit
über die ursprünglichen Randbereiche hinaus, überrollt
Dörfer und überformt sie zu semiruralen Inseln. Die
ursprünglichen Bebauungslücken sind mittlerweile durch ein
Netz illegal errichteter Behelfsbauten verschwunden. Die
Ausstrahlung Belgrads geht aber noch weit darüber hinaus, und
die tägliche Pendelreichweite des Zustroms nach Belgrad reicht
bis zu 70 km von Belgrad weg.
-
-
Die Durchsetzung des Nationalismus
-
Die geopolitische Sonderstellung, die es Jugoslawien bis dahin
erlaubt hatte, die Unproduktivität der Gesellschaft durch eine
steigende Außenverschuldung zu kompensieren, ist durch das
Ende des Ost-West-Konflikts quasi »über Nacht«
verschwunden. Der faktische Staatsbankrott Jugoslawiens machte eine
Deregulierungspolitik im Konzert mit den internationalen
Finanzinstitutionen zur Überlebensfrage des Regimes. Für
Serbien, die am höchsten verschuldete Teilrepublik, gilt dies
im besonderen Maße. Der Deregulierungsbedarf beschränkt
sich bei weitem nicht nur auf den produktiven Bereich, sondern
dessen Unproduktivität ist, wie wir oben gesehen haben, nur der
ökonomische Ausdruck einer Unproduktivität der gesamten
Gesellschaftsstruktur, die im Prozeß der Modernisierung in
allen Bereichen der Gesellschaft zu einer Blockade der
Inwertsetzungsstrategie geführt hat. Die Besonderheit Serbiens
liegt nun aber darin, daß es das herausragende Machtzentrum
des Landes ist und das serbische Regime aufgrunddessen bemüht
ist, einen Weg zu finden, der einerseits dem Deregulierungsbedarf
genügt und andererseits in der Lage ist, den Erosionsprozeß
des politisch-ökonomischen Kommandos aufzuhalten.
-
Im Kosovo-Kapitel haben wir gesehen, daß der ökonomische
Zusammenbruch und der Aufstand der Peripherie einen untrennbaren
Zusammenhang bilden, der in den globalen Neuordnungsprozeß
eingebettet ist. Die nationalistische Aufladung des
sozioökonomischen Entwicklungsgefälles zwischen Serbien
und dem Kosovo, der Teil der Republik Serbien ist, durch die medial
inszenierte Konstruktion einer »zivilisatorischen Differenz«,
die Revitalisierung des alten »Genozid-Traumas« der
Serben sowie die Polemik einer nationalen Unterdrückung der
Serben durch die Herauslösung der zwei autonomen Republiken
Kosovo und Vojvodina aus dem »urserbischen« Anspruch
sind vorerst nur die Begleitmusik der Umlenkung der Investitionen
aus dem Kosovo zur Minderung des Deregulierungsdrucks in Serbien.
Zugute kommt diesem Prozeß zum einen das historisch
entwickelte spannungsgeladene Verhältnis zwischen Serbien und
den AlbanerInnen und zum anderen die räumliche und soziale
Separierung der albanischen MigrationsarbeiterInnen in Serbien, für
die die Bezeichnung »Siptaren« allgemein ist - als
Synonym für Drecks- und Gelegenheitsarbeit verrichtende
Menschen, die in primitivsten Massenquartieren »hausen«.
Deren Situation unterscheidet sich zwar nicht wesentlich von der
vieler serbischer MigrantenInnen die neu in die Städte kommen,
die jedoch ideologisch geschickt durch die anti-albanische Hetze der
Nationalisten ein Gefühl vermittelt bekommen, tatsächlich
zum modernen städtischen Bereich zu gehören und somit
einen berechtigten Anspruch auf dessen erhoffte Vorteile zu haben,
während die »rückständigen« und
»unzivilisierten« »Eindringlinge« aus dem
Kosovo als »Schmarotzer« erscheinen, die sich
unberechtigterweise einen Anteil am serbischen Reichtum
erschleichen. Daß diese Meinung sich umso stärker
verallgemeinert je jünger die Menschen sind, stellt einen
entscheidenden Anknüpfungspunkt des serbischen Nationalismus an
die soziale Bewegung der Jugendlichen dar, die in besonderem Maße
von Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot und dem Verlust von
Lebensperspektiven im Krisenprozeß betroffen sind. Die mediale
Aufarbeitung des 81er Aufstandes im Kosovo und die ausschließlich
repressive Verarbeitung der sozialen Spannungen des Kosovo
unterstützen diese Kolportage, indem sie eine »zivilisatorische
Differenz« suggerieren und damit eine sukzessive Faschisierung
der serbischen Gesellschaft und besonders der deklassierten oder von
Deklassierung bedrohten Jugendlichen und Neumigranten befördern.
[...]
<- Zur
Kampfsituation 1987 | Fortsetzung
Nationalismus und Ethnisierung ->
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil IV -
Nationalismus und Ethnisierung
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus und
Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
[Anfang
Nationalismus und Ethnisierung]
- Dieser Prozeß vollzieht sich aber in den ersten Jahren
zunächst eher untergründig, bedingt durch die »inneren«
Hemmnisse, die der serbische Nationalismus auf gesamtjugoslawischer
Ebene noch erfährt. Diese gegenseitige Blockade von
Nationalisten und Anhängern der Jugoperestroika führt aber
Anfang der 80er nur zu einer Aufweichung der
Deregulierungsstrategie, die zwar eine Inflationierung der Einkommen
in Gang setzt, darüber hinaus aber keine Mechanismen
entwickelt, um die Einkommenskämpfe und den Niedergang der
Arbeitsproduktivität zurückzudrängen, und somit eine
»Morgendämmerung« der sozialen Kämpfe
befördert, in der die nationalistische Aufladung zunächst
peripher bleiben sollte.
-
In Serbien etablieren sich, bedingt durch die Politk der »harten
Hand« in der Kosovo-Frage, die radikalen Nationalisten, die
sich personell zusammensetzen sowohl aus nationalistisch gewendeten
alten Regimekadern als auch aus der nationalistischen Opposition
gegen das sozialistische Regime, als hegemoniale Kraft, und 1986
beginnen diese mit dem »Memorandum der Serbischen Akademie der
Wissenschaften und Künste« den Angriff auf die fragilen
Machtstrukturen einzuläuten, und nur ein Jahr später haben
sie alle entscheidenden Positionen des Regimes unter Kontrolle.
-
Das »Memorandum« ist im Kern der programmatische Entwurf
eines »Großserbien«, und damit kündigt sich
an, daß Jugoslawien in den bis dato bestehenden Strukturen
keine Überlebenschancen mehr hat, denn nur »ein schwaches
Serbien bedeutet ein starkes Jugoslawien«. Die »Lösung
der Kosovo-Frage« als einer Überlebensfrage des gesamten
serbischen Volkes, die Zurückdrängung der
Arbeiterselbstverwaltung und die Revision der Verfassung von 1974
sollen die Stationen der Liquidierung der »slowenisch-kroatisch
antiserbischen Koalition« sein, die das serbische Volk
entrechte und sie zwinge, über mehrere Republiken verteilt zu
leben, ihre geistigen und kulturellen »Wurzeln«
einschränke, um damit letztlich die eigentliche unterdrückte
Nation Jugoslawiens zu sein. Ein »Großserbien«,
das alle serbischen Gebiete außerhalb der Republik Serbien mit
umfaßt, unter Ausschaltung der Mitspracherechte anderer
Nationalitäten erst würde die Gleichberechtigung Serbiens
mit den anderen Republiken ermöglichen.
-
Was im »Memorandum« nicht ausgesprochen wird, ist damit
aber zumindest theoretisch besiegelt, denn für die
nationalistischen Serben sollte es nunmehr nur noch zwei Optionen
der jugoslawischen Erneuerung geben: entweder Jugoslawien als ein
»Großserbien« oder die Sezession.
-
Die Programmatik des »Memorandums« bestimmt nun
weitgehend die politisch-strategische Vorgehensweise der serbischen
Neuordnungspolitik. Damit wird aber auch deutlich, daß die
eigentliche Problematik die soziale Situation im »Engeren
Serbien« ist. Die soziale Krise, die im Verlauf des
Transformationsprozesses nicht nur in eine Verwertungskrise mündete,
sondern sich zu einer Krise der gesamten Gesellschaftlichkeit
entwickelte und damit eine Hegemoniekrise der Macht selbst wurde,
welche sich in einer Handlungsunfähigkeit bezüglich der
produktiven Rekonstruktion von Gesellschaftlichkeit äußerte,
verlangte nach einer konzentrischen Lösung, die die produktive
Zerlegung der serbischen Gesellschaft in einem neuen Konzept der
Hierarchisierung der Regionen sozial und materiell abfederte und
einen neuen Korporatismus initiierte, der sich aus der aktiven
Partizipation der Menschen an der Neuordnung ergeben sollte, um so
zu einer sozial produktiven Rekonstruktion der gesellschaftlichen,
politischen und militärischen Machtstrukturen zu gelangen.
Dieser Prozeß verlief nun als Konzert von unterschiedlichen
Aktivitäten, in denen der »Druck der Straße«,
der zum Teil vom Regime selbst erzeugt wurde, und eine funktional
bestimmte Integration oder Zerschlagung der sozialen und politischen
Opposition konstruktiv verarbeitet und zum Motor der Rekonstruktion
der Gesellschaftlichkeit gemacht wurde.
-
Dieser Prozeß läßt sich nun in drei Teile gliedern:
1. die nationalistische Mobilisierung der Massen zur Unterstützung
der Serbisierung außerhalb des »Engeren Serbiens«,
2. die Integration und Ausschaltung der sozialen und politischen
Opposition und 3. die Ethnisierungspolitik im Medium des Kriegs.
-
-
Die Massenmeetings und die »Strategie der Spannung«
-
Im Kosovo-Kapitel sind die nationalistischen Massenmeetings der
Serben schon erwähnt. Sie hatten eine außerordentliche
Mobilisierungskraft. Regelmäßig ließen sich
Hunderttausende bis zu einer Million Menschen mobilisieren. Die
Massenmeetings waren ursprünglich eine der Hauptbewegungsform
der Einkommenskämpfe der autonomen ArbeiterInnenbewegung.
Taktisch außerst geschickt verknüpfte das serbische
Regime die Bewegungsform der Massenmeetings und die sozialen
Einkommensforderungen mit einer nationalistischen
Durchsetzungsperspektive, die darin bestand, die Vorstellungen und
den Wunsch nach einem besseren Leben an die Vertreibung der Albaner
zu koppeln, damit der Reichtum des Kosovo endlich wieder den Serben
zugute komme, denen er historisch begründet zustehe.
-
Die Massenmeetings waren aber nur der herausragende Teil eines
gesamten Szenarios und der medial inszenierte kollektive
Bestätigungsmythos zur Legitimation der administrativen
Entrechtung und Unterdrückung der AlbanerInnen, der
anti-albanischen Pogrome und der Zunahme der alltäglichen
gewalttätigen Angriffe auf die AlbanerInnen. Die Verteidigung
der AlbanerInnen, die aufgrund dieser Bedingungen mehr und mehr zu
direkten gewalttätigen Angriffen auf SerbInnen und einer
Verfestigung des albanischen Nationalismus führte, bildet das
beabsichtigte Komplement dieser Strategie und läßt diesen
Prozeß als einen sich selbst perpetuierenden Circulus vitiosus
erscheinen. Tatsächlich ist diese Konfliktualität aber
beabsichtigter Bestandteil einer »Strategie der Spannung«,
die im Kosovo erstmals angewandt wird und in Serbien direkt in die
Partizipation der mobilisierten Massen am kriegsmäßig
organisierten Vertreibungs- und Vernichtungsangriff auf die
AlbanerInnen mündet.
-
Die Massenmeetings als Durchsetzungsinstrument der Serbisierung
bleiben aber nicht auf den Kosovo beschränkt. Im Juli 1988
setzen sie sich in der Vojvodina fort, der agroindustriell
organisierten »Kornkammer« Jugoslawiens, in der der
Großteil des agrarischen Exports Jugoslawiens produziert wird,
um im Oktober die Provinzregierung durch einen »Putsch der
Straße« zu Fall zu bringen. In der Vojvodina setzt,
ähnlich wie im Kosovo, sofort anschließend die
Serbisierung der Gesellschaft ein, und ein Großteil der
nichtserbischen Bevölkerung, fast 40% der Gesamtbevölkerung,
wird zur Flucht gezwungen.
-
Produkt dieser »Strategie der Spannung« ist einerseits
die Vertreibung hunderttausender NichtserbInnen, deren Wohnungen und
Arbeitsplätze umgehend durch umgesiedelte SerbInnen aus dem
»Engeren Serbien« besetzt werden. Andererseits mündet
dies in eine Verstärkung sowohl des Nationalismus als auch der
Identifikation mit dem Regime durch die zumindest partielle
materielle Einlösung der Versprechen. Für das Regime
eröffnen sich zudem durch die Umsiedlungen Rationalisierungs-
und Modernisierungsmöglichkeiten besonders im agrarischen
Sektor.
-
Eine weitere Variante der Massenmobilisierung beginnt im Oktober in
Montenegro und bringt die dortige Republiksführung, wegen
angeblich mangelnder Unterstützung Serbiens in der
Kosovo-Frage, nach drei Monaten zu Fall und ersetzt sie durch eine
serbienfreundliche.
-
-
Integration und Ausschaltung der Opposition
-
Die Verfestigung des Nationalismus durch die Integration der
Massenbewegung in die serbische Expansionspolitik führte aber
nicht automatisch zum Rückschlag in einen Korporatismus der die
Bereinigung der sozialen Unwägbarkeiten im »Engeren
Serbien« quasi im Vorübergehen vollziehen konnte. Oftmals
sind es die gleichen Subjekte, v.a. die deklassierten und von
Deklassierung bedrohten männlichen Jugendlichen und
Neumigranten, die einerseits Träger des expansiven
Nationalismus und andererseits Bestandteil der städtischen
Sozialbewegung sind, die sich direkt gegen das Regime und die
Deregulierung richtet.
-
Das Milosevic-Regime hatte nach der Erlangung der Macht Ende 87 und
den anschließenden Säuberungen im Parteiapparat beständig
und autoritär die Konfrontation mit den anderen Republiken als
auch mit der Opposition in Serbien angeschoben. Der damit initiierte
Zerfallsprozeß Jugoslawiens mündete in eine Verschärfung
der ökonomischen Krise und ballte die ehedem latent explosive
soziale Konfliktualität extrem zusammen. Die Ausschaltung
selbst der nationalistischen serbischen Opposition, deren
Programmatik sich nur um Nuancen von der der Milosevic-Fraktion
unterschied, verhalf diesen und hier besonders der »Serbischen
Erneuerungsbewegung« von Draskovic zu einer starken
Mobilisierungsfähigkeit bei den am stärksten von der Krise
betroffenen städtischen Bevölkerungssegmenten.
-
In der zweiten Märzwoche 1991 initiierte die »Serbische
Erneuerungsbewegung« eine Demonstration in Belgrad gegen die
Medienpolitik des Regimes, die sich zur größten
Demonstration in Jugoslawien seit 1968 entwickeln sollte. Die
»Serbische Erneuerungsbewegung« verlor aber rasch die
Kontrolle über die Demo, und v.a. die deklassierten
Jugendlichen verwandelten sie in eine Kampfdemonstration gegen das
Regime. Bei der Zerschlagung durch die paramilitärischen
Polizeieinheiten wurden mindestens zwei Menschen getötet.
Daraufhin kam es zu Barrikadenkämpfen und Plünderungen in
der Belgrader Altstadt. Die JNA fuhr mit Panzern auf, und die Miliz
ging gegen die rioters vor und zerschlug die Unruhen. Zwei Tage
dauerte der »nicht erklärte Ausnahmezustand«, und
als das Militär endlich abzog, strömten die Menschen
erneut auf die Straßen. Abermals wurde die Miliz eingesetzt.
-
Der Aufstand war damit zwar zunächst zerschlagen, verdeutlichte
aber die Unfähigkeit des Regimes, die sozialen Spannungen
nichtmilitärisch zu kontrollieren. Wie bedrohlich das Regime
die Situation einschätzte, wird daran deutlich, daß die
Führungsspitze die Verhängung des Ausnahmezustands in ganz
Serbien diskutierte und der Generalstabschef der JNA gar für
eine »militärische Lösung« plädierte. Das
Regime aber ging einen anderen Weg.
-
Zum einen war es eine quasi militärische Lösung: Direkt
nach dem Aufstand wurde eine kolportierte Aufstandsdrohung im Kosovo
dazu benutzt, die jugendlichen Reservisten der JNA in den Kosovo zu
mobilisieren. Dieser Mechanismus sollte auch weiterhin Bestandteil
des repressiven Umgangs mit dem männlichen Teil der sozialen
und politischen Opposition bleiben und nahm im Krieg die Form der
drohenden physischen Vernichtung an, indem vorzugsweise
Kriegsgegner, Aktivisten der ArbeiterInnenkämpfe und Angehörige
von nationalen Minderheiten zu besonders gefährlichen
Kampfeinsätzen an die Front geschickt wurden.
-
Die andere Seite war die Funktionalisierung der politischen
Opposition durch das Regime. Die Verhaftung Draskovics während
des 91er Aufstands erwieß sich dabei als besonders glücklich.
Zum Märtyrer stilisiert, wurde er von den Medien zum
wichtigsten Führer der Opposition und der »Unzufriedenen«
aufgebaut. Während Tausende für seine Freilassung
demonstrierten, verhandelte das Regime aber schon mit der
Opposition, um diese an der Macht zu beteiligen. Der »Preis«,
den die Opposition für diese Beteiligung zu zahlen hatte,
bestand in einer »Politik der nationalen Versöhnung«,
in der der Opposition die Aufgabe zukam, über eine
Hegemonisierung der sozialen Bewegung dieser die Stoßkraft
gegen das Regime zu nehmen und gleichzeitig Serbien international
durch den Anschein der Liberalisierung des politischen Lebens
aufzuwerten. Die Inszenierung des politischen Symbolismus der
Opposition zeigte sich v.a. in der Hegemonisierung der verschiedenen
Teile der Antikriegsbewegung und hatte ausschließlich ihre
Einbindung in die Macht zum Ziel, die über ihre Kompetenz als
Kontrollinstanz der sozialen Bewegung erreicht werden sollte. Diese
»Zähmung« der Sozialbewegung verlief über die
Initiierung einer ganzen Reihe riesiger Antikriegsdemonstrationen,
bei denen am Ende selbst der amerikanische Botschafter mitlief und
ihnen damit eine erstaunliche internationale Reputation verschaffte.
Die Zersetzungskraft, die ihr Symbolismus im Inneren der
Sozialbewegung entwickelte, zeigte sich aber spätestens am
Jahrestag des 91er Aufstandes, an dem zwar eine Petition zum
Rücktritt des Regimes von fast 600.000 Menschen unterschrieben
wurde, die Demonstrationen aber klein blieben und fast nur noch
StudentenInnen umfaßten.
-
Im Mai 1992 gründete sich die DEPOS als parteienübergreifendes
Bündnis der sogenannten demokratischen Bewegung. Diese
Bündelung der oppositionellen Kräfte scheint rückblickend
ein entscheidender Pluspunkt auf Seiten des Regimes zu sein. Im
Vertrauen auf ihre gewachsene Stärke versuchte die DEPOS einen
stärkeren Konfrontationskurs mit dem Regime einzuschlagen und
begann eine Demonstration zu organisieren, die ein Ausdruck dieser
Stärke sein sollte. Milosevic hob daraufhin Cosic, einen alten
Nationalisten, Mitverfasser des »Memorandums« und
jetzigen DEPOS-Führer, ins Amt des Präsidenten der
Bundesrepublik Jugoslawien. Nach dieser Integration in das Zentrum
der Macht sagte die DEPOS die geplante Demonstration wieder ab, die
daraufhin aber autonom weiterorganisiert wurde und die DEPOS zwang,
die Organisation der Demo wieder an sich zu reißen. An der
Demo nahmen schließlich 100.000 Menschen teil, und es folgten
weitere Demos in ähnlicher Größenordnung, die
allesamt den Rücktritt des Regimes verlangten. Am 8.7. werden
schließlich in Belgrad wieder Barrikaden gebaut. Der
Integrationskurs der DEPOS, der in der öffentlichen Verkündung
Cosics gipfelte, nunmehr eine »Politik der nationalen
Kompromisse« zu machen, hatten aber die Fronten gegen das
Regime schon zu stark eruiert. Die Barrikaden wurden von den
DemonstrantInnen wieder abgebaut, und das Militär brauchte
nicht einzugreifen. Unmittelbar danach wurde unter Cosic ein neues
Versammlungsgesetz beschlossen, das alle Ansammlungen von mehr als
drei Menschen unter Strafe stellte.
-
Mit Panic, einem Kriegsgewinnler aus der Chemiebranche, stellten die
sogenannten »gemäßigten« Nationalisten nun
den Ministerpräsidenten, während die Milosevic-Fraktion,
im Hintergrund die eigentlichen Fäden spinnend, sich in der
Öffentlichkeit nicht mehr die Hände schmutzig machen
mußte.
-
Die DEPOS verlor in diesem Prozeß immer mehr an öffentlichem
Ansehen, und als ab Mitte 92 die ultranationalistische Radikale
Partei den Konfrontationskurs zur DEPOS verschärfte, war die
Unterstützung der DEPOS nur noch spärlich und ihre Demos
blieben unbedeutend. Anläßlich des Rücktritts Panics
kam es im Januar zwar nochmals zu starken Auseinandersetzungen auf
der Straße, die DEPOS aber war überflüssig geworden
und das Regime unterdrückte den Aufruhr innerhalb eines Tages,
ohne daß sich die Opposition davon wieder erholen konnte.
-
Gerade die Bündelung der oppositionellen Kräfte, die sich
in der DEPOS ausdrückte, und ihre Hereinnahme in die
Regierungsverantwortung, war der entscheidende Vorteil, den das
Regime bei der Zerschlagung der DEPOS hatte. Die Breite der DEPOS
ermöglichte ihnen, in weite Bereiche der Opposition gegen das
Regime vorzudringen und diese zu hegemonisieren und schließlich
zu kontrollieren. Die Übernahme der Regierungsverantwortung
aber führte dazu, daß sie den oppositionellen Schleier
abnehmen und als offensichtlicher Teil des Regimes ihre
Unglaubwürdigkeit selbst sichtbar machen mußten. Damit
verlängerten sie aber ihre Depression in eine Depression der
Sozialbewegung, nachdem sie diese vorher zerschlagen hatten.
-
Dies kontrastiert nun die kriegsmäßige Mobilisierung des
männlichen Teils der Opposition, der entweder an der vordersten
Front der Vernichtung ausgesetzt ist oder sich dem Militärdienst
durch Flucht entzieht. Das gigantische Ausmaß der
Desertationen in Serbien verdeutlicht auch den Aderlaß, den
die Sozialbewegung verkraften mußte und der ihre Zähmung
wahrscheinlich erst ermöglichte.
-
-
Ethnisierung im Krieg
-
Die Bedeutung und Breite der Ethnisierung im Medium des Kriegs wird
im Beitrag über den Krieg als Transformationsprozeß
gesondert beschrieben. Hier soll nur zusätzlich darauf
hingewiesen werden, daß die serbische Okkupationspolitik
gezielt mithilfe ethnischer Säuberungen Raum schafft um
Umsiedlungen aus dem »Engeren Serbien« und die
Ansiedlung der serbischen Kriegsflüchtlinge v.a. aus den
»ethnisch gesäuberten« kroatischen und muslimischen
Gebieten zu ermöglichen. Fast ausschließlich agrare
Regionen sind das Ziel dieser Politik, und das Beispiel des Kosovo
zeigt, daß mit den Umsiedlungen gleichzeitig eine
Rationalisierung der Landwirtschaft in Richtung des Ausbaus der
Agroindustrialisierung erreicht werden soll, wie überhaupt das
fast vollständige Desinteresse der serbischen Eroberungspolitik
an den industrialisierten Städten und Regionen wohl kaum
»ethnisch« begründet werden kann, sondern darauf
hinweist, daß möglicherweise gerade die
Agroindustrialisierung der eroberten und ethnisch bereinigten
Gebiete die Lösung des Migrationsdrucks sowie den Abbau der
städtischen »Überbevölkerung« in einer
neuen ethnisch homogenisierten und repatriarchalisierten
Gesellschaftsordnung bewerkstelligen soll.
-
-
Perspektiven
-
Das Konzert dieser Maßnahmen konnte die soziale
Konfliktualität zwar begrenzen, nicht aber zähmen, und die
Angst des Regimes vor erneuten sozialen Eruptionen äußerte
sich beispielsweise in der Einschränkung des öffentlichen
Personenverkehrs in Belgrad mit dem Ziel, mögliche
Massenansammlungen zu erschweren.
-
Der Krieg wirkte auch in Serbien als gigantisches
Deregulierungsprojekt. Die Militarisierung der Gesellschaft und der
kriegsökonomische Umbau zertrümmerten die
Überlebensbastionen und -ressourcen der Bevölkerung, die
sie sich selbst im Krisenangriff der 80er nicht hatten nehmen
lassen, im Zeitraffer.
-
Nahezu 500.000 Kriegsflüchtlinge aus den umkämpften und
ethnisch gesäuberten Gebieten leben mittlerweile zusätzlich
zur eingesessenen Bevölkerung in Serbien, und es scheint sich
zumindest in den Städten eine neue Konfliktlinie um die mehr
und mehr begrenzten Überlebensressourcen abzuzeichnen zwischen
der eingesessenen Bevölkerung, den Kriegsflüchtlingen und
den immer noch v.a. nach Belgrad strömenden MigrantInnen aus
den ländlichen Regionen des »Engeren Serbien«.
-
Das Regime versucht durch Umsiedlungen in die serbisch okkupierten
und ethnisch gesäuberten Gebiete einen Teil dieser städtischen
»Überbevölkerung« abzuschmelzen, und es ist zu
erwarten, daß sich dies noch weiter steigern solle um den
Druck, der besonders auf Belgrad durch die gewaltige
»Überbevölkerung« liegt, die einem
funktionalen und produktiven Umbau der Städte im Wege steht,
durch eine Reagrarisierung einer großen Anzahl der jetzigen
städtischen Bevölkerung zu mindern. Daß damit
gleichzeitig eine Ausbreitung der agroindustriellen Basis betrieben
wird, ergibt sich aus den Erfahrungen der bisherigen Umsiedlungen.
-
Dies wäre zumindest die Logik der Okkupationen, der ethnischen
Säuberungen sowie ein Schluß, der sich aus den
Konstellationen des blockierten Transformationsprozesses in Serbien
ergeben könnte.
-
Ob es allerdings die Logik der Umzusiedelnden sein wird, ist zu
bezweifeln. Sie sind schließlich nicht ohne Grund in die
Städte gezogen und werden voraussichtlich auch nicht freiwillig
zurück aufs Land gehen. Aber womöglich wird das Modell der
brasilianischen Triage-Stationen auch bald in Europa zu finden sein:
Als Kontrollstellen der Landflucht in Serbien.
-
Der agroindustrielle Ausbau Serbiens und der eroberten Gebiete würde
aber perspektivisch auch eine neue Kampffront zu den immer noch sehr
traditionell agrarischen Dorfzusammenhängen besonders im
»Engeren Serbien« eröffnen.
-
Als stabilisierend im Prozeß der immer rapideren Entwertung
der Überlebensressourcen erweist sich einzig die Embargopolitik
gegen Serbien, die eine äußerst wichtige Unterstützung
des Regimes darstellt. Durch sie erscheint die erhoffte aber
ausbleibende materielle Verbesserung der Subjekte als durch einen
Angriff von Außen verschuldet. Damit wird die serbische
Gesellschaft auf ein Neues als Opfergemeinschaft zusammengeschmiedet
und dies allein scheint dem Regime noch die nötige Luft zum
Atmen zu verschaffen.
-
-
III. Bosnien-Herzegowina
-
Ähnlich wie im Kosovo und in Serbien entspringen Ethnisierung
und Nationalismus auch in Bosnien-Herzegowina direkt dem Krisen- und
Kriegsverlauf und sind mit ihm stetig verbunden. Anders aber als in
Serbien, wo die ethnische Homogenität im internen Krisenverlauf
durch externe Faktoren und interne Prozesse in ein großserbisches,
nationales Entwicklungsprojekt transformiert wird, und anders als im
Kosovo, wo die Zwangsethnisierung die Konstitution einer neuen
Pariaschicht und ihre produktive Vertreibung, im Sinne eben dieses
serbischen Entwicklungsprojekts, ideologisch und materiell
begleitet, beide Ethnisierungsprozesse also ihre Modernität im
Rückgriff auf geradezu klassische »nationale« bzw.
»ethnische« Differenzen und durch die Vitalisierung
nationaler Mythen ideologisch absichern, gibt es diesen Prozeß
der sinnkonstituierenden Rückbezüglichkeit als
konstitutives Element der Ethnisierung in Bosnien-Herzegowina so gut
wie gar nicht. Stattdessen verläuft die Ethnisierung hier
direkt entlang den gewalttätigen, räuberischen Suchlinien
im Findungsprozeß des serbischen und kroatischen
Okkupationsprozesses, der eng an den Bedarf des jeweiligen
Entwicklungsmodells angekoppelt ist. Auch historisch rückblickend
gibt es keine kontinuierliche Linie der ethnisch-nationalistischen
Separierung und Aufspaltung oder eine Kontinuität des
Zusammenhangs von Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina mit den
jeweiligen Republiken bzw. Hauptsiedlungsgebieten. Einzig im NS gab
es dies, als stark außengeleiteten, gewalttätigen und im
Medium von Krieg und Befreiungskrieg prozessierenden, aber stark
gebrochenen Differenzierungsprozeß. Die kulturelle und
religiöse Unterschiedlichkeit erhob sich selten zu einer
politischen Differenz, und im Zuge der Nachkriegsindustrialisierung
Bosnien-Herzegowinas werden diese Unterschiede noch weiter
nivelliert.
-
-
-
-
Rapide Verstädterung
-
Die Nachkriegsindustrialisierung Bosnien-Herzegowinas zentrierte
sich fast ausscchließlich auf das zentralbosnische Becken um
Sarajewo und Zenica, das einzige Gebiet Bosnien-Herzegowinas, in dem
schon vor dem Krieg eine bescheidene Industrialisierung
stattgefunden hatte. Entsprechend den riesigen Roh- und
Energiestoffvorkommen entwickelte sich hier eine Schwerindustrie und
eine darauf bezogene Sekundärindustrie, die das
zentralbosnische Becken zu einer massiv konzentrierten
Industrieregion mit starker Anziehungskraft auf die ländlichen
Regionen machte.
-
1945 lebten noch ca. 80% der Bevölkerung von der
Landwirtschaft, vor Ausbruch des Krieges waren es nur noch ca. 20%.
Der Anteil der Stadtbevölkerung von ca. 40% der
Gesamtbevölkerung verdeutlicht auch die enorme Ausstrahlung,
die gerade die Industrialisierung des zentralbosnischen Beckens auf
die umliegenden Regionen ausübte. Die Bevölkerungsdichte
hat sich im Bereich des zentralbosnischen Beckens seit 1945 mehr als
verdoppelt, und neben zahlreichen neugegründeten industriellen
Retortenstädten explodierte in den industrialisierten alten
Städten das Bevölkerungswachstum v.a. durch Zuwanderung.
So hatte Sarajewo 1945 kaum 100.000 EinwohnerInnen, Ende 80 dagegen
mit Randgemeinden fast 700.000; Zenica 1945 gerade 10.000 und Ende
80 fast 80.000 EinwohnerInnen. Das enorme Wachstum der
Industriestädte führte dazu, daß sich die
städtebauliche Physiognomie vollends veränderte. Mit
Ausnahme von Sarajewo gab es keine Industriestadt im
zentralbosnischen Becken, die noch mehr als Rudimente traditioneller
Stadtarchitektur besaß. Der Anteil der Bevölkerung, der
in den verslumten Außenrandsiedlungen der Städte wohnte,
war hier noch größer als in Serbien.
-
Diese vollkommene Neubegründung der Städte war aber gerade
hier nur der sichtbarste Ausdruck der soziokulturellen und
sozioökonomischen Neubegründung von Gesellschaftlichkeit
im Modernisierungsprozeß, deren wohl wichtigster Ausdruck der
zunehmende Funktionsverlust der traditionellen Familienbeziehungen
durch die Ausweitung der gesellschaftlichen Hausarbeit und die
Veränderung der Rolle der Frau durch deren Integration in den
industriellen Sektor, war. Die fehlende ethnische Differenzierung
war hier die Regel und bei einem Großteil der
StadtbewohnerInnen entwickelte sich eine Identität als
»Stadtmensch«, die nicht mehr serbisch, kroatisch oder
muslimisch, sondern für jugoslawische Verhältnisse
kosmopolitisch war.
-
-
Industrialisierung
-
Ein weiterer wichtiger Punkt, der die nichtkriegerische Umwandlung
sozialer Erwartungen in nationalistische Bewegungen im
industrialisierten städtischen Bereich des zentralbosnischen
Beckens verhinderte, scheint dem Umstand geschuldet zu sein, daß
es hier, im Gegensatz zum Rest des ehemaligen Jugoslawien, nicht zu
einer vollständigen Durchsetzung der Arbeiterselbstverwaltung
kam, sondern daß sich gerade in den größten und
modernsten Betrieben eine typisch kapitalistische Betriebshierachie
durchgesetzt hatte.
-
Noch stärker als in Serbien entvölkerte die durch den
Industrialisierungsprozeß ausgelöste »Revolution
der Erwartungen« in Bosnien-Herzegowina den ländlichen
Raum, der geprägt war von subsistenzwirtschaftlicher
arbeitsintensiver Agrarwirtschaft im traditionell organisierten
Großfamilienzusammenhang. Anders aber als in Serbien war die
Industrialisierung hier massiv konzentriert auf einen
zusammenhängenden Raum, und mit der Veränderung des
siedlungsgeographischen Charakters des Raums verändern sich
auch die sozioökonomischen Determinanten der Konstitution und
Reproduktion von Gesellschaftlichkeit. Die totale Dominanz des
industriellen Sektors, die sich im Migrationsprozeß
verstärkende Abnabelung von den agrarischen
Herkunftszusammenhängen, fügten sich zusammen zu einer
Konstitution der Städte als Zentren von Massenarbeit, in denen
die ethnischen Differenzen immer weitgehender nivelliert wurden. Die
eigentliche Problematik der Städte war somit nicht die
ethnische Differenzierung, sondern die massive Zuwanderung, für
die weder ausreichend Einkommensmöglichkeiten noch genügend
Wohnraum vorhanden war, die Auflösung der traditionellen
ethnischen, religiösen und nationalen Bande und die
Konstitution einer klassischen
MassenarbeiterInnengesellschaftlichkeit der Städte.
-
-
Der Krieg gegen die Städte
-
Die Städte waren nun auch zu Beginn des Krieges die Orte, an
denen sich sowohl der Widerstand gegen den Krieg manifestierte, als
auch die Orte, in denen die Ethnisierung der Gesellschaft vorerst
nicht gelingen sollte. Sämtliche Bestimmungsmerkmale des
Gelingens der Ethnisierungstrategie im ehemaligen Jugoslawien waren
hier nicht oder nur rudimentär ausgebildet: weder war die
Arbeiterselbstverwaltung breit durchgesetzt und konnte somit auch
nicht in ein nationalistisches Projekt übersetzt werden, noch
gab es die Dominanz einer sich ethnisch definierenden
Bevölkerungsgruppe. Die räumliche Konzentration der
Ethnien war im Prozeß der rapiden Verstädterung
weitgehend verschwunden, und eine Vielzahl sogenannter Mischehen
machte die freiwillige Ethnisierung zur Absurdität. Genau
dieser Zusammenhang bildet nun aber auch den Erklärungshintergrund,
warum jede Stadt in Bosnien-Herzegowina einer Belagerungs- und
Aushungerungspolitik ausgesetzt war oder noch ist: sie werden
regelrecht ethnisch zurechtgeschossen. Und wichtig ist es zu wissen,
daß die Belagerung einzelner Stadtteile zwar ethnisierend als
Belagerung bspw. muslimischer Stadtteile bezeichnet wird, die
Menschen, die dort wohnen, sich aber häufig nicht ethnisch
definieren, und wenn doch, daraus keine Differenz ableiten und den
Widerstand gegen die Belagerung sowie den Überlebenskampf
dementsprechend gemeinsam organisieren.
-
Durch den Krieg gegen die Städte wird aber nun die Frage des
Überlebens direkt an die Zugehörigkeit zu einer sich
ethnisch definierenden Gruppe gekoppelt, und die Städte werden
in ihrer bisherigen sozialen und sozialräumlichen Konstitution
vollständig aufgelöst und neu zusammengesetzt. Ein Ziel
dabei ist der Abbau der sogenannten städtischen
Überbevölkerung. Hauptsächliche Opfer dieser
kriegsmäßigen bevölkerungspolitischen Neuordnung
sind die Muslime, die ca.40% der Bevölkerung
Bosnien-Herzegowinas ausmachen und nun innerhalb der ethnischen
Neuordnung zur Überbevölkerung deklariert werden, durch
die ethnischen Säuberungen aus ihren Wohnorten vertrieben, in
Hungermärschen einem Ausleseprozeß unterworfen und durch
das Land gehetzt werden, um schließlich in den belagerten
muslimischen Städten und Gebieten, für die die Bezeichnung
territoriale »Konzentrationslager« zutreffender ist als
Schutzzonen, zu enden. Die Belagerung dieser Städte erfüllt
nun nicht mehr den Zweck, die Bevölkerung zu mobilisieren,
sondern sie gerade an der Mobilität zu hindern, um in
faktischer Korrespondenz mit den spärlichen internationalen
Hilfslieferungen den Ausleseprozeß weiter zu verlängern.
Die Perspektive liegt dabei relativ eindeutig in der Zurichtung zur
Weltmarktarbeitskraft in zu freien Produktionszonen transformierten
und militärisch abgesicherten territorialen Arbeitslagern, die
zudem , in Anlehnung an die Erfahrungen in Irak-Kurdistan, zum
Versuchsfeld der sozialpolitischen Kompetenz von NGO`s werden.
-
-
Durchsetzung des Nationalismus
-
Der eigentliche soziale Ursprungsort der Ethnisierungspolitik in
Bosnien-Herzegowina ist das Land. Mit Ausnahme der Beckenregionen,
die sehr fruchtbar sind und im Laufe des Modernisierungsprozesses,
ebenso wie die Industriestädte, Auffangbecken des Zustroms aus
den übrigen agrarischen Regionen waren, ist das Land meist
nicht sehr fruchtbar und wird in der Regel noch in traditioneller
Weise bewirtschaftet. Vorherrschende Form ist der kleinbäuerliche
Mehrgenerationenfamilienbetrieb mit starker
subsistenzwirtschaftlicher Ausrichtung. Gerade im Umkreis der
Industriestädte war die Landwirtschaft, bedingt durch die
vorwiegend außerlandwirtschaftliche Tätigkeit der Männer,
fast ausschließlich die Domäne von Frauen.
-
Die niedrigen staatlichen Abnahmepreise für landwirtschaftliche
Erzeugnisse führten hier wie überall in Jugoslawien zu
einem ständigen Wertetransfer von der Landwirtschaft in den
modernen städtischen Sektor. Erschwerend kam hinzu, daß
trotz des immensen Abstroms in die Industrieregionen, der einen
Verlust gerade der aktivsten und produktivsten Teile der
Bauernökonomie darstellte, immer noch eine starke »Übersetzung«
der Landwirtschaft vorhanden war.
-
Im Zusammenhang mit den Autonomiebestrebungen der Serben in Kroatien
und der Durchsetzung der Ethnisierung als bevölkerungspolitischer
Neuordnungsstrategie im gesamten restlichen Jugoslawien
transformierte sich zuallererst in der bosnischen Krajina, einem der
Hauptsiedlungsgebieten der SerbInnen in Bosnien, und von da
ausgehend im ganzen Land, dieser Prozeß in eine ethnisch
definierte Frontstellung sowohl des Landes zur Stadt als auch zu den
anderen Ethnien.
-
Daß dieser Prozeß in seinem Wesenskern auf einer
gewalttätigen Repatriarchialisierung beruht, wird an den
Massenvergewaltigungen deutlich, die von den Männern aller
Kriegsparteien begangen werden und die nicht auf die
Vergewaltigungslager begrenzt sind, sondern einen unbegrenzten
gesellschaftlichen Normalzustand darstellen.
-
In Bosnien-Herzegowina wird nicht nur die Macht der Frauen im
Agrarsektor und die gesellschaftliche Stellung und Macht der Frauen
insgesamt gewaltsam zertrümmert, sondern die Zerstörung
der Frauenmacht vollzieht sich direkt durch physische und psychische
Vernichtung der Frauen.
-
-
Die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas
-
Die bevölkerungs- und geopolitische Zielsetzung des Krieges in
Bosnien-Herzegowina ergibt sich nun genau aus der Auflösung der
doppelten Blockade, einerseits der der Städte und andererseits
der des Landes. Und zwar im Sinne der bevölkerungspolitischen
Zertrümmerung der alten unproduktiven Gesellschaft und der
Initiierung einer produktiven Gesellschaftlichkeit, da die
Geschichte gezeigt hat, daß die Verfügungmacht der
Regimes über Rohstoffe und Maschinen allein nicht ausreicht.
Wichtigste Instrumente dieser Politik sind die ethnischen
Säuberungen bzw. die Ethnisierung der Gesellschaft im Medium
des Kriegs und die geopolitische Neuaufteilung des Raums als
Resultat der Okkupationspolitik.
-
Das Hauptinteresse des serbischen Regimes ist, wie im vorigen
Kapitel beschrieben, v.a. auf agrarische Regionen konzentriert, um
den Raum zu haben, die eigene Gesellschaft durch Umsiedlungen
produktiv neu zusammenzusetzen. Das gleiche gilt, im beschränkteren
Maße, auch für Kroatien, wobei hier noch das Interesse
der Verfügungsgewalt an der herzegowinischen Hochkarstregion
hinzukommt, die mit ihren ausgebauten künstlichen
Bewässerungssystemen lebensnotwendig für die
Energiewirtschaft an der dalmatinischen Küste ist, die immerhin
30% des kroatischen Energiebedarfs produziert.
-
Für die Muslime bleibt, wenn überhaupt, im wesentlichen
nur das zentralbosnische Becken übrig. Diese Region ist zwar
stark industrialisiert und reich an Bodenschätzen, die Dominanz
der Schwerindustrie und des Bergbaus konfrontiert sie aber in ihrer
produktiven Struktur mit fast allen anderen Regionen Ost- und
Südosteuropas, die im Zerfallsprozeß gerade hier
gezwungen sind, ihre Produkte zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt zu
verschleudern.
-
Es liegt nahe zu vermuten, daß sich das serbische Regime nicht
noch mehr kaum zu deregulierende Schrottindustrie aufhalsen wollte
als es eh schon hat und den Wertetransfer aus Bosnien eher über
Nahrungsmittellieferungen organisieren wird. Denn egal wie groß
die Region sein wird, in ihr werden bis zu 40% der verbleibenden
Einwohnerschaft Bosnien-Herzegowinas leben müssen, und das ohne
eine auch nur annähernd ausreichende eigene Agrarproduktion.
-
Desweiteren besitzt Serbien das absolute Monopol an Transportwege um
die möglichen muslimischen Regionen, sdaß dort nicht
einmal eine Stecknadel herauskommt ohne serbisches Gebiet passieren
zu müssen.
-
-
IV. Schluß
-
Das weite Ausholen, um den Prozeß der Ethnisierung im
ehemaligen Jugoslawien zu veranschaulichen, sollte das Ausmaß
der sozialen Blockaden des Deregulierungsprozesses verdeutlichen,
die zu einer Sozialität besonders des Südens geführt
hatte, die in allen Bereichen und in ihrer ungeheuren Breite und
Tiefe nicht auf nichtkriegerischen Wege zu zerlegen war. Auch wenn
sich in Jugoslawien, bedingt durch die internationale Situation,
eine besondere Situation entwickelte, so ist diese doch in ihrem
Kern paradigmatisch für den gesamten ehemaligen sozialistischen
Raum und es ist daher anzunehmen, daß Jugoslawien nur das
Laboratorium der Relevanz der sozialen Zerstörungskraft
künftiger Deregulierungskriege ist.
-
Die eigentliche Dynamik dieses gewalttätigen
Zerlegungsprozesses, und dies geht in den moralinsauren
metropolitanen Diskursen um Intervention und Nichtintervention
völlig unter und verdeutlicht deren Bestimmung als politischer
Betroffenheitsinszenierung, die im wesentlichen auf den
metropolitanen Sozialprozeß selbst gerichtet ist, ist aber
keineswegs aus den verschiedenen Konstellationen des Sozialprozesses
im ehemaligen Jugoslawien allein zu entschlüsseln, sondern nur
in deren Konfrontation mit den Imperativen der Neuordnung des
europäischen Großraums. Egal ob in den industriellen
Regionen und Übergangsregionen Sloweniens und Kroatiens oder in
den prospektierten agro- und rohstoffproduzierenden südlichen
serbisch kontrollierten Regionen und in den zu erwartenden
Weltmarktproduktionsinseln in den muslimischen Gebieten, überall
sind die Konflikte nur zu entschlüsseln aus der Funktionalität
und der Konfrontation mit dem Großraum. Und auch die
verschiedenen Kommandoformen der Subzentren, ob »faschistisch«,
»nationalistisch« oder »demokratisch«, sind
nur begreifbar aus der Konfrontation mit den globalen Determinanten
des Großraums, die den Weg autozentristischer Experimente
endgültig abgeschafft haben und mit einem System der selektiven
Verwertung der Regionen die Handlungskompetenzen der Regimes im
Sinne der Durchsetzung der Wertraubbedingungen fixieren.
-
Die Ethnisierung des Sozialprozesses ist dabei keineswegs, das war
der Sinn der Ausführungen, aus dem »Inneren« des
Sozialprozesses selbst entsprungen, sondern wesentlich ein
sozialpolitisches Rationalisierungs- und Herrschaftsprojekt, was
sich im übrigen schon ergibt aus der Globalität und der
Relevanz von Ethnisierungstendenzen in den unterschiedlichsten
Sozialräumen, und vermittelt sich nur in einem äußerst
gewalttätigen Prozeß, in dem die ethnischen Säuberungen
und der Krieg nur die Spitze darstellen.
-
In der krisenhaften Zuspitzung und Verengung der Handlungs- und
Überlebensperspektive der Subjekte eröffnet die
Ethnisierung Perspektiven des Überlebens, und damit kommt der
Prozeß überhaupt erst in Gang. Die Verbindung von
Herrschaftsinteresse und subjektiven Erwartungen transformiert die
sozialen Aspirationen direkt in Aspirationen auf Teilhabe an
Herrschaft, und dies bildet die Basis des ethnischen Korporatismus,
der sich nun stark auf die Eigenbewegung der Subjekte stützt,
um den blockierten Sozialprozeß zu zertrümmern.
-
Wieweit sich dieser Prozeß aber nichtkriegerisch verlängern
läßt ist momentan noch nicht abzusehen. Die blockierte
Deregulierung in Slowenien und Kroatien und besonders die Situation
in Serbien, wie sie hier beschrieben ist, zeigt aber, daß dies
durchaus schon an Grenzen gestossen ist, und es ist durchaus
möglich, daß daher der Krieg als Dauerzustand diesen
Prozeß auf lange Sicht immer wieder neu und in den diversesten
Variationen inszeniert. Der rapide und massive Umbau der serbischen
Polizei zu einer paramilitärischen Aufstandsbekämpfungsarmee
deutet darauf hin, daß zumindest im Süden der Krieg als
permanente Perpetuierung einer »ethnischen« Neuordnung
in den unterschiedlichsten Varianten des Transformationsprozesses
erwartet und geplant ist. Die »Ethnie« erweist sich
damit als modernster politischer Kontrollbegriff der
sozialpolitischen Neuordnung und Herrschaftssicherung im Prozeß
der Konstruktion des europäischen Wirtschaftsraums.
<- Anfang
Nationalismus und Ethnisierung | Krieg
als Transformationsmechanismus ->
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil V -
Krieg als Transformationsmechanismus
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus
und Ethnisierung
Krieg als
Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
- Krieg als Transformationsmedium
-
-
Die Umbrüche in Ost- und Südosteuropa laufen
gewaltförmiger ab als es der Begriff der »friedlichen
Revolution« suggeriert. Unter der medialen Oberfläche
»ziviler« Massenproteste, legaler Abwahlen und
erzwungener Abdankung oder Absetzung von Regimen erweisen sich die
Umbrüche real als latente und offene Formen des sozialen
Krieges, die sich in sozial- ,finanz- und wirtschaftstechnischen
Instrumentarien der Transformationsregime gegen soziale Ansprüche
und Erwartungen artikulieren, wie wir es am Beispiel der ehemaligen
Sowjetunion aufgezeigt haben (s. Materialien Nr.4). Daß die
Transformation aber im strategisch wichtigen Balkanraum die Form
eines langanhaltenden offenen Kriegs annimmt, ist eine andere
Variante des sozialen Kriegs gegen den osteuropäischen
Sozialprozess im Laboratorium des südosteuropäischen
Krisenszenarios. Es ist u.a. den spezifischen Eigenheiten des
sozialen Antagonismus in Jugoslawien (s. Kap.4) geschuldet, daß
in der jugoslawischen Region die Zertrümmerung sozialer
Beziehungen und noch rudimentär vorhandener
subsistenzwirtschaftlicher Alltagsverhältnisse die
»Ethnisierung des Sozialen« als Sozialtechnik in
brutalster Form ihre Anwendung fand - initiiert und durchgesetzt im
Medium des Kriegs.
-
Am Beispiel Zentralamerikas haben wir herausgearbeitet, wie in der
neuen Doktrin des »low-intensity-warfare« der Krieg
gegen die Bevölkerung strategisch als eine verwertbare
Zwischenlösung eingesetzt werden kann, solange »der
Zustand des Fehlens eines neuen Modells der Kapitalakkumulation
anhält (...) - Krieg als augenblicklich rentabelste Form der
sozialen Kontrolle über die Region«, der die Ansprüche
der Bevölkerung niedrig hält (vgl. Materialien 1 S.22-26).
In der Phase des Umbruchs des sozialistischen Akkumulationsregimes
hingegen hat der entfesselte Krieg weitaus mehr als soziale
Kontrolle zu gewährleisten - er wird zum Motor der Zerstörung
und Transformation sozialer Geflechte, der Deindustrialisierung und
der Vernichtung »sozialer Überschüsse« bzw.
deren Vertreibung und Internierung, und er wird produktiv in dem
Sinne, daß er über ethnische Differenzierung und
nationale Homogenisierung eine neue Zwangsvergesellschaftung
(Kriegswirtschaft, zentralisierte Regulation etc.) gegen die Wucht
der sozialen Antagonismen durchsetzt und die Anpassungsleistungen an
die Weltmarktrationalität gewaltsam vergesellschaftet - das
scheinbar irrationale Chaos des Bürgerkriegs erzeugt flexible
ethnisierte Ordnungen in der Zwangsvergesellschaftung des Kriegs.
Dabei setzt die globale Ordnung nur den Rahmen, in dem die Subjekte
durch ihre autonome Eigenbewegung die »Ordnung« den
Umständen entsprechend selbst neu definieren.
-
Die radikale Absenkung der gesellschaftlichen Reprokuktionskosten
ist nicht eine unabänderliche Begleiterscheinung des Krieges,
sondern Kriegsziel selbst (vgl. Res Strehle, Dossier Ökonomie
des Krieges, im Anhang). Von daher ist der jugoslawische Bürgerkrieg
ganz eindeutig ein Krieg gegen die jugoslawischen Frauen (Zersetzung
ihrer Reproduktionsmacht). Die gesellschaftlichen Investitionen in
die Vernutzung und Ausbeutung der jugoslawischen Frauen, mit denen
das jugoslawische Regime die produktive Rationalisierung als ganze
zu forcieren hoffte, hatten sich offensichtlich nicht rentiert und
werden jetzt im patriarchalen Angriff auf die jugoslawischen Frauen
zurückgenommen und von nackter Gewalt gegen sie abgelöst.
(Es ist zu vermuten, daß die Frauen die soziale Systematik
ihrer Ausbeutung unterlaufen hatten.) Das scheint der funktionale
Kern des im Krieg entfesselten Machismo, der systematischen
Massenvergewaltigungen und der durchgehenden Repatriarchalisierung
des gesellschaftlichen Kommandos zu sein.
-
Der formale Ablauf des jugoslawischen Krieges kann kurz
zusammengetragen werden (vgl. ami 5/93, S.40, auf gegenüberliegender
Seite), allerdings ohne großen Erkenntnisgewinn. Auffällig
ist die sukzessive Verlagerung der Kriegsregionen vom Norden in den
Süden. Mit jedem z.T. in UN-Peacecorps abgesicherten
Waffenstillstand wandern die freigesetzten Kriegsmittel und -banden
weiter, um neue Gebiete mit kriegerischer Zerstörung zu
überziehen - ein feingesteuerter Dominoeffekt. Dabei nimmt der
Krieg an Intensität und Brutlität zu, je mehr er sich mit
gesellschaftlich verankerten Strukturen wie in Bosnien-Herzegowina
konfrontiert, die sich nicht ohne großen Widerstand aufbrechen
und ethnisch neuordnen lassen.
-
Die Akteure des Kriegs sind fast ausschließlich Männer,
die kämpfenden Verbände sind extrem unübersichtlich:
sie reichen von der ehemals viertgrößten Armee Europas,
der jugoslawischen Volksarmee JNA, Territorialarmeen, wildwüchsigen
Nationalgarden über parteigebundene Milizen und Freischärler
in z.T. historischer Kostümierung und unter Beteiligung von
Söldnern bis hin zu diversen Banden und Wochenendmilizen.
-
Spätestens mit der Unabhängigkeit Sloweniens hat die
jugoslawische Volksarmee JNA ihre Hauptfunktion, die einer Klammer
der jugoslawischen Republiken, eingebüßt - sie wird
zerlegt. Schon in den 80er Jahren, mit dem Ende der
Kalten-Kriegs-Subventionen aus dem Osten und dem Westen, war ihr
Etat beträchtlich gekürzt worden, aber erst der Krieg
machte die JNA zur serbisch-montenegrinischen Rumpfarmee, und die
abgespaltenen Einheiten ethnisierten und verselbständigten
sich. Dezentral organisiert, war bereits seit 1968 die territoriale
Verteidigung - bis hin zur Dezentralisierung der Befehlsgebung (vgl.
G. Wagenlehner, Landesverteidigung. in: K.-D. Grothusen,
Jugoslawien. - Göttingen 1975, S.193 ff) - eine
nationalistische Aufladung v.a. der Offizierscorps erfolgte schon in
der Vorkriegszeit. In Serbien findet parallel zur Schrumpfung der
JNA ein Ausbau der Polizei zu einer paramilitärischen Truppe
statt, deren Größe und Etat den der JNA übersteigt
(vgl.TAZ vom 17.8.93, im Anhang dokumentiert).
-
Gänzlich unübersichtlich ist die Anzahl der Milizen. In
Bosnien z.B. formieren sie sich als »Revolutionäre
Ustascha Front«, »Kroatische Kreuzritter«,
»Revolutionäre Kroatische Bruderschaft«, als
»Tschetniks«, »Serbische Tiger«,
»Antigermanische Allianz«, »Vaterlandsarmeen«
oder als »Bosnisch-muslimanische Widerstandsbewegung«,
»Muslimanische Bruderschaft« und »Grüne
Barette«. Und bewaffnete Banden reisen nach verschiedenen
Berichten an den Wochenenden nach Bosnien, um am Morden, Plündern
und Vergewaltigen teilzuhaben. So bizarr sich die Namen ausnehmen -
die Banden sind doch keine jugoslawische Besonderheit, sondern ein
neues transnationales Phänomen, wie J.F. Bayart es an
Beispielen aus Afrika verdeutlicht (s. Anhang).
-
Die Diversität der Verbände spiegelt auch die Ebene der
Kriegsführung wider. Mindestens vier Formen von Kriegsführung
können unterschieden werden, die sich hier miteinander
verbinden: die fordistische Kriegsführung, der Partisanenkrieg,
der War-Lord-Krieg und der low-intensity-warfare. Die Verknüpfung
dieser vier Formen des Kriegs, die von Region zu Region mal die eine
Form, mal zwei oder drei Formen miteinander vermischt und sich bis
zum Vernichtungskrieg verdichtet, hat eine völlig neue
Kriegsführung hervorgebracht.
-
Zum einen gibt es den klassischen Krieg um Eroberung und Kontrolle
von Territorien und Status (Unabhängigkeit/Republikzugehörigkeit),
am offensichtlichsten in der Annexion von Teilen Kroatiens durch die
JNA und in der Besetzung weiter Teile Bosniens durch kroatische und
serbische Verbände. In der zermürbenden Belagerung bzw.
Zerstörung von Städten ((Vukovar, Mostar, Sarajevo...)
werden urbane Strukturen angegriffen, in denen die Produktion
ethnischer Zwangsidentitäten auf erhebliche Widerstände
stößt - eine Auseinandersetzung, in der womöglich
der in der immer noch stark agrarisch geprägten jugoslawischen
Gesellschaft virulente Gegensatz Stadt-Land neu reaktiviert wird.
-
Seinen offenkundigsten Ausdruck findet der Krieg als
Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung in den als
»ethnischen Säuberungen« bezeichneten
Massenvertreibungen, Zwangsumsiedlungen, Internierungen und
Pogromen. Zwangsmobilisierung und radikale Entwurzelung sind das
Programm, und Massenvergewaltigungen in speziellen Lagern gehören
zum System dieses Kriegs.
-
---------------- KASTEN ANFANG -----------------------------------
-
-
Systematische Massenvergewaltigungen
-
Einiges ist mittlerweile bekannt geworden über die
systematischen, massenhaften Vergewaltigungen von Frauen im
ehemaligen Jugoslawien. Wenn auch in den hiesigen Medien von
interessierter Seite fast ausschließlich über den von
serbischen Männern begangenen Krieg gegen die Frauen berichtet
wird (die anti-serbische Front reicht von FAZ-Reißmüller
über CDU bis zur GfbV, die pro-interventionistischen Stimmen
finden sich quer durch die Parteienlandschaft, auch
BRD-Frauen-Gruppen sind kriegsparteiisch im nationalen deutschen
Konsens gegen Serbien ...), belegen doch zahlreiche Interviews und
Berichte von betroffenen Frauen aller Nationalitäten
Ex-Jugoslawiens, daß von allen Kriegsparteien die Waffe
Vergewaltigung als unmittelbarster und brutalster Akt gegen Frauen
vom Beginn des Krieges an eingesetzt wurde.
-
Innerhalb des gesamten Lager- und Internierungssystems (vermutlich
mehr als 120 Lager) gibt es mindestens 20 spezielle
Vergewaltigungslager, in die Frauen und junge Mädchen aller
Nationalitäten zwangsverschleppt, ausgeplündert,
systematisch vergewaltigt, geschwängert und oft auch getötet
werden. Ort und Funktion sind weitgehend bekannt, auch
UN-Menschenrechtsbeobachtern, die jedoch vorgaben, nichts zur
Befreiung der internierten Frauen unternehmen zu können, weil
es nicht genug Länder gäbe, die diese aufnehmen würden.
-
»Die Vergewaltigungen gehören zur Kriegsstrategie, sie
sind eine intelligente Waffe, für die man kein Benzin und keine
Munition braucht«, sagt Asija Armanda von der Zagreber
Frauengruppe »Kareta«. »Die Geschichten über
die Vergewaltigungen verbreiten sich, und die Menschen fliehen, und
eine vergewaltigte Frau kehrt nie an den Ort ihrer Vergewaltigung
zurück.« Dies ist ganz im Sinne der Kriegsstrategen, die
»ethnisch reine« Gebiete schaffen wollen.
-
Der Einsatz von Massenvergewaltigungen für eine Politik der
»ethnischen Säuberungen« wird mit Sicherheit am
radikalsten und brutalsten im serbisch besetzten Teil
Bosnien-Hercegowinas umgesetzt, sowohl in den von serbischen
Verbänden eingerichteten Vergewaltigungslagern, aber auch durch
Gruppenvergewaltigungen in den Dörfern vor den Augen von
Nacharn und Familienangehörigen. Akteure sind Soldaten und
Freischärler, Lagerwächter und Söldner, aber auch
Nachbarn und ehemalige Freunde. Vergewaltigung wird durch
Nichtbestrafung legitimiert und befördert, geschieht zum Teil
auf Befehl von oben, und einige verdienen sogar daran. Im Juni '92
erzählte ein Soldat der »Green Berets« (eine der
paramilitärischen muslimischen Einheiten im Krieg in Bosnien)
im Fersehen: Für jeden Bus, den er gefüllt mit Frauen zu
den Soldaten brächte, erhalte er umgerechnet 200 DM. Könne
er ihn nicht mit genug serbischen Frauen auffüllen, so genügten
auch muslimische und kroatische Frauen. Wichtig sei nur, daß
es Frauen sind, daß der Bus voll wäre und er 200 DM
erhalte. Dieselbe Summe, erhielt nach einer anderen Zeugenaussage
ein Soldat anderer Couleur von seiner Gang dafür, daß er
die Kellnerinnen einer Bar dazu brachte, sie nackt zu bedienen. Die
Frauen konnten nirgendwohin fliehen, das Maschinengewehr lag auf dem
Tisch. Ob die Frauen ehemalige Schulfreundinnen waren oder nicht,
jedes Anzeichen von Widerstand wurde mit Anspucken bestraft. Neben
dem Aspekt des Terrors und der Vernichtung von Frauen kommt den
Vergewaltigungslagern auch eine direkte bevölkerungspolitische
Bedeutung zu: zum einen werden die Frauen systematisch geschwängert
und erst zu einem Zeitpunkt freigelassen, zu dem eine Abtreibung
nicht mehr möglich ist, zum anderen sind es zumeist Mädchen
und junge Frauen, die in ihnen festgehalten werden. »Es ist
der reproduktivste Teil der (...) Bevölkerung. Sogar wenn sie
dort lebend herauskommen, Sie glauben ja wohl nicht, daß sie
je normale sexuelle Beziehungen und Kinder haben werden«, sagt
eine Zagreber Feministin.
-
Selbstverständlich wurde und wird in allen Kriegen (und nicht
nur dort) vergewaltigt. In Phasen politischen Zerfalls und
zunehmender Militarisierung von Gesellschaften sowie generell bei
Auflösung traditionell patriarchaler Männerrollen nimmt
offene Gewalt gegen Frauen zu, auch außerhalb des
unmittelbaren Kriegsgeschehens.
-
»Die Zahl der Vergewaltigungen an allen Fronten in Bosnien und
Kroatien ist gewaltig, aber auch die in allen Städten der
zurückkehrenden Krieger in Ex-Jugoslawien. Die `Notrufe für
Frauen und Kinder' in Zagreb und Belgrad stellten fest, daß
die Zahl der registrierten Vergewaltigungsfälle seit
Kriegsbeginn um 100% gestiegen ist. Und in 100% mehr Fällen als
zuvor wurden Todesdrohungen ausgestoßen, trugen die Täter
Waffen. Die Täter sind meistens Kriegsveteranen, Nachbarn, die
mit ihrer Kalaschnikov griffbereit zu Bett gehen. Sobald sich die
ewigen Soldaten nicht mehr unter Feinden befinden, machen sie ihre
eigene Frau zum Objekt von Vergewaltigung und Verstümmelung.
Und dies unabhängig von der Nationalität der Frau, ihres
Alters oder des Grades ihrer Begierde.« (L. Mladgenovic,
Belgrad in: Schehezerade Nr.4)
-
Als »Nach-dem-Fernseh-Syndrom« bezeichnen Belgrader
Notruf-Frauen Berichte von Frauen, sie würden oft unmittelbar
nach der Hauptnachrichtensendung von ihren Ehemännern
überfallen. Ähnliche Phänomene wurden von
Feministinnen zum Beispiel während des Golfkrieges in Israel,
Irak und Kanada (!) beschrieben.
-
Systematische Vergewaltigungen sind der offensivste und brutalste
Ausdruck des patriarchalen Kommandos über Frauen.
-
Aber sie sind zugleich eine Botschaft von Mann zu Mann. Nicht
zufällig war der Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzung in
Kroatien '91 und im Kosovo begleitet von Fernsehberichten über
Vergewaltigungen. Die Vergewaltigung von Frauen wurde
propagandistisch gleichgesetzt mit der Vergewaltigung einer Nation,
und damit wurde ganz wesentlich das nationalistische Klima
aufgeheizt.
-
Selbst viele ehemals feministische Frauengruppen Ex-Jugoslawiens
saßen dieser nationalistischen Propaganda auf.
-
-
----------------KASTEN ENDE -------------------------------------
-
Kennzeichnend für diesen Krieg ist der direkte Krieg gegen die
(vor allem weibliche) Zivilbevölkerung. Die Produktion von
Chaos, Terror gegen Zivilbevölkerung und allgemeiner
Unsicherheit und Unübersichtlichkeit greift tief: der Krieg
erzielt seine »zerstörerischste Wirkung darin, die
regionalen und lokalen Traditionen zu unterbinden« (Drago
Roksandic in: Aufrisse 3/1992 S.9). Es ist ein Krieg nach innen, der
seine Destruktion bis in die Subjekte hinein treibt - eine
Voraussetzung für neue Zwangsvergesellschaftung.
-
-
Krieg und Medien
-
Ohne die Medien wäre dieser Krieg kaum vorstellbar. Nicht erst
seit dem Umsturz in Rumänien und dem Golfkrieg wissen wir, wie
effektiv mediale Inszenierungen reales Geschehen vorbereiten,
überlagern und legitimieren können - bis hin zur medialen
Produktion von »Realitäten«. In Jugoslawien haben
das Fernsehen, aber auch Radio und die Zeitungen dem Krieg zunächst
den Boden bereitet und dann an vorderster Front zu seiner
Brutalisierung beigetragen.
-
Seit 1991 existierte das JRT (Jugoslawisches Radio und Fernsehen)
faktisch nicht mehr. Die schon vorher relativ autonomen
Fernsehanstalten der Republiken hatten sich vollständig
voneinander abgekoppelt und - mit Ausnahme Bosniens - alle
Austauschsendungen eingestellt. Damit war die Voraussetzung für
eine nationalistische Aufladung geschaffen, die nun gezielt
angegangen wurde: Kritische JournalistInnen wurden entlassen, in
Zwangsurlaub geschickt oder in schwarzen Listen als »Verräter«
und »Antipatrioten« geführt, und die
Informationspolitik wurde faktisch unter Kriegsrecht gestellt. Damit
wurden die Medien generell zu »Kriegshetzern« (wie Le
Monde eine informative Artikelserie vom 22.7.-24.7.93 treffend
überschreibt; vgl. auch den Artikel »Medien im Krieg -
Krieg in den Medien » von Vesna Kesic, in: Krieg in Europa,
hg. v. Johann Gaisbacher u.a.- Graz 1992). Die Medien wurden so zu
einer aktiv strukturierenden Determinante des ganzen
Kriegsprozesses: Homogene Volksgruppen wurden sprachlich
konstituiert - »die Serben«, »die Kroaten«,
»die Bosnier«, und wenn es die Kriegsgegner waren, unter
Manipulation des historischen Gedächtnisses kollektiv als
»Tschetniks«, »Ustaschas« oder »von
Sadam Hussein bewaffnete Fundamentalisten und Mudjahedin«
bezeichnet, die schon immer auf »Genozid« aus waren
(vgl. Interview im Anhang). Wie in aller Kriegspropaganda ging die
Dämonisierung des Gegners einher mit einer kriegerischen
Mythologie, in der der Feind »feige«, »schmutzig«
und »drogenabhängig« war, während »unsere
Soldaten« das Land mit »außergewöhnlichem
Mut« »verteidigen«.
-
Der wirkungsvolle Mechanismus der alltäglichen
Kriegspropaganda, dem sich kaum jemand zu entziehen vermag, kann als
Konstitution einer national definierten Opfergemeinschaft
beschrieben werden: Die Kriegshandlungen zielen auf die eigene
Person als Angehörige einer immer schon unterdrückten
Ethnie, die nun Opfer eines Komplotts wird. Der Bildschirm
bombardiert die Menschen mit grausamen Bildern von historischen wie
aktuellen Massakern, deren alleinige Opfer die Ethnie sei; zum Teil
sind es sogar die gleichen Bilder, die je nach Republik ethnisch
umdefiniert werden. Diese mediale Inszenierung von Massakern kennt
weder Täter in den eigenen Reihen, noch Opfer auf Seiten des
Gegners; Vertreibungen ethnischer Minderheiten aus der »eigenen«
Republik scheint es nicht zu geben - oder sie werden als allein
durch gegnerische Propaganda ausgelöste Flucht gedeutet.
-
Die so erzeugte kollektive Opfermentalität nimmt Formen einer
massenhaften »`patriotischen' Hysterie« an (Le Monde
v.23.7.93), die die Kriegsmaschinerie mit immer neuem Treibstoff
versorgt.
-
Diese grobe Phänomenologie des Kriegs in Ex-Jugoslawien
verweist schon auf die ihm eigene Logik, die Ökonomie des
Kriegs.
-
Der kriegerische Angriff auf die Zivilbevölkerung senkt
drastisch deren soziale Ansprüche und somit die
gesellschaftlichen Reproduktionskosten insgesamt. Am
Durchschnittslohn ist dieser Zusammenhang noch direkt greifbar: vor
dem Krieg lag er bei ca. 1.000 DM, heute bei 50 DM. Das gewaltsame
Herabdrücken der Gesamtkosten der gesellschaftlichen
Reproduktion ist nicht quantifizierbar (auch wenn es als Gewinn
einer Differentialrente in die gesamtgesellschaftliche Profitrate
eingeht) - das ungezählte Leiden unzähliger Frauen ist ihr
Gradmesser.
-
---------------KASTEN ANFANG---------------------------
-
-
Frauen in Ex-Jugoslawien
-
Um zu verstehen, welche gesellschaftlichen Machtpositionen von
Frauen im ehemaligen Jugoslawien im und durch den Krieg angegriffen
werden, ist ein kurzer Rückblick auf die Situation von
-
Frauen in der »Vorkriegszeit« notwendig.
-
Sie hatten enorme gesellschaftliche Macht. Im industrialisierten
Norden, in dem nahezu die Hälfte der berufstätigen
Bevölkerung Frauen waren (Slowenien 46%), entwickelten sie
Selbstbewußtsein und gesellschaftliche Stärke als
»moderne« Arbeiterinnen. Nicht zufällig hatte sich
hier Anfang der 80er Jahre eine autonome Frauenbewegung
entwickelt.Schon seit 1974 gab es das Recht auf Abtreibung ohne
Indikation (gesamtjugoslawisch war das Verhältnis
Geburt:Abtreibung 1:1, das südliche Kosovo hatte allerdings die
höchste Geburtenrate Europas). Sie hatten ein Anrecht auf
bezahlten Mutterschaftsurlaub (in Slowenien 12 Monate, in Mazedonien
7 Monate), auf Bildung (Frauenanalphabetismus in Slowenien 0,9%, im
Kosowo 23%). Vergewaltigung in der Ehe war seit Mitte der 70er Jahre
in Slowenien strafbar, und schon seit den 60er Jahren konnten hier
Frauen ihren Namen nach der Eheschließung frei wählen,
auch ohne den Namen des Mannes anzuhängen. Formalrechtlich gab
es die volle Gleichstellung der nichtehelichen Gemeinschaft und der
nichtehelichen Kinder.
-
Im agrarischen Südosten war die agrarische Großfamilie
die vorherrschende gesellschaftliche Produktionsform, da eine
Kollektivierung der Landwirtschaft nach '45 gescheitert war (vgl.
Kapitel 2). Durch Landflucht und den Zwang vieler Männer zur
Arbeitsmigration (nach Nordeuropa oder innerhalb Jugoslawiens)
blieben seit Mitte der 60er Jahre v.a. Frauen, Kinder und Alte als
Trägerinnen der Landwirtschaft, der Familien- und
Sozialstruktur zurück (Feminisierung der Dörfer). Die
Männer kamen für ein oder zwei Monate im Jahr, zum Urlaub
oder um bei der Ernte zu helfen. Ansonsten waren die Frauen die
alleinigen Trägerinnen der auf Subsistenz ausgerichteten, kaum
für den Markt produzierenden Landwirtschaft. Es existierte
quasi eine vom Markt gänzlich abgekoppelte Frauenökonomie.
Nur durch direkte Gewalt im Krieg gegen die Frauen, durch Terror und
Vertreibung, Zerstörung des gesamten sozialen Gefüges kann
diese dominante Position der Frauen gebrochen und so die
Voraussetzung geschaffen werden, die bisherige »unproduktive«
Landwirtschaft durch rationellere Strukturen (Agrokonzerne,
Großflächenbewirtschaftung, cash-crops etc.) zu ersetzen.
-
Auch im industrialisierten Norden kam der von Frauen getragenen
Subsistenzlandwirtschaft seit der Krise der 80er Jahre eine
zunehmende gesellschaftliche Bedeutung zu. Oftmals konnte allein sie
die Ernährung der durch Entlassungen und Inflation prekär
gewordenen Familie noch gewährleisten. Zudem war gerade die
Möglichkeit des Rückzugs auf die Subsistenz eine Basis der
Widerständigkeit der IndustriearbeiterInnen gewesen.
-
Im und durch den Krieg werden Frauen in eine extrem mobile und
instabile soziale Situation gezwungen. Sie verschwinden quasi
allerorten aus dem öffentlichen Leben. Sowohl politisch (ihr
Anteil in den Parlamenten ist von 11% auf 3% gesunken), als auch im
Alltag. »Es ist für mich schwierig, in Zagreb abends
auszugehen«, schreibt eine kroatische Pazifistin ihrer
Belgrader Freundin, »diese allumfassende Männerwelt; du
kannst es in der Luft riechen, dieses Bruderschaftsgefühl,
dieser Heroismus. Nicht nur Uniformen, auch der Geist riecht nach
Militär.«
-
Auf ideologischer Ebene sollen Frauen vom Quasi-Subjekt der
Arbeiterklasse (Arbeiterfrauen) sozusagen zum »Naturferment«
der Reproduktion des Lebens der Nation werden.So gibt es öffentliche
Aufrufe (auch von Frauengruppen) zum Gebärzwang (»für
jeden gefallenen Soldaten hundert Söhne gebären«).
Frauen gelten als die »Mütter der Nation«, auch die
verschiedenen zu Kriegsbeginn entstandenen Mütterbewegungen
ließen sich nationalistisch aufladen und forderten die
Herausgabe »ihrer Söhne«, die nicht für »die
Serben« oder »die Kroaten« fallen sollten, sondern
ihre Familien verteidigen.
-
Die Selbstethnisierung reicht bis weit in die jugoslawische
Frauenbewegung hinein. Eine Zagreber Feministin sagt: »Früher
habe ich mich als Jugoslawin gesehen, aber seit Kroatien angegriffen
wurde, fühle ich mich als Kroatin.« Frauengruppen spalten
sich auf in »Pazifistinnen« und »Patriotinnen«,
eine Zusammenarbeit ist nach eigenen Angaben kaum noch möglich.
Dies alles vor dem Hintergrund, daß die Anfang der 80er Jahre
entstandene Frauenbewegung eine relative Stärke erreicht hatte
und z.B. noch 1991 in Slowenien und 1992 in Kroatien die
Installierung eines neuen reaktionären Familiengesetzes
verhindern konnte.
-
Jetzt sind Frauen politisch weitgehend paralysiert, mit der
Organisation des Überlebens beschäftigt und konfrontiert
mit einer extrem reaktionären Neudefinition ihrer
gesellschaftlichen Stellung.
-
-
-----------------KASTEN ENDE------------------------------------
-
-
Je nach Region stellt sich der gewaltsame Enteignungsprozess
unterschiedlich dar: in den Vertreibungen, v.a. in ländlichen
Regionen, als Zerstörung der Subsistenzgrundlagen, in nicht vom
offenen Krieg betroffenen Gegenden als Lohnsenkung, Wegnahme
sozialer Leistungen und Wertraub durch kriegsbedingte Inflation -
eine rasante Bevölkerungsrationalisierung, wie sie in Form von
aufoktroyierten IWF-Auflagen nicht durchsetzbar war.
-
Zur Ökonomie des Kriegs gehört aber auch die andere Seite
der Medaille: die Teilhabe am Krieg erst schafft den (fast
ausschließlich männlichen) Soldaten und Milizionären
Zugang zu Ressourcen und sichert so ihr Überleben: sei es als
regulären Sold - war doch die JNA schon vor dem Krieg eine der
größten Einkommens-Geber - sei es als Kriegsbeute -
Plünderungen gehören zum integralen Bestandteil der
Kriegshandlungen, und so erklärt es sich auch, daß der
prozentuale Anteil jugendlicher Arbeitsloser an den Milizen sehr
hoch ist. Städtische Wochenendmilizen lockt die Aussicht auf
Beute - Plünderungen und Vergewaltigungen gehen dabei meist
miteinander her. Erst die Teilnahme am Krieg eröffnet die
Möglichkeit, an Macht und Politik zu partizipieren, und sie
bietet Aussicht auf wirtschaftlichen Gewinn.
-
So wird der Krieg zu einem Unternehmen, das sich zunehmend und in
wechselnden Allianzen mafiös organisiert: »Zahlreiche
Einheiten hören inzwischen nur noch auf ihren Kommandanten und
akzeptieren keine Befehle aus Belgrad mehr. So ist denn die
Verwirrung groß entlang der ausgedehnten Fronten zwischen
Serbien und Kroatien, und der Krieg, wie er heute geführt wird,
wird zu einem Bandenkrieg. Diese Banden verfolgen präzise,
jedoch ausschließlich regional begrenzte Ziele und betrachten
alle militärischen und politischen Strategien als Verrat.«
(FR 29.8.91)
-
Profiteure des Kriegs sind andererseits alle, die die Mechanismen
der Spekulation, des »grauen Markts« und des
Schwarzmarkts beherrschen und für sich nutzen. Dieser parallele
Markt blüht im Krieg auf und entwickelt sich zu einem der
profitträchtigsten Segmente der Kriegsökonomie. Einer
seiner Kernbereiche ist der Waffenmarkt. Über den
internationalen Waffenmarkt wird Ex-Jugoslawien - trotz aller
offiziellen Embargos - kontinuierlich bedient, und die einheimische
Rüstungsindustrie, die sich auch vor dem Krieg auf den
internationalen Märkten » gut behaupten konnte«,
produziert Waffen auf dem neusten technologischen Stand. Die
Rüstungsindustrie ist quer zu allen ethnischen Grenzziehungen
überregional organisiert: ca. 60% der Rüstungsschmieden
liegen auf serbischem, fast 40% (!) auf bosnisch-herzegowinischem
Territorium, und die Zulieferindustrie ist über ganz
Ex-Jugoslawien - incl. Kroatien und sogar Slowenien - verteilt.
Schon heute, während des Kriegs, wird bereits auch - sogar in
umkämpften Regionen - für den Export produziert, und für
die Nachkriegszeit steht zu erwarten, daß die Rüstungsbetriebe
zu den ersten auf Export und damit Devisen ausgerichteten
produktiven Kernen der Nachkriegsordnung werden (vgl. Anhang »Woher
kommen die Waffen?«).
-
Kriegsökonomie umfaßt nicht nur das unmittelbare
Kriegsgeschehen, also Raub, Plünderungen, Waffenhandel etc.
sondern erstreckt sich auf die Gesellschaftsorganisation als Ganze.
Insofern transformieren sich bspw. Politik, Kultur, Medien etc., in
Agenturen des Kriegs, die die Zwangsvergesellschaftung im Krieg
betreiben. Schon in der Auflösung, Zerstörung alter
Machtstrukturen formieren sich neue Linien der Ordnung. Dieser
gleichzeitige Zerstörungs- und Transformationsprozeß
erfaßt die ganze Gesellschaft, und er hat viele Facetten: In
der Mutation vom nationalen Kommunismus zu einem
kriegskommunistischen Nationalismus besetzen nationalistisch
gewendete kommunistische Machteliten weiterhin die Schaltstellen der
Macht; in der kriegerischen Desintegration des jugoslawischen
Territoriums wird eine neue Zonierung des Raums erzwungen, in der
Ökonomie des Kriegs soll der jugoslawische Raum nach
produktivitätsorientierten und bevölkerungspolitischen
Gesichtspunkten auf den EG- bzw. Weltmarkt hin neu geordnet und
zugerichtet werden (vgl.Kapitel 7). Zivile wie militärische
Produktion werden unter Kriegskommando zum Betandteil einer
umfassenden Kriegswirtschaft, die nach allen historischen
Erfahrungen Motor eines forcierten Modernisierungsschubs (d.h. einer
neuen Qualität der Unterwerfung sozialer Prozesse unter die
Akkumulationsanforderungen) wird. So erzwingt der Krieg eine
gewaltige Gesellschaftsrationalisierung, wird zum brachialen Medium
einer Zwangsvergesellschaftung, die nach dem Scheitern früherer
Reform- und Neuordnungspläne die Transformation Jugoslawiens in
dem Weltmarktdiktat unterworfene Einzelregionen gewaltförmig
durchzusetzen versucht.
-
Dieser kriegsförmige Umbruchsprozeßs dringt in alle Poren
der Gesellschaft ein, und er kann Gesellschaftlichkeit nur
strukturieren, wenn er in den handelnden Subjekten selbst materielle
Anknüpfungspunkte findet. Die Konstitution der Subjekte selbst
verändert sich im Krieg und wird durch ihn verändert: die
Brutalisierung aller gesellschaftlichen Beziehungen und
Verhältnisse, die Materialisierung struktureller Gewalt in
offene prägt die Menschen in ihrem Bild von sich selbst und
ihrem Bezug zu anderen bis ins Innerste. Muster der
Identitätsbildung und des Alltagsverhaltens werden außer
Kraft gesetzt und zerstört, neue Identitäten bilden sich
heraus. Hervorstechendstes Merkmal dieses Prozesses ist die extreme
Repatriarchalisierung der ganzen Gesellschaft. Die neue Macht der
Männer, die sich nicht nur im Waffenbesitz und in
Vergewaltigungen, sondern schon im medialen Bild davon und in der
Reaktivierung von Männerphantasien (Theweleit) manifestiert,
setzt in Verbindung mit der Auflösung traditioneller
Familienstrukturen einen Machismo frei, der selbst wieder zu einem
Moment sozialer Kontrolle wird. Dem männlichen Machtzuwachs
entspricht eine Entmachtung der Frauen auf allen Ebenen: die
alltägliche Entwürdigung und Demütigung, die den
jugoslawischen Frauen in ihren eigenen Erfahrungen und schon in den
Berichten über Massenvergewaltigungen angetan wird, die
Beschneidung materieller, sozialer und politischer Rechte und die
Reinstallierung eines von Mutterschaft und Sexualobjekt geprägten
Frauenbildes destruiert die gesellschaftliche Machtbasis, die Frauen
in Jugoslawien sowohl in den durch Migration feminisierten Dörfern
wie in den städtischen Lebenswelten zukam. Die extreme
physische psychische Verletzung der Frauen schlägt so tiefe
Wunden, daß sie kaum artikuliert werden kann; sie mauert die
Frauen in ein auch ideologisches Gefängnis der Ohnmacht,
Selbstbescheidung und Opferrolle ein, so daß die kriegerische
Repatriarchalisierung eine dauerhafte zu werden verspricht, die weit
über ein mögliches Ende des Krieges hinausreicht. So
konstituieren sich Subjekte im Krieg neu und reproduzieren sich in
ihren alltäglichen Beziehungen. Die Neustrukturierung der
Geschlechterverhältnisse, also die Unterwerfung, gewaltsame
Erniedrigung der Frau ist die Voraussetzung für ihre
gesteigerte Ausbeutung und die Bedingung dafür, die
gesellschaftlichen Reproduktionskosten auf ein
kriegswirtschaftliches Minimum zu beschneiden - gesellschaftliche
Verhältnisse, die den Krieg überdauern.
-
Aber nicht nur in der Neuverteilung der Geschlechterrollen schafft
der Krieg neue Muster der Selbstdefinition: Identitätsbildung
nach ethnischer Zuschreibung, Zugehörigkeit zu städtischer
oder agrarischer Lebenswelt, das Kriterium militärisch oder
zivil internalisieren tendenziell die Ordnungslinien, nach denen die
jugoslawische Gesellschaft aufgesplittet und zur Steigerung
gesamtgesellschaftlicher Produktivität neu zusammengesetzt
werden soll.
-
Es gibt keine Erhebung gegen den Vernichtungskrieg - mit wenigen
Ausnahmen zu Beginn der Kriegshandlungen, als eine breite
Antikriegsbewegung existierte. Noch 1992 kamen 150.000
TeilnehmerInnen zu einem Rockkonzert in Belgrad, das unter dem Motto
stand: »Wir sehen, wer lügt, plündert, schlägt
und mordet, wer die unbewaffneten Zivilisten in die
Schutzunterkünfte treibt, die bewaffneten Männer an die
Front zwingt und die Eingeschüchterten zu Flüchtlingen
werden läßt« (ZEIT v.19.6.92). Inzwischen aber sind
Gegenbewegungen nur schwer auszumachen, und sie können unter
Kriegs- und Ausnahmerecht sich kaum entfalten. Im unmittelbaren
Kriegsgeschehen selbst (Kampfhandlungen, Front, Kaserne etc.)
scheint es keine Chancen für Bewegungen zu geben, die sich
diesem entgegenstellen könnten, allein das Sich-Entziehen, die
Flucht, der Kriegs-Absentismus kann der Logik des Kriegs zumindest
teilweise entgegenarbeiten. Die Desertion hat zu Beginn des Kriegs
gewaltige Dimensionen angenommen, ermöglicht wurde sie z.T.
durch von Frauen geknüpfte Netze des Unterschlupfs und der
Versorgung. Ȇber 50% der serbischen Reservisten
mißachteten im Oktober (1991) die Einberufungsbefehle. In der
Hauptstadt Belgrad entzogen sich sogar 85% der Volksarmee. Auch in
Kroatien erschien angeblich nur die Hälfte der Einberufenen in
der neugegründeten Nationalgarde. Viele serbische Deserteure
fliehen über die Grenzen, darunter ein hoher Anteil junger
Albaner. Die albanische und ungarische Minderheit gelten bei der
serbischen Führung als besonders unzuverlässig, ihre
Angehörigen werden überdurchschnittlich häufig mit
Stellungsbefehlen bedacht« (...). (ami 2/92) Bis zum Februar
92 sind 60.000 serbische Wehrpflichtige ins Ausland geflüchtet
(TAZ vom 28.1.92), ca 150.000 Personen flohen bis Mitte 92 vor
drohender Rekrutierung ins Ausland (ZEIT 19.6.92). Die Informationen
über Desertionen werden bei Intensivierung und Dauerhaftigkeit
des Kriegs spärlicher, und es steht zu befürchten, daß
die Gewöhnung an den Krieg und seine Perpetuierung die
Möglichkeiten der Desertion zunehmend minimiert; sie wird zum
Teil der Fluchtbewegung, über die im Kapitel 6 berichtet wird.
-
Ob sich nicht doch »unterirdisch« Formen sozialer
Renitenz entwickeln, die der Kriegsökonomie entgegenarbeiten,
vermögen wir nicht zu sagen. Offene Formen des Protestes
jedenfalls werden entweder schnell militärisch niedergeschlagen
oder, wie ein Teil der Anti-Kriegs-Frauenproteste, nach und nach
nationalistisch aufgeladen und damit zu einem friedlichen Arm einer
Kriegspartei. Und wo ganze Städte und Regionen sich den
Kriegsimperativen nicht unterwerfen, wie z.B. in Sarajewo, werden
sie mit einer Strategie des Beschusses und Aushungerns selbst zu
einem Mittelpunkt der Kriegshandlungen. Wo der Krieg die ganze
Gesellschaft mit seiner brutalen Logik überzieht, scheint kaum
ein anderer Weg als die Flucht offen zu bleiben.
<- Nationalismus
und Ethnisierung | Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
->
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil VI - Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus
und Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
Die Rotationsmigration aus Jugoslawien in
der Ara des Kalten Kriegs
Jahrzehntelang erfüllte Jugoslawien die
Funktion eines Arbeitskräftereservoirs mit kontrollierter
Migrations- und Auswanderungspolitik in die industriellen Metropolen
Europas. Seine Sonderrolle in der Konkurrenz des Kalten Kriegs
ermöglichte den Export der Ware Arbeitskraft. Die gut
ausgebildeten JugoslawInnen waren hochwillkommen; 1973 betrug ihre
Zahl allein in der BRD 535.000, Mitte der 70er Jahre arbeiteten 55 %
aller jugoslawischen Facharbeiter im Ausland und hielten »damit
die Wirtschaft anderer Länder in Gang«.1
Das jugoslawische Regime versprach sich 1968 von dem
Anwerbeabkommen mit der BRD ähnliche Vorteile wie auch die
Türkei: Export der mobilsten und damit konfliktträchtigsten
Arbeiterschichten, Lohntransferleistungen der im Ausland lebenden
ArbeiterInnen, Rückkehr industriell geschulter und
disziplinierter Arbeitskräfte. Und wenn sich auch die
Hoffnungen, daß die Geldtransferleistungen der
Arbeitsmigrantlnnen der jugoslawischen Wirtschaft einen Investitions-
und gar Modernisierungsschub bescheren würden, genausowenig
einlösten wie in allen anderen Exportländern für
Arbeitskraft, so war die Arbeitsemigration doch ein wichtiger
stabilisierender Faktor. Das Regime und die Armee garantierten einen
reibungslosen Ablauf einer Rotationsmigration und der Lohntransfer
war ein wichtiger Faktor für das Überleben der
administrativen und militärischen Organe. Daß diese das
jugoslawische Arbeitskraftpotential den westlichen Zentren als
fungible Reservearmee des Arbeitsmarkts zur Verfügung stellten,
beruhte, ähnlich wie in der Türkei, auf der Spekulation,
daß die Migranten als »ökonomisch erneuerte
Arbeiter« ein Hebel für die Modernisierung der eigenen
Industrie sein könnten.2 In der Tat funktionierte das
System der Rotationsmigration mit den jugoslawischen ArbeiterInnen
besser als mit den anderen Nationalitäten. Die meisten von ihnen
richteten sich auf eine kurze Migrationsphase ein, nur eine
Minderheit holte die Familie nach (34 % gegenüber 70% der
Griechen, 48% der Spanier, 38% der Türken), eine sehr hohe Zahl
von Jugoslawlnnen ließ sich in Wohnheime oder Wohnlager für
Migrantlnnen einquartieren.
Die »Energiekrise« von 1973 und das
Auslaufen der Anwerbeverträge führten zu einem Auslaufen
der Rotationsmigration. Binnen zwei Jahren sank die Zahl der
jugoslawischen ArbeiterInnen um 100.000 auf 436.000, sie blieben aber
nach den Migrantlnnen aus der Türkei die zweitstärkste
Gruppe, die sich durch den Nachzug der Familien stabilisierte. Zwar
verließen zwischen 1975 und 1980348.900 jugoslawische
Migrantlnnen die BRD und bis 1986 nochmals 208.100, jedoch wurden in
den gleichen Zeiträumen 248.000 bzw. 137.600 Einwanderlnnen
gezählt, so daß der Wanderungsverlust bis 1987 auf 180.000
Menschen begrenzt blieb. 1987 lebten bei einer Wohnbevölkerung
von knapp 600.000 jugoslawischen Frauen, Männern und Kindern
mehr als 400.000 länger als 10 Jahre und mehr als 50.000 länger
als 20 Jahre in der BRD. Mit den ersten Anzeichen der Umbruchskrise,
mit der jugoslawischen Krise und den Kämpfen der Jahre 1987/88
sank die Rückkehrbereitschaft der jugoslawischen Migrantlnnen,
und in den folgenden Jahren begannen die mit dem Umbruch in Ost-und
Südosteuropa einsetzenden Flüchtlingsbewegungen, die
staatlichen Regulationsmechanismen auszuhebeln. Aus Jugoslawien
wurden erstmals ganze Familienverbände in die Emigration
getrieben. Sie emigrierten in die Staaten, die bereits eine große
jugoslawische »Kolonie« aufwiesen: neben der BRD waren
dies Österreich (115.000 Jugoslawlnnen in 1987), die Schweiz
(88.000 in 1987) und Schweden (38.000 in 1988). Zugleich verlor
Jugoslawien mit dem Zusammenbruch der Ordnung des Kalten Kriegs seine
herausgehobene Stellung in Südosteuropa; die Regionalisierung
des Balkans in Kleinstaaten an der Peripherie des europäischen
Wirtschaftsraums entsprach einer Neuordnung der Arbeitsmärkte im
Interesse des europäischen Zentrums.
Die Unterbringung der Kriegsflüchtlinge bei
FreundInnen, Bekannten und Verwandten und ihre schnelle Integration
auf dem Arbeitsmarkt der BRD - sicher größtenteils zu
untertariflichen Bedingungen, aber auch in Österreich und der
Schweiz zeugt von intakten sozialen Strukturen in den jugoslawischen
»Kolonien«. Waren sie in den 70er und 80er Jahren
Anlaufpunkt einer informellen Rotationsmigration, so oblag ihnen nun
die Hauptlast für das Überleben der Kriegsflüchtlinge,
vor allem aus Kroatien und Bosnien, und sie dienten als -
Auffangbecken einer unkontrollierten Einwanderung. Die Form der
Unterbringung entlastete die staatlichen Sozialfonds und dem
Arbeitsmarkt wurden auf billigste Weise gelernte und ungelernte
Arbeitskräfte zugeführt. Auch die physischen und
psychischen Schäden der Kriegsflüchtlinge werden
größtenteils in den Communities aufgefangen. Sicherlich
wird es für die meisten Flüchtlinge keine Rückkehr
mehr geben; wie sich das auf die sozialen Netze der Communities
auswirken wird, ist noch offen. Jedenfalls müssen sich durch die
Einquartierungen ganze Straßenzüge und Stadtteile in den
Großstädten der BRD, vor allem in den südlichen
Bundesstaaten, neu zusammengesetzt haben; nach staatlichen
Schätzungen sind in der BRD 65 000 Flüchtlinge
nicht registriert und ihr Verbleib ist offen (FR 21.8.92).
-
Die unkontrollierte Migration an Ende des Kalten Krieges und
die Neuordnung des Großraums
Bald nach dem Zusammenbruch der bolschewistischen
Regimes sollte sich zeigen, daß das Aufbrechen des Eisernen
Vorhangs zu einer Welle von Migrationen führte, welche die
Sozialpolitik in den europäischen Zentren vor zunehmende
Schwierigkeiten stellte und die Großraumkonzepte der
europäischen Gemeinschaft über den Haufen warf. Die
deutschen Botschaftsflüchtlinge und Aussiedler waren noch
willkommen, die überfüllten Flüchtlingsschiffe von
Bari erschienen wie ein Menetekel, aber noch abwendbar durch den
»beherzten« Zugriff der italienischen Polizei - die
Migration der Roma und Sinti und dann die jugoslawischen
Kriegsflüchtlinge aber führten zu einer rassistischen
Neuordnung der Migrationspolitik im europäischen Großraum,
die heute noch nicht abgeschlossen ist.
Es ist offenkundig und wir haben es unter dem
Stichwort von der »Ethnisierung des Sozialen« dargelegt,
daß unter den Ursachen der Migration die Bevölkerungspolitik
eine entscheidende Rolle spielt. Die Vertreibungs- oder
»Säuberungs«politik gegenüber nationalen
Minderheiten stellt einen Angriff dar auf undurchdringliche
subsistenzielle Strukturen und eine nicht verwertbare
Gesellschaftlichkeit. Hinter der »Serbisierung«, der
»Bulgarisierung« oder der rumänischen
»agroindustriellen Systematisierung« stehen gleichsinnige
bevölkerungspolitische Umsiedlungs- und
Rationalisierungsprogramme, die zum Teil schon in der Zeit der
bolschewistischen Regimes angegangen worden sind. Nach dem Umbruch
ist das nationalistische Gewandt dieses Angriffs krasser, der
Rassismus offener und die physische Vertreibung überhaupt erst
möglich geworden.
- Offen liegt der Zusammenhang von
Vertreibung und sozialer Rationalisierung in Rumänien zutage.
Mit der Schaffung von »agroindustriellen Zentren«
sollten zuerst die ungarische und die deutsche Minderheit
zwangsassimiliert oder vertrieben werden. Allein 1987 verließen
20.000 Ungarlnnen das Land. Die sozialistische Entwicklungsdiktatur,
in ihrer Krise zu radikalen Maßnahmen verleitet, plante im
Zuge der »agroindustriellen Systematisierung« (vgl. Der
Spiegel 28/1988) die Einebnung von 7000 Dörfern mit überwiegend
deutschstämmiger Bevölkerung und deren Vertreibung oder
Neuansiedlung in Plattenbetonsiedlungen an den Stadträndern. Es
zeigte sich dann, daß sich die Vertreibung der
Deutschstämmigen, für welche die BRD Kopfgelder in Höhe
von 8000 DM zahlte, zu einem profitablen Menschenhandel umgestalten
ließ. Mit dem Ziel, die Dorfgemeinschaften aufzumischen und
die Subsistenzzusammenhänge zu zerschlagen, wurden
Roma-Familien systematisch in die verlassenen Häuser der
Deutschstämmigen umgesiedelt. Die Einebnungspolitik wurde nach
dem Umbruch aufgegeben, jedoch waren die Dorfgemeinschaften schon so
zerstört, daß auch die letzten BewohnerInnen bis 1992 das
Land verließen; binnen weniger Jahre hatten eine Viertel
Million Menschen das Land gezwungen oder »freiwillig«
verlassen.
Die Politik der »Bulgarisierung« gegenüber den 1,5
Million Menschen der türkischen Minderheit in Bulgarien liegt
auf der gleichen Linie. Auch hier war die Akkumulationsfeindlichkeit
der Dorfstrukturen der Hintergrund, daß noch vor dem Umbruch
300.000 bulgarische TürkInnen zur Ausreise in die Türkei
gezwungen wurden. Jahrzehntelang war die türkische Minderheit
zuvor einem Assimilationszwang ausgesetzt gewesen, der seit 1950 -
damals flüchteten bereits eine Viertel Million Menschen - mit
der ständigen Bedrohung durch Zwangskollektivierung gekoppelt
gewesen war. Der Modernisierungsdruck, der stets von offen
rassistischer Gewalt begleitet wurde, eskalierte im Mai 1989 zu
massiven Auseinandersetzungen, bei denen mindestens 100 Menschen
getötet wurden und die in eine Vertreibung der Türklnnen
einmündeten. Damit begann ein Neuordnungsprozeß, welcher
der bulgarischen Mehrheit Zwangsarbeit in der Landwirtschaft eintrug,
weil zehntausende von Arbeitsplätzen frei geworden waren. Nach
dem Sturz des Regimes im Herbst 1989 wurde die Bulgarisierungspolitik
kurzzeitig ausgesetzt (man fürchtete die türkische Ökonomie
des Partisanenwiderstands, die sich schon an den Nazis erprobt hatte:
»Sonst haben wir hier eine Situation wie im Kosovo«) und
dann in altem Stil wiederaufgenommen. Trotzdem kehrten viele der
Vertriebenen aus der Türkei zurück, weil sie anders als in
den Subsistenzstrukturen ihrer Heimatorte dort ihre Existenz nicht
sichern konnten. Andererseits führte der Umbruchprozeß in
Bulgarien dazu, daß bis zum Herbst 1990 150.000 junge, gut
ausgebildete Arbeitskräfte das Land in Richtung Westeuropa
verließen.3
Neben den Rassismus der sozialen Rationalisierung
tritt auf dem Balkan die Verarmung und Entgarantierung der
Bevölkerungen nach dem Sturz der sozialistischen Regimes hinzu.
Dies betrifft die Albanerlnnen, von denen seit dem Umbruch 350.000
ihr Land in Richtung Italien und Griechenland verlassen haben, die in
Griechenland den illegalen Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft speisen
und dort andauernden polizeilichen Zugriffen ausgesetzt sind. Beide
Faktoren, der Rassismus und die Verarmung, potenzieren sich bei den
Roma und Sinti, vor allem in Rumänien, aber auch in den anderen
Balkanstaaten und der ehemaligen Tschechoslowakei.
In Rumänien leben zwischen 2 und 3,5 Million
Roma (die offizielle Statistik spricht von 410.000), die bis 1856 von
den rumänischen Großgrundbesitzern als Sklaven gehalten
und gehandelt wurden, die während der Zeit des faschistischen
Antonescu-Regimes Mordprogrammen ausgesetzt waren und die im
Sozialismus als »asoziale« Randgruppe definiert und
behandelt wurden. Durch die Industrialisierung der 60er Jahre wurden
sie aus ihren traditionellen handwerklichen Berufen gedrängt,
durch die »agroindustrielle Systematisierung« wurden ihre
Lebenszusammenhänge weiter zerstört. Nach dem Sturz
Ceausescus wurden sie aus dem sich verengenden Arbeitsmarkt weiter
verdrängt und fanden allenfalls Zugang zu Arbeitsplätzen
mit extrem geringem sozialen Status und entsprechend geringem
Lohnniveau. Gleichzeitig ruft die faschistische »Vatra
Romaneasca«, die sich der stillschweigenden Unterstützung
der neuen Machthaber in Bukarest sicher weiß, wieder zum
»blutigen Kampf geg'en die Zigeuner« auf; eine Reihe von
Pogromen sind in der westlichen Presse erwähnt worden Natürlich
gerieten auch die auf 800.000 geschätzten Roma in allen
Teilstaaten des ehemaligen Jugoslawien zwischen die Fronten der
sozialen Bereinigungen.
In der BRD wurden die Sinti und Roma noch vor dem
Krieg zum ersten Angriffspunkt der neuen Flüchtlingspolitik. Der
Hamburger Senat berechnete, daß er durch Vertreibung von 1.000
Roma Sozialkosten in Höhe von 65 Millionen DM sparen könnte.
Der Kampf um das Bleiberecht der Roma verdichtete sich seit 1990 in
Nordrhein-Westfalen, als zunächst 1.400 Roma in ein Romaghetto
bei Skopje umgesiedelt werden sollten. Die Landesregierung hatte mit
der Regierung von Mazedonien ein entsprechendes Abkommen, Aufnahme
gegen Kopfgeld, abgeschlossen. Es gelang den Roma, der geplanten
Deportation letztlich aller 5.000 in NRW lebenden staatenlosen Roma
einen hinhaltenden Widerstand entgegenzusetzen; in Anbetracht des
Kriegs wurde die Duldung ihres Aufenthalts mehrfach verlängert.
Was die Deportierten im ehemaligen Jugoslawien erwartet hätte,
wird aus dem Bericht eines 20jährigen Mannes deutlich, der nach
Kroatien abgeschoben worden war: »Verhaftung gleich nach der
Landung in Zagreb, Handschellen für alle 7 Leute einschließlich
seiner l7jährigen Schwester und der l3jährigen Tochter
einer anderen Romafamihe, Tritte, Spucken, von Schlägen
begleitete Verhöre, Zwangsrasur, endlose Beschimpfüngen,
kein Essen, nur Wasser. Am vierten Tag gelang dem jungen Mann die
Flucht. Von ständigen gewaittätigen Schikanen gegenüber
moslemischen Roma in Mazedonien berichtet ein betroffenes Ehepaar,
und immer wieder die Klagen über Vergewaltigungen« (FR
2.1.91).
Um die Migration der Roma zu charakterisieren,
reicht es aber nicht, auf die Fluchtgründe zu verweisen. So
zwingend diese auch sein mögen - stets enthält die
Migration auch Momente der Aspiration und den Anspruch auf Zugang zum
Reichtum der Metropolen. Gerade die Sinti und Roma sind es, die
diesen Anspruch verkörpern, im Festhalten an ihrer Identität,
die sich der industriellen Verwertung entgegenstellt - eine
»Überschußbevölkerung« par excellence,
welche durch ihre Migration die rassistische Differenzierung im
europäischen Großraum konterkariert. Ihre Migration, die
Fremdheit ihres Lebensanspruchs außerhalb der industriellen
Verwertung und die verbreiteten rassistischen Stereotypen, die sich
gegen sie richten, erinnern an die ostjüdische Migration in den
Jahrzehnten um die Jahrhundertwende, die damals den Antisemitismus
hervorrief und mit Auschwitz endete. Sich auf diese Menschen und ihre
Migration zu beziehen, bedeutet nicht, nur auf die Fluchtgründe
zu verweisen, sondern offensiv zu werden für die Beteiligung
aller Migrantlnnen am gesellschaftlichen Reichtum der Metropolen.
- Auf die Neuordnung des europäischen Großraums, die ja
nicht nur Planung und Durchsetzung ist, sondern widersprüchliches
Terrain eines sozialen Antagonismus, ein Prozeß von Versuch
und Irrtum, von Blaupausen, sozialen Laboratorien und Kämpfen,
werden wir in einem folgenden Materialienheft eingehen. Offenkundig
nimmt bei dieser Neuordnung die Regulation der Migration eine
zentrale Stellung ein, mit ihr steht und fällt die rassistische
Staffelung des Großraums. Dabei geht es nicht darum, die
Migration zu blockieren, sondern eben sie zu regulieren nach Maßgabe
der Arbeitsinärkte, die auf illegale Segmente und
Kontingentarbeit längst angewiesen sind. Die BRD verzeichnete
im letzten Jahr eine Million ImmigrantInnen (220.000
AussiedlerInnen, 100.000 Personen im Familiennachzug,140.000
osteuropäische Kontingentarbeiterlnnen, 440.000
Asylbewerberlnnen, von ihnen 245 000 aus dem Balkan, und 100.000
Kriegsflüchtige aus dem ehemaligen Jugoslawien); hinzu kamen
200.000 SaisonarbeiterInnen und die illegalen Migrantlnnen, deren
Zahl auf eine halbe Million geschätzt wurde. Das Asylverfahren
reichte zur Regulation nicht mehr aus, ohnehin war die
Anerkennungsquote auf gut 2% gesunken. Die Anderungen der letzten
Monate zielen darauf, die Migrantlnnen, die bislang als Asylsuchende
kamen, primär in den illegalen Arbeitsmarkt abzudrängen
oder ihnen, soweit unverwertbar, den Zugang zu versperren. Diese
Politik gilt zuerst den Roma, und in der Perspektive auch möglichen
ImmigrantInnen aus der GUS; in diesem Zusammenhang wurde im November
1992 das Deportationsabkommen mit Rumänien geschlossen; es
folgten die Konferenz von Budapest (vgl. Der Spiegel 8/1993), auf
der Europa in Herkunfts-, Transit- und Zielländer gegliedert
und alle beteiligten Länder zu »verfolgungssicheren
Drittstaaten« erklärt wurden, und schließlich die
bilateralen Rücknahmeverträge mit Polen und der
Tschechischen Republik. Die zwölf Innenminister der TREVI-
Gruppe beschlossen im November 1992 ein vereinheitlichtes Vorgehen
gegen die Flüchtlinge (TAZ 2.12.92), Österreich schloß
sich mit einem restriktiven Fremdengesetz an. Es entsteht ein
gestaffeltes Grenzsystem, mit Infrarotgeräten und
Freiwilligenverbänden an der deutschen Ostgrenze und mit neuen
Grenzanlagen an den Ostgrenzen Polens, der Tschechischen Republik,
aber auch an den Ostgrenzen Rumäniens und Bulgariens und an der
Südgrenze Sloweniens. Die assoziierten Glacisstaaten, die
ihrerseits billige Migrationsarbeit aus der Peripherie (vor allem
der GUS) verwerten, umgeben die Kernstaaten als »cordon
sanitaire« und betreiben, zu diesem Zweck subventioniert, eine
vorverlagerte Selektion. Eine analoge Entwicklung findet an der
EG-Südgrenze statt, wo allen voran Marokko versucht, sich als
Barriere gegen die Migration die Assoziation an die EG zu erkaufen.
-
-
Die Politik gegen die Flüchtlinge aus dem ehemaligen
Jugoslawien
Glacis oder Peripherie, assoziiertes Vorfeld oder
zurückgeworfener Lieferant für Billigarbeit? - unter dieser
Fragestellung lassen sich auch die Gemetzel im ehemaligen Jugoslawien
interpretieren. Von vornherein stand fest, daß das Land als
Ganzes nicht integrierbar sein würde, und wohl deshalb preschte
die EG unter deutscher Führung vor mit der frühestmöglichen
Anerkennung der Teilstaaten. Für Slowenien mit seiner
ausgebildeten Infrastruktur war die Sache klar, auch Kroatien mit
seinen erholsamen Küsten sollte zum europäischen Glacis
gehören, anders als Serbien, Bosnien, Mazedonien oder Albanien,
und die erste Probe, welche die assoziationsfahigen Teilstaaten zu
bestehen hatten, bestand in der Blockierung der Flüchtlingsströme
aus dem südlichen Kriegs- und Krisenchaos. In der Tat erwuchsen
aus dem Laboratorium des Kriegs Modelle einer zukünftigen
Flüchtlingspolitik: einerseits, in der BRD, das Modell einer
sozialkostenfreien Immigration, weil ein großer Teil der
Flüchtigen bei Verwandten unterkam und von diesen versorgt
wurde, und am anderen Pol die Errichtung territorialer
Konzentrationslager in den UN-»Schutzzonen«.
Es entspricht der Natur der Sache, daß ein
gravierendes Flüchtlingsproblem aus den assoziationsfähigen
Teilstaaten selbst nicht entstand. Slowenien hatte nie ein eigenes
Flüchtlingsproblem. Aus Kroatien wurden nach dem Juli 1991 zwar
700.000 Flüchtlinge und Displaced Persons gemeldet, aber die
Probleme blieben überschaubar. Von diesen gingen 141.000 nach
Serbien, 95.000 nach Bosnien, 45.000 nach Ungarn (aus der Vojvodina
vertriebene Ungarlnnen), 20-30.000 nach Slowenien, 15.000 nach
Österreich, 5.000 in die BRD, gut 2.000 in die Tschechoslowakei
und 1.500 nach Italien, so daß in Kroatien selbst 300.000
Displaced Persons verblieben, die sich in den Hotels an der Küste
bequem unterbringen ließen; Engpässe entstanden lediglich
in Zagreb mit 100.000 Displaced Persons, aber auch hier entspannte
sich die Situation nach dem Waffenstillstand im Januar 92. Viele
Flüchtlinge kehrten dann nach Kroatien zurück, andere waren
inzwischen in den Communities der BRD, Österreichs und der
Schweiz untergekommen, wie oben beschrieben.
Und es entspricht der Natur der Sache, daß es
erst die zweite Flüchtlingswelle war, die aus dem nicht
integrationsfahigen Bosnien-Herzegowina, die sich zu einem schier
unlösbaren Problem entwickelte und die sich mit mehr als 3 Mio.
Flüchtlingen schließlich zur ersten Massenvertreibung in
Europa nach dem zweiten Weltkrieg ausweitete. Diese zweite Welle
begann im April 92; es kamen nicht mehr Landsleute nach Kroatien und
Slowenien, sondern als kulturell »minderwertig«
deklarierte Bosnier, die im Gegensatz zu den kroatischen Displaced
Persons auch nicht mehr in Hotels, sondern in Zeltlagern, Schulen und
Turnhallen untergebracht wurden (zunächst in 20 Lagern für
je 5.000 Personen, mehr als die Hälfte von ihnen Kinder). In
Kroatien schienen im Sommer die Aufnahmekapazitäten mit 600.000
Flüchtlingen, unter ihnen noch 250.000 kroatische Displaced
Persons, real erschöpft; Slowenien dagegen bemühte sich,
die Flüchtlinge außer Landes zu halten: schon im April,
bereits bei 25.000 Flüchtlingen, wurden erschöpfte
Aufnahmekapazitäten gemeldet; einen Monat später hatte sich
die Zahl verdoppelt und Bosnier ohne Arbeitserlaubnis wurden an der
Grenze abgewiesen. Eine zunehmend große Zahl von Flüchtlingen
zog es deshalb vor, illegal nach Kroatien und Slowenien einzureisen
und auf eine Chance zu hoffen, irgendwie weiter in den Westen zu
gelangen.
Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge erreichte
die Grenzen der europäischen Kernländer. Am Salzburger
Hauptbahnhof und am Grenzübergang Walserberg wurden sie
abgewiesen; wochenlang warteten sie vor dem deutschen Generalkonsulat
auf ein Visum. Denn anders als bei der Anerkennung Sloweniens und
Kroatiens hatte die BRD bei der Anerkennung Bosnien-Herzegowinas die
Visumpflicht beibehalten. Aus Kroatien und Slowenien waren
zwischenzeitlich 100.000 ImmigrantInnen in die BRD gelangt und bei
Angehörigen untergekommen; den Gastfamilien wurde meist ein
dürftiges Verpflegungsgeld zugewiesen. Unter österreichischem
Druck entschloß sich die BRD im Mai zu einer leichten
Kurskorrektur: Bosnierlnnen durften nun, sofern krank oder verwundet,
bevorzugt einreisen, ansonsten nur dann, wenn die Aufenthaltskosten
durch Verwandte, Bekannte oder Wohlfahrtsverbände gesichert
waren; Österreich führte ähnliche bürokratische
Schikanen ein.4 Während Italien den Notstand ausrief,
als 1320 erschöpfte Bosnier die Grenze erreicht hatten und
Flüchtlingsschiffe militärisch aufbrachte und
,zurückschickte, wurde Ungarn zu einem der Hauptaufnahmeländer
(60.000 Flüchtlinge, zumeist privat untergebracht).
- Auf monatlichen Konferenzen in
Wien, Zagreb, Ljubljana und im Juli auf der UN-Flüchtlingskonferenz
in Genf wurde der Umgang mit den Vertriebenen zwischen den
Anrainerstaaten und der EG verhandelt; dabei wurde immer die »Hilfe
vor Ort« favorisiert, von der niemand wußte, wie sie die
Bedürftigen erreichen sollte; eine Kontingentierung der
Flüchtlinge wurde von allen Staaten abgelehnt; die Kontingente,
die schließlich nicht mehr abgewiesen werden konnten, waren in
einzelnen Staaten minimal (zum Beispiel Spanien 120, Belgien 879,
Großbritannien 1100, Frankreich 1108), und auch die UNO lehnte
den Transfer der Flüchtlinge ab, weil damit ja die ethnische
Bereinigung nur unterstützt würde. Offenbar fiel es
niemand schwer, die »überflüssige« Bevölkerung
sich selbst zu überlassen. Diese Konferenzen erinnern in
fataler Weise an die Flüchtlingskonferenz von Evian im Juli
1938, auf der international festgestellt wurde, daß das
»Judenproblem« als unlösbar gelten mußte,
weil es kein Land gab, das seine Grenzen den verfolgten jüdischen
Migratlnnen zu öffnen bereit war. In dieser Situation schlug
Slowenien vor, nach dem Muster der irakischen Kurdengebiete vier
Sicherheitszonen einzurichten - ein Vorschlag, der zunächst
zurückgewiesen wurde. Kroatien hingegen entdeckte für sich
das Refugee-Business und bot sich als Umschlagplatz der
internationalen Hilfsleistungen an, mit denen sich die EG-Staaten
von der Flüchtlingsaufnahme freizukaufen suchten. Der
Botschafter Kroatiens in Bonn empfahl die »heimatnahe«
Unterbringung als die humanere Lösung und rechnete vor, daß
die Flüchtlinge in Kroatien 6 DM pro Person, in der BRD aber 50
DM pro Tag kosten würden (FR 1.8.92). Die Verwaltung und
Versorgung wurde in Kroatien zum einzigen florierenden
Wirtschaftszweig.
Parallel zu den Konferenzen nahmen die Fluchtbewegungen zunehmend
dramatische Ausmaße an. Ende Juli wurde die Zahl auf 2,5
Million geschätzt, 10.000 Flüchtlinge wurden täglich
registriert, die Illegalen nicht gerechnet. In den Medien wurde von
dem Eisenbahnzug mit 5000 Flüchtlingen berichtet, der an der
kroatisch-slowenischen Grenze aufgehalten wurde, weil Slowenien die
Weiterfahrt verbot, solange kein Aufnahmeland benannt werden konnte.
Die Menschen drohten vor laufenden Kameras zu verdursten, und in
diesem und einem weiteren Fall nahm die BRD sie auf. Aber hinter
diesen Medienereignissen verbarg sich, zum Winter hin zunehmend, eine
unglaubliche Not. Im Dezember 92 fristeten in Kroatien 1,2 Millionen
Flüchtlinge ihr Dasein. Allein in der Region um Split, dem
Auffangzentrum an der bosnischen Grenze, konzentrierten sich 60.000
registrierte Flüchtlinge und eine gleichhohe Zahl Illegaler; der
Mangel an Unterbringungs- und Heizmöglichkeiten, Mangel an
Decken und Kleidung sowie die Unterversorgung bei der Ernährung
führten zu dramatischen Notsituationen (FR 24.10. und 30.10.92).
Es gehört zum Refugee-Business, daß die
Not sichtbar wird und erhalten bleibt, weil sonst die Zahlungsmoral
der Geberländer nachläßt. Kroatien war an einer
Verzögerung des Baus von winterfesten Lagern interessiert, nicht
nur wegen eventueller Zinsgewinne aus den Hilfsleistungen, sondern
auch, um den Migrationsdruck aufrechtzuerhalten, welcher der Garant
zukünftiger
Zahlungen sein würde. Zugleich entwickelte sich
in Kroatien ein zunehmender, gegen die bosnischen Flüchtlinge
gerichteter Rassismus. »Die Flüchtlinge sind eine genau so
große Gefahr wie die Serben«, sagte ein kroatischer
Staatsangestellter der FR (12.10.92), weil »die zusätzliche
Destabilisierung seines fast zu einem Drittel besetzten Landes durch
die ökonomischen, politischen und psychologischen Probleme mit
den zu großen Teilen sehr fremdartigen Bosniern, die schon
unter frühren Verhältnissen nicht sehr angesehen waren«
und die als »nicht integrationsfahig« bezeichnet wurden,
den Staat belasten könnten. Eine Arbeitserlaubnis erhielten die
Bosnierlnnen ohnehin nicht. Es entsprach also der Ökonomie des
Flüchtlingswesens, stets nur Teillösungen anzubieten, und
so rotierten seit dem Herbst 1992 eine halbe Million Menschen im
Grenzgebiet zu Kroatien auf der Suche nach Nahrungsmitteln und
Unterkünften zwischen den Kriegsparteien und Ortschaften, waren
ständigem Beschuß ausgesetzt und zur Mobilität
gezwungen. Ihre Zahl blieb über den Winter konstant; die Stelle
derer, die Kroatien aufnahm, nahmen andere ein.
-
Die »Schutzzonen«
Je länger sich der Krieg in Bosnien hinzieht,
desto besser ist es es den kroatischen und serbischen Milizen
möglich, die ethnischen Säuberungen auf einem niedrigen
Eskalationsniveau fortzuführen. Denn es geht ja nicht nur darum,
die Geländegewinne militärisch zu sichern, sondern auch
darum, diese Gebiete bevölkerungspolitisch zu restrukturieren.
Das bedeutete im ersten Schritt, die moslemische Minderheit zu
vertreiben und in Bewegung zu halten - dazu dienten Terror und
Beschießungen der Flüchtlingstrecks. Serbische wie
kroatische Milizen blockierten wiederholt die Verteilung von
Hilfsgütern für rund 700.000 Menschen in Mittelbosnien;
zugleich wurden von den serbischen Milizen im Tal der Drina
»humanitäre Korridore« geschaffen, um den
Flüchtlingen den Weg in die moslemischen Enklaven offenzuhalten
(FR 30.1. und 4.2.93). Also Konzentration der Flüchtlinge in den
Enklaven, dann Belagerung, Aushungerung, Einnahme der Enklave und
weitere Vertreibung...
- Gegenüber dieser Politik, die
drei Millionen Menschen »überflüssig« machte
und in Bewegung hielt, konnte kein Friedensplan greifen, der nicht
das Problem der Flüchtlinge in den Mittelpunkt stellte, die
aber niemand haben wollte. Die Politik der westlichen Staaten lief
schließlich darauf hinaus, die Säuberungen zu
verurteilen, zugleich aber die Milizen gewähren zu lassen. Eine
militärische Intervention war unkalkulierbar und wurde
insbesondere von den EG-Staaten abgelehnt; die Präsenz der
6.US-Flotte und ihrer Verbündeten in der Adria diente ohnehin
mehr dem Zweck, Flüchtlinge aufzubringen und zurückzuschicken,
als der Sicherung des Handelsembargos; die Durchsetzung eines
Flugverbots über Bosnien und der Abwurf von Hilfsgütern
aus Flugzeugen über den belagerten Enklaven markierten
schließlich nur eine zivilisatorische Schranke: eine Schranke
gegen spektakuläre Formen von Massenvernichtung, aber nicht
gegen die Säuberungen selbst. Das Waffenembargo gegenüber
den bosnischen Moslems wurde stets aufrechterhalten.
Es entsprach schließlich der Realität, nämlich der
Konzentration der moslemischen Bevölkerung in wenigen Enklaven,
daß Frankreich den Gedanken ethnischer Großghettos wieder
ins »Spiel« brachte, von denen allerdings niemand wußte,
wie sie versorgt und verteidigt werden könnten. Der
UN-Sicherheitsrat erklärte im Mai 1993 sechs Städte zu
»Save Havens«, ohne daß die UN-Truppen je
versuchten, die angegriffenen Städte tatsächlich zu
verteidigen. Anfang Juni 1993 wurden dann, und hier setzte sich die
französiche Initiative gegen die Einwände von Izetbegovic
und der US-Regierung durch, acht bosnische Städte, unter ihnen
die kurz vor dem Fall stehende Enklave Gorazde, formell zu
UN-Schutzzonen erklärt und gleichzeitig wurde beschlossen, diese
mit bis zu 10.000 neuen Blauhelmen zu sichern (es handelt sich um die
Städte Bilhac, Gorazde, Maglaj, Mostar, Sarajewo, Srbrenica,
Tuzla und Zepa).
Der Vorschlag zur Einrichtung territorialer Ghettos
mag zu einem Zeitpunkt, an dem die Milizen ihre Angriffe auf Mostar,
Sarajewo und Gorazde intensivieren, realistische humanitäre
Aspekte haben, aber eben nur dann, wenn man geneigt ist, seine
Vorgeschichte zu ignorieren. Es geht uns natürlich nicht darum,
alternativ eine militärische Intervention zu propagieren, wie
sie in den USA über längere Zeit favorisiert wurde und wie
sie als Laboratorium einer neuen Weltinnenpolitik derzeit in Somalia
exerziert wird. Aber in Somalia geht es um Öl, in Bosnien um
eine bevölkerungspolitische Neuordnung. Es ist hier nur
festzuhalten, daß eine großzügige Flüchtlingspolitik
dem millionenfachen Elend in Bosnien besser gerecht geworden wäre
als zehntausend Blauhelme. Die EG hat, im Gegensatz zu den USA, den
Krieg durch frühzeitige Anerkennung der Teilstaaten eskaliert,
sie ließ das Flüchtlingsproblem in Bosnien eskalieren,
indem sie die Migration blockierte, und sie war es, die schließlich
die »Schutzzonen« im UN-Sicherheitsrat durchsetzte. Denn
die EG hat, anders als die USA, an der bevölkerungspolitischen
Neuordnung an ihrer Peripherie durchaus Interesse, wenn sie nur nicht
mit allzu medienwirksamer Grausamkeit abläuft.
Die territorialen Ghettos erfüllen aktuell die
Funktion eines Containments gegen die Opfer der
bevölkerungspolitischen Rationalisierung, und sie folgen einem
Modell, das den europäischen Zentren seit der Kurdenschutzzone
im Irak zur Eindämmung der Süd-Nord-Migration zunehmend
attraktiv erscheint. Eine Expertise des Bundesinnenministeriums
sprach schon vor zwei Jahren von »verfolgungssicheren Zonen«,
die in den Heimatländern zu errichten seien und von denen auf
nicht politisch Verfolgte ein Abschreckungseffekt ausgehen müßte
(Die Welt, 4.7.91). Aber derartige Ghettos können auch
Instrumente einer Produktivierung der aus den subsistenziellen
Dorfstrukturen vertriebenen Bevölkerung sein; ein historisches
Beispiel sind die PalästinenserInnen, die im arabischen Raum
eine beispiellose Produktivität entfalteten, nachdem sie ihre
Subsistenzbasen verloren hatten; ein weiteres Beispiel sind die
chinesischen Flüchtlingsarbeiterlnnen: Hong Kong ist in der Tat
ein erfolgreich industrialisiertes Flüchtlingslager, und es ist
nicht undenkbar, daß eine ähnliche Entwicklung auch in
Sarajewo stattfinden könnte.
Wenn wieder Bilder von den Massakrierten und von der
Grausamkeit des Kriegs über die Bildschirme flimmern, staut sich
eine Verzweiflung und Wut an, die uns ZuschauerInnen in einem
kurzschlüssigen Reflex nach einer höheren Gewalt Ausschau
halten läßt, die dem Gemetzel ein Ende bereiten könnte
- sei es ein General Morillon, seien es gar die Bomber der NATO. Es
ist nicht einfach, sich von diesem Reflex freizumachen, der in den
Medien geschürt wird und der den Großmachtinteressen des
neuen Deutschland entgegenkommt. Es ist aber nicht an uns, Partei zu
ergreifen an einer der Kriegsfronten und sich an der Ethnisierung des
Sozialen zu beteiligen. Der Krieg ist eine Rationalisierungsoffensive
gegen die Bevölkerung, aber die sozialen Fronten in ihm sind
unübersichtlich und gehen nicht in den ethnischen Fronten auf.
Die Frauen und Kinder auf der Flucht und die Männer, die sich
durch Flucht und Desertation der Beteiligung an der Gewaltmaschine
entziehen, sind die Kriegspartei, auf deren Seite wir uns sehen. Im
Kampf um offene Grenzen und gegen die Internierung der Flüchtlinge
in Lagern liegt ein Terrain, das mit dem ehemaligen Jugoslawien sehr
viel zu tun hat.
1 R.C.Rist: Die ungewisse Zukunft der Gastarbeiter, Stuttgart
1980, 5.17 und 24
2 vgl. F.Heckmann, Die Bundesrepublik: Ein Einwanderungsland?,
Stuttgart 1981, S.245
3 vgl. FR 8.3.90, 30.10.90 und TAZ 20.6.89,7.77.89
4 Der Spiegel 22/1992; im Übrigen vgl. vor allem die Kapitel
Slowenien und Kroatien im Welfflüchtlingsbericht, Edition
Parabolis 1992
<- Krieg
als Transformationsmechanismus | Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik ->
Die
Ethnisierung des Sozialen
Die Transformation der
jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil VII -
Zur Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Verlag
der Buchläden Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen
1993
Kontakt zur Redaktion: Buchladen Schwarze
Risse,
Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
Tel. 040-692 87 79 Fax
691 94 63
e-mail: schwarze_risse@t-online.de
Vorwort
Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Bemerkungen
zur Kampfgeschichte der moralischen Ökonomie
Zur
Kampfsituation 1987
Nationalismus
und Ethnisierung
Krieg
als Transformationsmechanismus
Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
Zur
Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen- und
Kriegsdynamik
Anhang
Zur Rolle des Imperialismus in der
jugoslawischen Krisen- und Kriegsdynamik
-
In den Medien präsentieren sich die imperialistischen
Krisenlenker als neutrale Friedensstifter, die angesichts des
»irrationalen« nationalistischen innerjugoslawischen
Krieges bemüht sind, die Kontrahenten »zur Vernunft«
und zu »friedlichen Lösungen« zu bewegen. Nahezu
perfekt wird dem Publikum eine Position der Neutralität und
bedauerlichen Hilflosigkeit gegenüber den Konfliktparteien
suggeriert.
-
Bei genauerem Hinsehen jedoch stellt sich heraus, daß im
Gegenteil imperialistische Interventionen auf
ökonomisch-sozialpolitischer, diplomatischer und militärischer
Ebene die Eskalation des sozialen Kriegs gegen die Bevölkerung
Jugoslawiens zu einem mit militärischen Gewaltmitteln geführten
entscheidend forciert haben.
-
Durch nationalistische Überformung bzw. Ethnisierung von im
Kern sozialen (nicht einfach ökonomischen) Konfrontationen -
Ex-Jugoslawien ist diesbezüglich kein Sonderfall - und einem
manipulativen Diskurs um auch in Teilen der Linken positiv besetzte
Begriffe wie Demokratie, Selbstbestimmungs- und Menschenrechte
gelingt es den jeweiligen nationalen Machteliten in Koordination mit
Institutionen einer sich konstituierenden »Weltinnenpolitik«,
eine »neue Unübersichtlichkeit« zu produzieren, die
eindeutige Positionsbestimmungen für solidarisch-unterstützende
Parteinahmen verhindert. Resultat: lähmende Ratlosigkeit.
-
Nicht zuletzt um der rassistischen Formierung einer auch von einigen
Linken entdeckten »Interessengemeinschaft des zivilisierten
Europas« etwas entgegenzusetzen, ist es notwendig, die sich in
Kategorien von Verwertung, Rentabilität und
»Überflußbevölkerung« bewegenden
imperialistischen Praktiken aus den medienproduzierten
Unübersichtlichkeiten zu entschlüsseln.
-
Zwar gab es nicht den langfristig ausgeheckten imperialistischen
Plan zur Zerschlagung und Neuzusammensetzung der jugoslawischen
Gesellschaft, aber hinter der sich so hilflos gebenden
Verhandlungsdiplomatie verbirgt sich eine knallharte Methodik von
Moderation und Steuerung eines Krieges zur gewaltsamen Durchsetzung
neuer, weniger widerständiger Sozialstrukturen und zur
Reorganisation stabiler nationalstaatlicher Machtgefüge.
-
Dabei kristallisierte sich faktisch eine gewisse Arbeitsteilung
heraus:
-
- die BRD-Politik forcierte eine an die NS-Großraumkonzeption
der gestaffelten und zonierten Verwertungsräume anknüpfende
»Neuordnung Europas« die selektive Angliederung
derjenigen jugoslawischen Regionen an die EG, welche die
»entwickeltesten« Voraussetzungen für ein
kapitalistisch zu strukturierendes Akkumulationsregime vorweisen;
ihre massive Unterstützung der slowenischen und v.a.
kroatischen Führung für deren Absetzbewegung von den
»subventionsbedürftigen » südlichen Regionen
in einer ethnisch-nationalistisch enorm aufgeladenen Konstellation
kalkulierte eiskalt mit dem Neuordnungskrieg und trieb ihn mit den
Anerkennungsoffensiven voran;
-
- USA und EG-Mehrheit sorgen mit Verhandlungen und
»Jugoslawien-Konferenzen« dafür, daß der
Krieg sich auf einem »low-intensity«-Niveau bewegt und
regional begrenzt bleibt; deren zurückhaltenderes Vorgehen in
Sachen Zerschlagung und Neuordnung Jugoslawiens, z.B. das serbische
Regime nicht zu isolieren, lassen auf konkurrierende längerfristig
angelegte und den gesamten Balkanraum einbeziehende
Ordnungsvorstellungen schließen (FN 1,), die sich offenbar
auch gegen die »Blitzkriegs«-strategie des BRD-Kapitals
richtete, einen möglichst exlusiven Zugriff auf die
voraussichtlich profitträchtigsten peripheren Regionen
Osteuropas vorab sich zu sichern.
-
- die Einbeziehung der UNO legitimiert eine interventionistische
Internationalisierung des Krieges und funktioniert als
Vermittlungsinstanz imperialistischer Steuerung und Dosierung des
Kriegs in seinem Verlauf. Einige Elemente dieser Moderation sind:
Die US/EG-Anerkennungspolitik gegenüber Bosnien-Hercegowina,
die den Startschuß lieferte zum Beginn dieses
Neuordnungskrieges gegen eine im Teilungsplan sich als »überflüssig«
erweisende Bevölkerung. Der Einsatz von UNO-Truppen, mit denen
militärische Einheiten der nationalistischen Parteien für
Kämpfe anderswo freigesetzt und derweil die zuvor »ethnisch
gesäuberten« Gebiete abgesichert werden. Die
Sanktionspolitik, die insbesondere die Bevölkerung in
»Restjugoslawien« ihrer Existenzgrundlagen beraubt und
oppositionelle Bewegungsformen politisch und materiell schwächt,
aber keinen Einfluß auf die Führbarkeit des Krieges
ausübt. Die diversen »Friedens«pläne und
-verhandlungen sanktionieren eine ethnisierende Bevölkerungspolitik
mit gezielten Vertreibungen, Vergewaltigungen und Massakern - so wie
sie schon vor Kriegsbeginn grob vereinbart worden war - und deren
Protagonisten.
-
Immer deutlicher zeichnet sich ab: der Krieg sollte so lange
weitergeführt werden, bis ein Zustand ausgekämpft und
ausgehandelt ist, der eine stabile«Neuordnung« der
jugoslawischen Gesellschaft und des Balkanraumes verspricht. Und:
viele Anzeichen lassen befürchten, daß die Kriege in
Jugoslawien als Laboratorium für weitere imperialistisch
moderierte »Neuordnungskriege« in Osteuropa fungieren.
(1a)
-
-
-
Von der Erosion zur Explosion ...
-
-
Seit der Kulmination der sog. Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre -
und die jugoslawische war eine der verschuldetesten Ökonomien -
bestimmten die von supranationalen Finanzorganisationen formulierten
Maßnahmen und Auflagen zur Steigerung der gesellschaftlichen
Rentabilität zunehmend die innerjugoslawischen
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
-
Ähnlich wie in den anderen ehemals sozialistischen Ländern
Osteuropas hatte sich in Jugoslawiens herrschender politischen
Klasse seit Mitte der 80er Jahre die Position durchgesetzt, allein
eine noch stärkere Integration in den imperialistischen
Weltmarkt, ein grundsätzlicher Systemumbau und engere Anbindung
an den EG-Raum könne die »gesellschaftliche Blockade«
- gemeint war die Akkumulationsblockade - aufbrechen. Insofern
bestand sowohl zwischen imperialisitischen Interessen und den
Vorhaben der verschiedenen jugoslawischen Eliten kein Dissenz - es
ging nur darum, wie die »Reformen« gegen die sozialen
Widerständigkeiten durchgesetzt werden könnten.(1b)
-
Konkurrierende Vorstellungen über das Vorgehen, die sich in
einer bis 1991 zuspitzenden »Ost-West«-Konfrontation
ausdrückten - also serbisches und montenegrinisches Regime
contra slowenisches und kroatisches (die Führungen der anderen
Republiken verhielten sich widersprüchlich) - beruhten im Kern
auf den Unterschieden in der sozialen Zusammensetzung der jeweiligen
Bevölkerungen und auf den daraus resultierenden Widerständen,
die gegen radikale Marktreformen entwickelt bzw. befürchtet
wurden.(2)
-
So beruhte die Popularität eines Milosevic in Serbien im
wesentlichen auf seinem - zumindest verbalen - Festhalten an
sozialistischen Existenzgarantien und auf seinen Attacken gegen die
Verarmungspolitik der Belgrader Bundesregierung, die er mit
nationalistischen Argumentationsmustern zu verbinden suchte, um die
auch gegen die serbische Bürokratie aufgestaute Wut wahlweise
gegen AlbanerInnen, Slowenien, die jugoslawische Bundesregierung
oder westliche Regierungen zu lenken. Und tatsächlich
blockierte das serbische Regime in den Bundesorganen immer stärker
radikalere Maßnahmen in Richtung Marktwirtschaft, um
stattdessen einen Kurs zu propagieren, der der »Selbstverwaltung«
mehr Zeit zur Umstellung lassen solle; also statt »polnischem
Schockprogramm« eher sozialistische Glasnost- und
Perestroika-Marktwirtschaft, eine in der Schärfe des sozialen
Angriffs abgemildertete Variante. Parallel dazu forderte das
serbische Regime, ebenfalls im Gegensatz zu slowenisch-kroatischen
Bestrebungen, eine Ausweitung der zentralstaatlichen Kompetenzen,
über deren Majorisierung die serbische Führung dann
versuchen würde, ihr Reorganisationsmodell für ganz
Jugoslawien durchzusetzen (wozu u.a. die Aufhebung der Autonomie des
Kosovos und der Vojvodinas diente).
-
Dagegen verstärkte sich in Slowenien und Kroatien, nicht nur in
herrschenden Kreisen, die zunehmend nationalistisch-chauvinistisch
gefärbte Tendenz, sich von den »armen bzw. blockierenden
Republiken« zu lösen, um dann eine Programmatik von
Deregulation und Weltmarktzurichtung umsetzen zu können.
-
Aus Sicht imperialistischer Interessen bestand während des
ganzen Krisenverlaufs der 80er Jahre bis `90/`91 das Dilemma, daß
durch die zentrifugale Dynamik der Ausweitung von Kompetenzen auf
Republiksebene es eine zentrale Institution mit realer Machtbasis
immer weniger gab, noch eine gesamtjugoslawische »Reformbewegung«
aus dem Widerstand sich herausbildete, die aufgrund ihres
geselschaftlichen Einflußterrains in der Lage gewesen wäre,
den sozialen Unmut in neue produktivere Vergesellschaftungsformen zu
überführen (wie z.B. in Polen die Solidarnosc). Eine
militärische »Lösung« à la Polen `81
wurde wohl des öfteren diskutiert (z.B. Anfang `88, taz
5.1.88), aber aufgrund der unsicheren Basis der Jugoslawischen
Volksarmee (JNA) wohl nie ernsthaft erwogen. Erst nachdem es
wenigstens z.T. gelungen war, die zugespitzte soziale
Auseinandersetzung um Produktivitätssteigerung und Höhe
der gesellschaftlichen Reproduktionskosten ethnisch-nationalistisch
zu überformen, konnten die herrschenden politischen Klassen
diese Auseinandersetzung in eine mit militärischen Mitteln
geführte eskalieren. Aus diesem Dilemma heraus versuchte das
internationale Kapital, die Belgrader Zentralregierung zu stärken,
die programmatisch für Durchsetzung einer IWF-Politik bei
Erhaltung des jugoslawischen Staates stand, was bis Mitte '91 sich
mit imperialistischen Vorstellungen deckte. Allerdings war die
Zentralregierung ohne reale Machtbasis, allein die JNA und die
Bundespolizei waren ihr formal unterstellt.
-
Auf dem Hintergrund des Zerfalls des realsozialistischen Machtblocks
Ende der 80er Jahre brauchte auf frühere westliche
Befürchtungen, mit einer zu harten Gangart z.B. bei den
IWF-Auflagen das jugoslawische Regime aus der Neutralität in
die Arme der SU zu treiben, keine Rücksichten mehr genommen zu
werden. Mit der Ernennung des früheren Kombinatsdirektors und
sich offen zur Marktwirtschaft bekennenden Markovic im Frühjahr
`89 zum Ministerpräsidenten wird der verschärfte
imperialistische Druck auch innenpolitisch nachvollzogen. In den
Jahren zuvor waren wiederholt Umschuldungsabkommen und Neukredite
vereinbart, die damit verbundenen Auflagen zu »Strukturanpassungen«
allerdings nicht eingehalten, sondern lediglich mit sog.
»orthodoxen« staatsinterventionistischen Maßnahmen
wie z.B. Lohn- und Preisstopps oder absprachewidrigem Drucken von
Neugeld umgangen worden.
-
Dagegen propagierte Markovic in seiner Antrittsrede - in enger
Anlehnung an IWF/EG-Forderungen - einen zusammenhängenden
jugoslawischen Markt, damit sich »Waren, Kapital und Arbeit
frei bewegen können«, die Deregulierung von Gesetzen,
welche »die Rolle des Marktes und wirtschaftlicher Einheiten
unterdrücken«, Zulassung von Privateigentum, mehr Joint
Ventures statt Kreditaufnamen für Neuinvestitionen. (NZZ
18.3.89)
-
Während des Jahres `89 läßt die neue Regierung die
Inflation gezielt auf über 1000% steigen - eine massive
Entwertung von Sparguthaben und Einkommen (weil die
Inflationsanpassungen immer hinterherhinken). Gleichzeitig werden
kapitalistische Organisations- und Regulationsformen eingeführt
wie z.B. die Gründung von Aktiengesellschaften. Allerdings gibt
es weiterhin Streiks und Demonstrationen. Die serbische Führung
fordert mehrmals ein Anti-Inflations- bzw. »Schockprogramm«,
»um die Verarmung der Massen zu stoppen« (NZZ 13.8.89);
sie muß die im Republikenvergleich höchsten Lohnzuschläge
zugestehen (NZZ 28.5.89). Im Laufe des Jahres stellt sich heraus,
daß die Reallöhne bundesweit im Schnitt doch wieder
unabhängig von der Produktivität gestiegen sind (NZZ
22.6.89), und daß statt der erhofften Privatisierung
»gesellschaftlichen Eigentums« nur kleine sog.
»Nebenerwerbsbetriebe« gegründet werden und eine
unkontrollierte »Schattenwirtschaft« entsteht (NZZ
13.8.89). Die Wirtschaftreformen werden verschoben (FR 10.10.89),
IWF und Pariser Club weigern sich, über neue Umschuldungen zu
verhandeln (NZZ 13.8.89).
-
Es stellt sich heraus, daß einzelne Deregulierungselemente wie
z.B. die »Freigabe« vorher staatlich festgelegter
Preise, Importe und Devisenzuteilungen für Großbetriebe
von den »Kombinaten« bloß ausgenutzt werden, um
ihre Schließung weiter hinauszuschieben, obwohl sie nach
kapitalistischen Rentabilitätskriterien längst Konkurs
hätten anmelden müssen. Dieser »Vakuumzustand
zwischen zwei Wirtschaftssystemen« (NZZ 11.10.89) könne
solange nicht aufgebrochen werden, wie das Konkurrenzprinzip nicht
völlig akzeptiert sei. Ohne Zerschlagung des
»vergesellschafteten Sektors«, der noch immer über
90% des BSP erwirtschafte, und der »Selbstverwaltung«,
die wirksame Entlassungen verhindere, sei es unmöglich,
daß strukturelle Reformen tatsächlich greifen, so der IWF
(HB 16.10.89). Solche Positionen wurden seit Mitte der 80er Jahre
immer wieder formuliert, doch nun rücken sie ins Zentrum der
Krisendiskussion und werden auch vom ZK der KP Jugoslawiens
übernommen, wobei nur der relativ isolierte Milosevic
»querschlägt« (taz 19.10.89). Allerdings war auch
sein als Alternative zum Belgrader Austerity-Kurs gedachter, an die
nationalistische Mobilisierung anknüpfender Sanierungs-Coup,
eine Volksanleihe zur » Wiedergeburt Serbiens«, ein
»eklatanter Mißerfolg« (NZZ 17.11.89), weil sie
nicht gekauft wurde.
-
Gegen Ende des Jahres werden die Forderung des IWF, endlich ein
»realistisches Konzept« vorzulegen, immer dringlicher.
Zur gleichen Zeit eskaliert der Konflikt zwischen slowenischer und
serbischer Republikführung, die zum Boykott slowenischer Waren
aufruft (taz 1.12.89); die kroatische Führung stellt sich auf
die Seite der slowenischen ( taz 2.12.89).
-
Während Anfang Dezember in Belgrad neue Verhandlungen mit dem
IWF beginnen (NZZ 9.12.89), stellt das serbische Regime den
Reformkurs insgesamt infrage (NZZ 10.12.89).
-
Noch setzen die imperialistischen Agenturen auf die Belgrader
Bundesregierung und ihre Durchsetzungskraft, obwohl schon offen
diskutiert wird, ob überhaupt zwei verschiedene
Wirtschaftssysteme - also konkurrierende Deregulierungsvorstellungen
- in einem Staat (»Föderation«) existieren können.
-
Im Dezember `89 tritt ein mit dem IWF abgestimmtes »rigoroses
Stabilisierungsprogramm« inkraft: bis Mitte `90 werden Löhne
und (nicht alle) Preise eingefroren, der Dinar im Verhältnis
1:7 an die DM gekoppelt (NZZ 20.12.89). Dieses
»Konvertibilitätspaket« gilt als Sachs-Programm -
jener Jeffrey Sachs, der schon in Bolivien und Polen die brutalen
Verarmungsprogramme entworfen hatte, war nun von der
Markovic-Regierung als Berater engagiert worden und sollte als
Promotor Jugoslawiens weltweit werben (NZZ 21.1.90). Die serbische
Republikführung, die durch die dadurch ausgelöste
Verarmungsdynamik am stärksten unter Druck geraten wäre,
lehnte das Programm ab - die kroatischen, slowenischen und
bosnischen Führungen unterstützen den Plan (FR 21.12.89).
-
So gilt schon Ende Februar das Programm als gefährdet, denn es
fehlt der Bundesregierung, die sich inzwischen von der KPJ losgesagt
hatte und deren Direktiven von nun an ignorieren will (FR
23.1.90/*FN 3), die Macht, die vom IWF geforderten Maßnahmen,
wie Stillegung »unrentabler« Betriebe, in den Republiken
durchzusetzen. Ein Schlaglicht auf die verwertungsmäßig
völlig blockierte Situation wirft auch die Meldung,
ausländische Kredite zur Entwicklung der Privatwirtschaft (u.a.
von EG und Weltbank) würden bei den jugoslawischen Banken
angehäuft, weil es keine »sinnvollen Projekte«
gebe, in denen zu investieren lohne (NZZ 28.2.90).
-
Das Jahr 1990 ist gekennzeichnet durch weitere Zuspitzung der
vorhandenen Widersprüche: die herrschende politische Klasse der
beiden Westrepubliken treiben ihre Unabhängigkeit weiter voran
(*FN 4), unterstützen aber das Markovic-Regime in der Umsetzung
der IWF-Austeritypolitik; das serbische Regime stellt sich an die
Spitze der Reformgegner, agitiert gegen Lohnraub und Verarmung (NZZ
9.9.90) und fordert nach wie vor eine »Föderation«
mit starker Zentralregierung (Spiegel 9.7.90); die Bundesregierung
ruft zu »Einheit und Geschlossenheit« auf, will mehr
Macht zur Durchsetzung einer kapitalistisch ausgerichteten
Marktwirtschaft und wird dabei von EG und USA unterstützt.
-
-
Bis zum Ende des Jahres spitzt sich die Spaltung Jugoslawiens in
zwei Lager, »ein westlich-bürgerliches und ein
östlich-sozialistisches« (NZZ 25.12.90) weiter zu; dabei
geht es im Kern um die eskalierte Auseinandersetzung der den Verlust
ihrer Macht und Privilegien fürchtenden herrschenden
politischen Klassen um die effektivere Variante zur Steigerung der
Produktivität und Akkumulation. Inzwischen hat der IWF die
Auszahlung von vereinbarten Abschlagszahlungen gestoppt (NZZ
25.10.90), und noch immer verschulden sich die Betriebe weiter, um
Konkursen auszuweichen (NZZ 25.10.90). Im Januar '91 durchkreuzt das
serbische Regime bewußt die vereinbarten IWF-Auflagen, indem
es die Notenpresse anschmeißt und damit auf Kosten höherer
Inflationsraten staatliche Defizite ausgleicht. März/April `91
eskaliert die Krise »von der Erosion zur Explosion« (NZZ
10.3.91). IWF und Pariser Club verlangen ultimativ, die
Bundesregierung solle endlich einen Mechanismus zur Durchsetzung der
brutalen Reformmaßnahmen vorweisen, wozu Markovic nicht in der
Lage ist (NZZ 6.3.91). Kurz zuvor hatte die serbische Regierung
sogar eine Rückkehr zu realsozialistischen Wirtschaftspraktiken
gefordert (NZZ 8.2.91). Die sozialpolitische Situation ist
dramatisch: 1662 Betriebe mit 725.000 ArbeiterInnen stehen vor dem
Konkurs, weiteren 6.000 mit über 2 Mio. ArbeiterInnen droht das
gleiche Schicksal; hunderttausenden, v.a. in Serbien und Kroatien,
wurden seit Monaten die Löhne nicht ausgezahlt; in allen
Republiken gibt es Streiks, Mitte März in Belgrad eine
Massendemonstration gegen die serbische Regierung; die
Gesamtstaatskassen sind leer und die Teilrepubliken zahlen nicht
mehr ein (NZZ 6.3.91). Das Staatspräsidium, höchstes
Entscheidungsgremium auf Bundesebene, funktioniert nicht mehr, erst
auf Druck der EG kommt es zu einem Treffen der Republikchefs (NZZ
19.3.91). Die jugoslawische Regierung braucht unbedingt Kredite von
den internationalen Kapitalmärkten, sonst ist die
Außenliquidität gefährdet (NZZ 29.3.91).
Jeffrey Sachs wechselt von Belgrad nach Ljubljana, weil er die
Einführung einer Marktwirtschaft für ganz Jugoslawien
abgeschrieben hat, sie aber für Slowenien und Kroatien für
möglich hält (NZZ 24.4.91). Wegen der unklaren politischen
Lage storniert der IWF die Anfang `91 vereinbarten Kredite (SZ
1.6.91). Die serbische Führung versucht, Regierungschef
Markovic zu stürzen, scheitert aber (HB 1.6.91).
-
-
-
... zum Krieg
-
-
Die Darstellung der Entwicklung bis Mitte '91 sollte deutlich
machen, was gemeint ist, wenn aus imperialistischer Blickrichtung
von »gesellschaftlicher Blockade« die Rede ist. Die
Blockade war eine doppelte: die soziale Widerständigkeit
verhindert alle Angriffe zur Anhebung der gesellschaftlichen
Produktivität, und die herrschende politische Klasse ist aus
den verschiedensten o.g. Gründen nicht in der Lage, sich auf
koordinierte soziale Angrifflinien zu einigen. So zielten die EG/US
Einflußnahmen in der Phase 90/91 zunächst noch auf eine
Neuordnung der staatlichen Machtorganisierung, um die geplanten
kapitalistischen Reformen überhaupt »effektiv«
durchsetzen zu können.
-
Bis Juli '91, also bis zum Beginn der ersten militärischen
Auseinandersetzungen in Slowenien, unterstützen USA und EG wie
zuvor das Konzept der Zentralregierung in Belgrad und drängten
die verschiedenen Republikführungen mit Kreditversprechungen
bzw. der Ankündigung forcierter EG-Assoziierungsverhandlungen,
sich auf dieses Konzept zu einigen und »nationalistische
Alleingänge« zu unterlassen, womit sowohl die kroatischen
und slowenischen Unabhängigkeitsbestrebungen wie die
nationalistisch-sozialistische Politik der serbischen Führung
gemeint waren. Letztere wurde v.a von den USA immer wieder als
besonderer Störfaktor kritisiert (u.a. NZZ 22.6.91).(5)
-
Dieser Kurs begründet sich aus dem Interesse der
internationalen Gläubiger an einer geregelten
Schuldenrückzahlung und aus der Befürchtung, eine Revision
der Grenzen Jugoslawiens könnte weitere unkalkulierbare
Entwicklungen in anderen Teilen Osteuropas und besonders in der
Ex-Sowjetunion nach sich ziehen. Wohl wurde über
Neuordnungsszenarien diskutiert, aber noch war nicht abzusehen, wie
ein solcher Neuordnungsprozeß in kontrollierten Bahnen zu
vollziehen wäre (5a).
-
Bestärkt durch die offizielle Haltung von EG und
US-Regierungen, wobei letztere sogar ihr Einverständnis zu
einer begrenzten militärischen Aktion signalisiert hatte (FN
5b), reagierte die Markovic-Regierung mit der Entsendung von JNA-
und Polizeieinheiten auf die slowenische Unabhängigkeitserklärung
vom 26.5.91, um die Sezessionsbestrebungen zu beenden. Die Aktion
sollte nicht den Charakter einer regelrechten militärischen
Auseinandersetzung bekommen, weitete sich aber zu einer solchen aus,
nachdem slowenische Territorialeinheiten das Feuer auf die praktisch
unbewaffneten JNA-Soldaten eröffnet hatten. Im darauf folgenden
sieben Tage währenden Waffengang unter Einsatz schwerer Waffen
(mit Jagdflugzeugen und Panzern) erwies sich die JNA als zu
desorganisiert, dem slowenischen Alleingang kurzfristig ein Ende zu
setzen; die »Jugoslawische Volksarmee« - schließlich
eine der größten Armeen Europas, traditionell ein nicht
nur militärisch gewichtiger Faktor der jugoslawischen
Gesellschaft und neben der Bundespolizei einzig verbliebene
Machtstütze der Belgrader Zentralregierung - hatte »versagt«,
»ihr Mythos als Garantie der Einheit Jugoslawiens ist in
seinen Grundfesten erschüttert« (NZZ 9.7.91). (6)
-
-
EG/USA schwenkten in Anbetracht der unerwartet eklatanten Schwäche
der bundesstaatlichen Institutionen, auf die sie bisher gesetzt
hatten, sofort um: sie verlangten die sofortige Einstellung aller
Kampfhandlungen, und mit dem unter EG-Leitung zustandegekommenen
»Abkommen von Brioni« ist das alte Zentralstaatskonzept
(»Föderation«) vom Tisch, und die Abtrennung
Sloweniens schon fast besiegelt (7).
-
Durch die Konfrontation in Slowenien überdeckt, eskalierten in
der Zwischenzeit weitere Entwicklungen. Wie das neue slowenische
Regime hatte sich auch das kroatische schon seit längerer Zeit
aus Beständen der JNA und auf den internationalen Märkten
mit Waffen eingedeckt und mit dem Aufbau einer eigener Armee
(»kroatische Nationalgarde«) begonnen - dafür kam
der 4 Mia.$-Kredit (Zinssatz: o,7%!) des Vatikans an die kroatische
Regierung sicher nicht ungelegen (taz 11.2.91). Seit März d.J.
war es wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen
kroatischen und serbischen Polizeieinheiten gekommen. Schon Mitte
Juli `91 (!) werden erstmals Gespräche zwischen dem kroatischen
Regierungschef Tudjman und Milosevic über eine Aufteilung
Bosnien-Hercegowinas bekannt. (8)
-
Obwohl diese Entwicklungen allgemein bekannt waren, übte keine
westliche Regierung nennenswerten Druck auf die Republikführungen
aus, die sich anbahnende militärische Eskalation zu stoppen.
-
Das Scheitern der JNA in Slowenien verdeutlichte auf eindrucksvolle
Weise die Schwäche der bisherigen jugoslawischen
Regulationsmechanismen, die auch nicht imstande sein würden,
die sozialen Konfliktualitäten, die sich ja gerade auch im
JNA-Desaster ausgedrückt hatten, zu beherrschen - auch ein
zentral gesteuerter Putsch durch die JNA »zur Rettung der
Nation« schied nun endgültig als Möglichkeit aus.
-
Von nun an plädierten USA und EG-Mehrheit für eine
»Konföderation« in Analogie zum EG-Modell, während
die BRD-Regierung schon jetzt die Formel vom »Minderheitenschutz
und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker« in die
internationale Debatte einbringt. (NZZ 30.6.91)(9)
-
-
-
»Neuordnung Europas« und die Jugoslawien-Politik
des BRD-Regimes
-
-
Ab dem Moment der Niederlage der letzten gesamtjugoslawischen
Institutionen zielte die BRD-Regierung auf die Zerschlagung des
jugoslawischen Staates und setzte die Loslösung der
slowenischen und kroatischen Republik sowie deren projektierte
EG-Anbindung gegen andere imperialistische Konzepte offensiv durch.
Bei diesem Vorgehen konnte sie sich auf einen Konsens mit der
Mehrheit der staatstragenden Opposition stützen.(FN 10) Schon
vorher hatte das BRD-Außenministerium insbesondere die
kroatische Regierung auf inoffiziellen Wegen dazu ermutigt, die
Föderation zu verlassen und die Unabhängigkeit zu erklären
(vgl. konkret 6/93). Letztlich gelang es der BRD-Führung Ende
'91, andere EG-Regierungen mit politischen Tauschgeschäften im
Zusammenhang mit den Maastrichter Verträgen auf BRD-Linie zu
bringen. (11)
-
Die BRD-Politik der forcierten Installierung eines slowenischen und
kroatischen Staates eskalierte die einzelnen bewaffneten
Auseinandersetzungen in den überwiegend von der sog.«serbischen
Minderheit« bewohnten Gebieten in Kroatien zu einem
»low-intensity«-Krieg mit Bevölkerungvertreibungen
und »ethnischen Säuberungen«. Mit der mehrfach
ausgesprochenen Anerkennungsdrohung erhielt die kroatischen Führung
den nötigen Rückhalt - auch gegen die Opposition in
Kroatien -, den Krieg weiterzuführen und seinerseits zu
eskalieren.(12), was wiederum dazu benutzt wurde, die Unabhängigkeit
als einzige »Konfliktlösung« zu propagieren. Die
Formulierung des damaligen BRD-Außenministers Genscher, mit
jedem Schuß rücke die Anerkennung Sloweniens und
Kroatiens näher, bringt das zynische Kalkül treffend auf
den Punkt.
-
Das »Recht auf Selbstbestimmung«, das in der
öffentlichen Debatte immer wieder als Legitimationskonstrukt
bemüht wurde, und das damit (meist völkisch begründete)
Nationalstaatskonzept implizieren eine Logik, die unweigerlich zu
einer Auseinandersetzung um Zugehörigkeit, aber auch Ausschluß
von Teilen der Gesellschaft und zu konkurrierenden Ansprüchen
auf Ressourcen führen muß - entlang willkürlich
definierter ethnischer, nationalistischer, religiöser ...
Kriterien, die jegliche sozialen Widersprüche in den
Hintergrund drängen sollen. Und tatsächlich gelang es in
Kroatien, in der Vorkriegszeit ein Schwerpunkt der Streik- und
Protestbewegung gegen die Austeritypolitik, mit dem Krieg einen
weitgehenden nationalen Konsens herzustellen, so daß soziale
Forderungen hintangestellt wurden ( vgl. Süd-Ost-Dialog 3/92).
Inzwischen ist in fast allen Betrieben durch Verstaatlichung als
Zwischenschritt zur zukünftigen Privatisierung die
»Arbeiterselbstverwaltung«, ein Ausdruck der
jugoslawischen Akkumulationsblockade, ausgehebelt.
-
Mit der massiven Protegierung des Tudjman-Regimes und seiner nicht
ohne Grund als »klerikal-faschistisch« bezeichneten
politischen Sozialordnungskonzepte (13) kalkulierte die BRD-Politik
eine Verschärfung der nationalistisch-ethnisch formierten
Konfrontation auch in Bosnien-Herzgowina ein - selbst der damalige
EG-Vermittler Carrington wies Ende '91 darauf hin, daß »mit
der Anerkennung Kroatiens die Zündschnur des Krieges nach
Bosnien gelegt werde«. (Zeit 11.12.92) Auch gab es von der
BRD-Regierung zu den seit März '91 regelmäßig
stattfindenden serbo-kroatischen Verhandlungen über die
Aufteilung Bosnien-Hercegowinas nie ein Wort der Kritik an »ihrem
Schützling«.
-
Parallel zur Erosion der sozialistischen Regimes und der sich nun
vollziehenden »Öffnung der Räume« für den
inwertsetzenden kapitalistischen Zugriff auf Osteuropa verlagerte
sich die strategische Ausrichtung des BRD-Imperialismus dahin, nicht
mehr bloß tonangebender Faktor innerhalb der EG, sondern auch
»führend in der Neuordnung Osteuropas« zu werden.
-
Beginnend mit der »Ostpolitik« der SPD Anfang der 70er
Jahre hatten sich BRD-Konzerne den mit Abstand größten
Anteil an den Geschäften mit den sozialistischen Regimes
gesichert. Seit Mitte der 80er Jahre ging es nun um den Ausbau
politökonomischer Abhängigkeiten zur Organisation des
Werttransfers aus der neuzuerschließenden Peripherie in die
Zentren der Akkumulation. Um diesen Prozess zu gewährleisten,
mußte das BRD-Regime - in geringerem Umfang auch im Rahmen von
EG-Programmen - mit einem gigantischen »deficit spending«
(staatliche Verschuldung für Neuinvestitionen etc.) und mit
Privatbankkrediten Projekte zur Deregulierung und Neuzusammensetzung
der osteuropäischen Ökonomien und für Elemente
begrenzter sozialer Abfederung (z.B. in der Ex-DDR) finanzieren;
allein die GUS-Regierungen wurden bis Anfang '92 mit ca. 72 Mia.DM
kreditiert. Parallel wurde die Anbindung über EG-Handels- und
Kooperationsverträge sowie Assoziierungsabkommen
vorangetrieben.(FN 14) Das starke Engagement in Osteuropa setzt das
BRD-Kapital unter Druck, alle Möglichkeiten der Beschleunigung
des Transformationsprozesses zu sondieren und ggf. forcierend
einzugreifen (z.B. der Versuch einer freien Produktionszone
Kaliningrad, die Anerkennungsoffensive im Baltikum, die
Separatverhandlungen mit dem Ukrainischen Regime, das Projekt
Deutsche Wolgarepublik). Denn bis jetzt ist nicht erkennbar, daß
es zu umfangreicheren BRD-Investitionen, außer z.T. in der
Tschechischen Rpublik, gekommen wäre. Im Gegenteil wird über
das langsame Tempo des »Reformprozesses« in Osteuropa
lamentiert.
-
Ex-Jugoslawien hatte für das BRD-Kapital die Funktion eines
Standorts »passiver Lohnveredelung«, d.h.
Weiterverarbeitung in der »low-tech«-Produktion zu
Niedriglöhnen, z.B. im Stahl-, Elektrogeräte- und
Textilbereich. »Fast ein Drittel der im deutschen Auftrag im
Ausland gefertigten Bekleidung - also Waren im Werte von 2,2 Mia. DM
kam 1990 aus dem Balkanstaat.« (Wirtschaftswoche 9.8.91) 1988
gab es über 300 umfangreichere Joint-Venture-Abkommen mit
BRD-Firmen (Razumovsky, 1991). Die jugoslawischen Gesamtexporte in
die BRD betrugen 1990 7,3 Mia. DM, die Importe 8,3 DM. Der größeren
Weltmarkteinbindung der Ökonomien Kroatiens und Sloweniens
entsprechend war/ist auch die Bedeutung diser Region für das
BRD-Kapital. Auch besteht der größte Anteil der
jugoslawischen Auslandsverschuldung aus Krediten von BRD-Staat und
-Banken.
-
Das Osteuropa-Projekt ist dem BRD-Kapital von solcher Wichtigkeit,
daß im Sommer '93 darüber wesentliche Elemente der
Maastrichter EG-Verträge gekippt wurden: trotz der hohen
Staatsverschuldung, v.a. wegen der Ostkreditierung, hielt die
Bundesbank die Zinsen für die DM hoch, um die internationalen
Kapitalströme weiter zur Finanzierung neuer Investitionen in
die BRD zu lenken; das Europäische Währungssystem (EWS),
Vorstufe zum »Herzstück« der Einigungsverträge,
der geplanten Währungsunion mit Einheitswährung, wurde zum
Platzen gebracht, die »starke DM« aber wird Leitwährung
bleiben, mit allen damit verbundenen finanzpolitischen Vorteilen
gegenüber anderen westeuropäischen Ökonomien (ähnlich
wie beim US-Dollar).
-
Wahrscheinlich war dies der erste Schritt zu einem schon seit
geraumer Zeit diskutierten »Europa der zwei
Geschwindigkeiten«: eine Gruppe von Staaten, die ihre Finanz-
und Sozialpolitik schrittweise angleichen und evtl. eine »Kern-EWS«
bilden (FN 15); abgekoppelt würden die südeuropäischen
Staaten, deren Regime nicht in der Lage sind, dem sozialen Druck
gegen Einkommenssenkungen und Produktivitätssteigerungen
standzuhalten. »Im Klartext: Die Reicheren im Norden werden
nicht haften für eine zu expansive Finanzpolitik und eine
überzogene Lohnpolitik im Süden der EG. (...) De facto
heißt das: auf mittlere Sicht keine Chance für
Griechenland, Italien und Portugal, (...) und große
Schwierigkeiten für Spanien und Belgien«, so der
IHK-Vorsitzende H.P. Stihl. Zur Zukunft Osteuropas in seinem
Szenario: »Polen, Ungarn und die frühere Tschechoslowakei
sind der Gemeinschaft `assoziiert', also handelspolitisch
eingebunden. Länder wie Estland, Lettland, Littauen und
Slowenien werden folgen. (...) (Sie) sind auch als
Produktionsstandorte interessant: sie liegen nah an der EG, die
Türen in die EG sind dank der Assoziierungsabkommen weitgehend
offen, die Arbeitnehmerschaft ist qualifizierungsfähig, Steuern
und Löhne sind niedrig.« Für Europa insgesamt«
(...) muß ein Nebeneinander unterschiedlicher
Integrationstiefen - nach dem Muster `konzentrischer Kreise' - der
Fortentwicklung der Gemeinschaft keineswegs abträglich sein.«
(16)
-
Im Zentrum die BRD: »Unsere Zukunft als Industrieland ist der
eines Systemkopfs, aber nicht die eines Herstellers von Profilstahl
und Hemdennähers«, so Roland Berger, führender
Unternehmensberater. Auf die Frage, welches Land er für eine
lohnintensive Fertigung empfehlen wüde: »Für mich
kommt derzeit die Tschechoslowakei in Frage, bei klaren politischen
Verhältnissen auch Ungarn, Polen und das Baltikum. Die Löhne
dort werden nicht so schnell steigen wie in den westlichen
Niedriglohnländern Spanien, Portugal und Irland.« (17)
-
Was hier nur grob skizziert werden kann, zeichnet sich als Projekt
des BRD-Imperialismus der 90er Jahre ab. Ex-Außenminister
Genscher:«Jetzt geht es darum, eine neue Ordnung für ganz
Europa zu schaffen.« (WamS 16.10.91) Diese »neue
Ordnung« erinnert nicht von ungefähr an die seit den 20er
Jahren entwickelten Planungen vom »Großraum«, die
der NS mit seinen Eroberungs- und Vernichtungsfeldzügen
umzusetzen trachtete. (18)
-
»Eine Reihe der klassischen Regulationsmechanismen im Großraum
tauchen wieder auf: regionale Leitwährungen, gestaffelte
Verwertungsintensität und gestaffelte Masseneinkommen (...) ;
im Unterschied zu den 30er Jahren gibt es keinen New Deal, sondern
eine Deregulation des Sozialstandards, so daß die regionalen
Standorte dezentral um die soziale Rentabilität konkurrieren.«
(Thesen zu EG '92, Redaktion Materialien Mai 1992)
-
Und ähnlich der NS-Strategie werden in Staaten, die keine
homogene Gesllschaftsstruktur aufweisen, sondern regionale
Arbeitsteilungen entwickelt haben, die Regionen herausgelöst
und enger angebunden, die bestimmte Verwertungskriterien erfüllen:
die baltischen Staaten aus der Ex-SU, Slowenien und Kroatien aus
Ex-Jugoslawien.
-
Und die nächsten Schritte zur Organisierung des Werttransfers
aus Slowenien folgten schon: sog. Kooperationsabkommen zur
»Exporterleichterung« in die EG (NZZ 7.4.93) und
EG-Umstrukturierungs-Förderprogramme (FR 12.8.92), eine engere
EG-Assoziierung ist bereits angekündigt.
-
Vor diesem Hintergrund der Europa-Neuordnungspläne erklärt
sich der »Alleingang« der BRD-Diplomatie innerhalb der
EG in Bezug auf die Zerschlagung des jugoslawischen Staates: die
Gunst der Stunde nutzend, forcierte das BRD-Regime die Lostrennung
der beiden Nordrepubliken, um in diesem Teil Osteuropas (endlich)
den kapitalistischen Umstrukturierungsprozess seiner sozialen
Blockierungen zu entledigen - dabei wurde gezielt an die
ethnisch-nationalistische Konfrontationsdynamik angeknüpft und
diese zum Krieg gesteigert.
-
Erste Kriegsgewinne deuten sich an: unter der Überschrift
»Siemens kauft Kroatien« wird in der Zeitschrift
Süd-Ost-Dialog (12/92) berichtet, Siemens plane den Ankauf von
kroatischen Staatsobligationen (=staatliche Schuldscheine) im Wert
von 3 Mia.$ (!). Diese Obligationen kann der BRD-Konzern in großem
Stil gegen profitable kroatische Anlagen eintauschen. Schon hat
Siemens sein Auge auf den Energiesektor geworfen. Der kroatische
Siemensdirektor im Interview: »Der Wert der Energie beträgt
45% des kroatischen Bruttosozialprodukts. Die Energie ist das Vis
Vitalis Kroatiens. Hier wird sich Siemens sicher maximal
engagieren.«
-
-
-
Imperialistische Moderation des Vernichtungs- und
Vertreibungskrieges in Bosnien
-
-
Es fällt auf, daß im Unterschied zur Auseinandersetzung
um die Zukunft des jugoslawischen Staates es in Bezug auf
Bosnien-Hercegowina keine grundsätzlich differierenden
imperialistischen Vorstellungen gab. Offenbar herrschte eine gewisse
Übereinstimmung, nach der einmal erfolgten Durchsetzung der
Ethnisierung des Sozialen im Krieg die »pluriethnische«
bosnische Gesellschaft für ein Neuordnungsszenario im
Balkanraum zu opfern, von dem perspektivisch stabile
Verwertungsbedingungen zu erwarten sein würden. Dieses Szenario
scheint keineswegs ein statisches zu sein, sondern aus bevölkerungs-
und ordnungspolitischen Vorstellungen und den für uns so wenig
sichtbaren Formen von Widerstand in der Verlaufsform des Krieges
sich herauszubilden.
-
Der Krieg als Zerstörungs- und Neuordnungsinstrument allerdings
sollte in modifizierten Bahnen verlaufen: die regionale Begrenzung
und Steuerbarkeit mußte gewährleistet bleiben - die
Befürchtung, ein Krieg in Ex-Jugoslawien könne sich
unkontrolliert weiter ausbreiten, war zuvor ein Argument u.a. der
US-Administration gegen die BRD-Eskalationspolitik gewesen. Zu
diesem Zweck durfte ein gewisses Niveau an militärischen
Mitteln nicht überschritten werden (wie z.B.
Flächenbombardements der Luftwaffe oder größere
Panzereinsätze). Maßgeblicher für den
»low-intensity«-Charakter des Krieges ist jedoch, daß
es sich nur sekundär um eine militärische Konfrontation
konkurrierender Mächte handelt, sondern viel mehr um
Terrorisierung, Vertreibung und Ermordung bestimmter Gruppen der
Gesellschaft. (dazu Kapitel V) »Die sog. »ethnische
Säuberung« ist nicht Folge, sondern Ziel deses Krieges.«
(19)
-
Im folgenden einige der wesentlichen Elemente imperialistischer
Steuerung des Krieges in Bosnien:
-
-Anerkennungspolitik gegen Bosnien
-
Nach den Wahlen in Bosnien-Hercegowina im November 1990, die die
drei, nach ethnischen Kriterien gegründeten Parteien gewonnen
hatten (19a), bildeten diese eine Koalition. Ein Viertel der Stimmen
war auf Gruppen entfallen, die jedes ethnische Etikett verweigerten,
und 20% der WählerInnen hatten sich enthalten. In der Folgezeit
setzte eine Aufteilung aller von dieser Koalition eroberten Ämter
und Positionen im Staatsapparat je nach ethnischen Mehrheiten in den
jeweiligen Ortschaften bzw. Städten ein. »Dieses auf dem
Kriterium der Ethnizität fußende Konzept bereitete der
Zerstückelung des Landes und dem darauf folgenden Krieg den
Weg.« (Dizdarevic , 20) Unter dem Einfluß des
»serbo-kroatischen« Krieges setzten die
nationalistischen Bewegungen ihre Formierung im Laufe des Jahres '91
weiter fort: Bildung von vier »autonomen serbischen Gebieten«
gegen den Willen derjenigen, die sich nicht darunter subsummieren
lassen wollten; v.a. hier Aufstellung paramilitärischer
Formationen - laut der oppositionellen Belgrader Zeitung Vreme sind
schon 250.000 Personen legal oder illegal mit Waffen ausgerüstet
worden; Einmarsch von Einheiten der JNA (Jugoslawische Volksarmee),
die zum großen Teil in mehrheitlich von »SerbInnen«
bewohnten Ortschaften stationiert werden. (NZZ 3.10.91) Als Reaktion
auf diese Tendenzen war aber auch eine breite Bewegung gegen Krieg
und Nationalismus entstanden. »Zahlreiche Meinungsumfragen
haben im Laufe der Jahre '90 und '91 eine deutliche Feinseligkeit
gegenüber den neuen Machteliten zum Vorschein gebracht. Nach
einer landesweiten Umfrage vom Mai 1990 waren 71% der Befragten
gegenüber den 'Institutionen und Parteien, die nach nationalen
Kriterien gegründet wurden'ablehnend eingestellt.«
(Dizdarevic, ebd.) Gegen Jahresende '91 kommt es zu ersten
Konfrontationen verschiedener Milizen. In dieser Zeit »wurde
das Projekt der 'Kantonisierung'vorgestellt, und es folgt eine wahre
»Kartomanie«, wobei sich jeder bemühte, eine
'gute'ethnische Unterteilung vorzuschlagen. Zum großen
Entsetzen der Oppositionsparteien, der Friedensbewegung und der
Bürger, Berufsverbände und Nichtregierungsorganisationen
wurde dieser Gedanke von der Europäischen Gemeinschaft auf der
Lissaboner Konferenz im Februar '92 aufgegriffen.«
(Dizdarevic) Schon hatten sog. Experten errechnet, daß rund 2
Millionen Menschen umgesiedelt werden müßten, wenn »nur
halbwegs national homogene Regionen« geschaffen würden.
(taz 27.2.92)
-
Die nationalistisch aufgeladene Situation wird durch die
EG-«Friedens«politik von zwei Seiten her verschärft:
das (faschistische) bevölkerungspolitische Prinzip der
nationalistischen Parteien, Siedlungsgebiete nach einer
konstruierten ethnischen Zuordnung aufzuteilen, wird übernommen
und zur Grundlage weiterer »Lösungen« und
Verhandlungen gemacht - parallel wird die bosnische Regierung dazu
gedrängt, die Anerkennung als Nationalstaat für
Bosnien-Hercegowina anzustreben. Diese beiden von der EG-Diplomatie
verfolgten (sich widersprechenden) Linien lieferte den Protagonisten
militärischer Aufteilungspläne die Legitimation fürs
Zuschlagen.
-
»Die Regierung Bosniens flehte denn auch darum, ihre Republik
zunächst noch nicht völkerrechtlich aufzuwerten. Es half
ihr nichts. Die EG verlangte ein Referendum über die
Unabhängigkeit.« (Zeit 11.12.92) Es wird am 29.2./1.3.92
mit einem Ergebnis im Sinne der EG durchgeführt.( 21)
-
Obwohl die bosnische Regierung wegen der drohenden Konflikte
verabredete, die Ausrufung der Unabhängigkeit aufzuschieben,
ruft sie Präsident Izetbegovic am 3.3.92 dennoch aus. Der
Alleingang Izetbegovics ist wohl damit zu erklären, daß
er von dem damaligen US-Außenminister Baker zu diesem Schritt
ermuntert worden war und dafür bestimmte Zusagen erhalten hat,
die allerdings vom nachfolgenden US-Außenminister Eagleburger
(Angehöriger der sog. »Belgrad-Connection« in
Washington) nicht eingehalten wurden. (taz 21.6.93)
-
»Der Konflikt zwischen den beiden Bosnien, von denen sich das
eine auf die zivile, multiethnische und laizistische Gesellschaft
berief, das andere auf den Nationalismus, erreichte im März und
Anfang April seinen Höhepunkt. Am 2. und 3.März (dem Tag
der Unabhängigkeitserklärung) errichtete die Serbische
Demokratische Partei (SDS). Barrikaden in Sarajewo, worin ihr bald
ihre beiden `Partner' in der Koalition folgten. Tausenden von
Demonstranten aller Nationalitäten gelang es, waffenlos die
Straßen der Hauptstadt wieder freizuräumen. Im Laufe der
folgenden Tage gingen zehntausend der Bürger in der ganzen
Republik und vor dem Parlament auf die Straße, um ihre
Verbundenheit mit der Integrität des Landes auszudrücken.
Dieser letzte Ausdruck massiver Feindseligkeit gegenüber der
Dreiparteien-Koalition, der Unterstützung des laizistischen
Gedankens und einer friedlichen Lösung wurde von ‘vereinzelten
Schützen' der SDP aufgelöst und von der internationalen
Gemeinschaft ignoriert: der Krieg konnte beginnen.«
(Dizdarevic) Am gleichen Tag schlagen Milizen der Parteien auch in
anderen Regionen zu.
-
Im März '92 finden weitere Verhandlungen über die
Aufteilung unter EG-Vermittlung statt, bei denen sich die Führungen
der drei Parteien nicht einigen. Durch die Debatte über
»Kantonsgrenzen« forciert, weiten sich die militärischen
Aktionen aus. Am ersten Aprilwochenende kommt es in mehreren Städten
und Regionen zu Kämpfen mit mehreren hundert Toten zwischen den
rivalisierenden Gruppen (FR 7.4.92). Heckenschützen schießen
in eine antimilitaristische Großdemonstration in Sarajewo.
»Die Eskalation der Gewalt wird allgemein in Zusammenhang
gebracht mit der möglichen Anerkennung Bosnien-Hercegowinas
durch die Staaten der EG, deren Außenminister ausgerechnet am
6.April, dem Jahrestag des Angriffs Hitlers auf Jugoslawien im Jahre
1941, diese Frage erörtern.« (NZZ 7.4.92) Am 7.4.92 wird
Bosnien-Hercegowina von EG - die BRD-Regierung hatte sich wieder
besonders profiliert (FR 7.4.92) - und den USA als selbständiger
Staat anerkannt. Die Auflösung Jugoslawiens war endgültig
besiegelt. (NZZ 9.4.92) Kurz darauf gehen jugoslawisch/serbische
Artillerie-Einheiten ungestört von internationalen Protesten in
den Bergen um Sarajewo in Stellung. (FR 21.7.93)
-
Etwa zeitgleich, Anfang April '92, werden die ersten
UNPROFOR-Soldaten in den drei »serbisch-kroatischen«
Konfliktgebieten stationiert. Die dadurch freiwerdenden
Truppenverbände der JNA und kroatische Verbände werden
sukzessive nach Bosnien verlegt und unterstützen die dort
kämpfenden Milizen.
-
Endgültig wird zur Gewissheit, daß die kroatischen und
serbischen Machthaber nicht den Schutz nationaler Minderheiten
bezwecken, wie sie behaupten, sondern einen »Eroberungsfeldzug«
zur »Aufteilung und Einverleibung« Bosniens führen,
worüber sie sich in seit März '91 stattfindenden
»geheimen« Treffen abzustimmen versuchten (Borba, in
Spiegel 20.4.92). Allerdings war man sich lange nicht über die
Details einig geworden, um die es z.T. bis heute weitere
militärische Auseinandersetzungen gibt. (u.a. ak 3.6.92)
-
Inzwischen sind etwa 1,3 Millionen Menschen zu Flüchtlingen
gemacht worden - das BRD-Regime will mit einer verschärften
Visumspflicht verhindern, daß bosnische Flüchtlinge in
die BRD kommen. (WAZ 21.5.92)
-
-
-
UNO-Einsatz und Embargopolitik
-
-
In der öffentlichen Debatte um kriegsbeendende Interventionen
wurden regelmäßig Boykottmaßnahmen gefordert. Seit
Juli '91 gibt es ein Waffenembargo gegen alle jugoslawischen
Republiken. Dies ist insofern irrelevant, weil insbesondere in
serbischen und bosnischen Republik genügend Vorräte an
Waffen und Munition vorhanden sind - hier befanden sich 60% bzw. 40%
der Rüstungsproduktion, des größten Industriesektors
Ex-Jugoslawiens. (22)
-
»Bisher hat die EG bloß die Vergünstigungen aus
Handelsabkommen mit dem alten Jugoslawien gestrichen.« (NZZ
17.5.92) Ein umfassendes Handelsembargo, anfangs gegen alle
Republiken, später nur gegen »Restjugoslawien«(BRJ)
am 31.5.92 von der UNO verhängt, wird von einzelnen
Nachbarstaaten »durchbrochen«. Es wird aber v.a. dadurch
konterkariert, daß das von den Sanktionen nicht betroffene
Bosnien schon bald zu 50% von serbischen Militär und Milizen
kontrolliert wird. Dieser Importweg über die besetzten Gebiete
liegt somit in deren Hand. In Anbetracht der zunehmend schlechter
werdenden Versorgungslage und den rasant steigenden Preisen in
Serbien werden sie diese Umstände sicher nutzen, ihre
Kriegskassen aufzufüllen. Diese Form des von imperialistischen
Gremien verordneten Embargos scheint den kriegführenden
Parteien wohl wenig zu schaden, sondern z.T. sogar zu
nutzen.Getroffen wird v.a. die Bevölkerung Serbiens, die in
ihren Existenzgrundlagen angegriffen wird. Auch werden
oppositionelle Bewegungen eher geschwächt, denn das Regime kann
Ausnahmezustände und Notmaßnahmen mit dem Hinweis auf das
Embargo begründen, außerdem fehlen ihnen dadurch
Materialien, die zur politischen Arbeit nötig sind, der
Regierung aber nach wie zur Verfügung stehen.
(s.Süd-Ost-Dialog, 8/92)
-
Weitergehende Sanktionen werden später noch auf UNO-Ebene
erwogen, aber nicht beschlossen. (NZZ 18.4.93) (23)
-
Die Stationierung von UNO-Truppen verlief in zwei Etappen. Gemäß
dem Anfang '92 ausgehandelten »Friedensplan« für
den »serbo-kroatischen« Krieg mit dem allerdings nicht
alle Verteilungskonkurrenzen geklärt wurden, etablierte die UNO
im April 14.000 Soldaten in sog. Schutzzonen. Doch die vorgesehene
Entmilitarisierung und Entwaffnung »illegaler« Einheiten
findet kaum statt; die Praxis der »ethnischen Säuberungen«
wird in den »Schutzzonen« unter den Augen der UNPROFOR
fortgeführt, wie die UNO-Truppen heißen, weiterhin
fortgeführt; von geflohenen Familien verlassene Häuser
werden geplündert; UNO-Soldaten bessern ihr Gehalt durch
Waffen- und Munitionsverkäufe an Milizen auf; in einer internen
Bilanz sieht die UNPROFOR den »Friedensplan« und das
Konzept der »Schutzzonen« als gescheitert an. Dennoch
wird ihr Mandat verlängert. (Zeit 16.4.93)
-
Im Mai '93 werden 1.500 , im November nochmal 5.500 UNO-Soldaten
nach Bosnien entsandt. Ihr Auftrag besteht darin, den Flughafen von
Sarajewo und die Auslieferung »humanitärer Hilfsgüter«
abzusichern. Doch ob die Hilfslieferungen ankommen, hängt vom
Willen der die Straßen kontrollierenden Milizen ab. (Zeit
16.4.93) Anfang Juni werden im Rahmen des »Bosnien-Plans«
von EG und USA acht bosnische Städte zu UN-Schutzzonen erklärt,
die von der UNPROFOR gesichert werden sollen.
-
Das von der UNO verhängte Flugverbot über Bosnien (vom
9.10.92) ist praktisch gegenstandslos, weil die belagerten Städte
und Ortschaften zur Vertreibung der BewohnerInnen v.a. mit
Bodenwaffen beschossen werden.
-
Um die Kampfhandlungen ganz zu beenden, so haben Friedensforscher
errechnet, müßten 100.000 »Blauhelme«
eingesetzt werden. (taz 11.5.93) Daß das nicht passiert, liegt
nicht etwa an mangelnden Mitteln der »Weltorganisation«
(24). Sondern der Zweck des UNO-Beteiligung besteht allein in der
Legitimierung der interventionistischen Moderation zur regionalen
Eingrenzung und dosierten Weiterführung der Kampfhandlungen, in
der Kontrolle und Steuerung des »unkrontrollierten«
low-intensity- und Bandenkriegs.
-
-
-
Die Verhandlungspolitik
-
-
Nach dem sog. Vance-Owen-Plan, am 4.1.93 erstmals vorgestellt, soll
Bosnien in zehn Provinzen aufgeteilt werden. »Diese Teilung
entspricht sicherlich eher der Wirklichkeit und der regionalen
Tradition Bosnien-Hercegowinas, doch ist die vom Plan vorgesehene
brutale Zerstückelung `ein Kompromiß zwischen einer rein
ethnischen Teilung und einer Anerkennung territorialer Gewinne`«,
die durch Vertreibungen und Massaker erzielt wurden. Der Plan sieht
außerdem eine ständige Beteiligung und damit Kontrolle
von EG- und UNO-Vertretern bei allen zukünftigen Schritten
staatlicher Konstituierung und u.a. wichtiger Verkehrswege (!) vor.
»Doch ist der größte Schwachpunkt des Plans, daß
er das politische Leben auf zentraler wie auf regionaler Ebene auf
die ethnischen Kräfte verengt. (...) Nur die drei Parteien
werden das Recht haben, ihre Vertreter (...) in der Zentralregierung
zu bestimmen« (alle Zitate Dizdarevic). Von den zehn Provinzen
werden je drei den drei nationalistischen Parteien zugesprochen,
Sarajewo wird gesondert aufgeteilt. Nachdem der Plan veröffentlicht
wird, setzen sofort verstärkte »ethnische Säuberungen«
ein, um die im Plan vorgeschlagenen Provinzgrenzen zu verschieben
(Zeit 25.6.93). So haben z.B. kroatische Milizen begonnen, »Moslems«
aus den ihnen zugedachten Provinzen zu vertreiben. (FR 21.7.93)
-
Bei unzähligen Verhandlungsrunden um den Plan kommt eine
Einigung nicht zustande, die militärischen Einheiten nutzen den
jeweiligen Zeitgewinn für weitere Vertreibungs- und
Eroberungsaktionen.
-
Schließlich wird der Vance-Owen-Plan als gescheitert verworfen
und Ende Mai '93 ein neuer US/EG-Plan präsentiert: die
bisherigen Annexionen werden offiziell anerkannt, und die Gebiete,
in denen »islamische« bzw. sich einer ethnischen
Einordnung verweigernde Menschen leben sollen, werden auf
Ghetto-Zonen in zwei räumlich getrennten Regionen Zentral- und
Nordbosniens reduziert: »Schutzzonen als Reservate für
Bosniens Muslime« (NZZ 25.5.93). Ein solcher zweigeteilter
Staat wäre vollständig von ausländischer Hilfe
abhängig. (Zeit 25.6.93)
-
»Den einheitlichen bosnischen Staat selbst haben die
EG-Anerkennungspolitik und, auf ihr fußend, der
Vance-Owen-Plan aber zur Fiktion gemacht, ehe das umfassende
Erobern, Morden, Vergewaltigen und `Säubern'noch begann. Sie
haben das Prinzip der territorialen Aufteilung auf ethnischer Basis
als Grundlage allen Handelns und Unterlassens akzeptiert« (FR
2.5.93) - allerdings nicht nur akzeptiert, sondern ganz
offensichtlich so gewollt.
-
Von nun an wird von seiten der US-und EG-Unterhändler massiver
Druck auf den Vertreter der moslemischen Partei, Izetbegovic,
ausgeübt, den Plan zu unterschreiben. (FN 25)
-
Unterdessen gehen die Kämpfe weiter, denn auch jetzt ist es
wieder so, daß »für die drei Kriegsparteien die
zentrale Frage ist, wer wie viele Teile von Bosnien-Hercegowina
abbekommt. Und darüber wird im Prinzip nach dem aktuellen
Frontverlauf entschieden. Folgerichtig versuchen alle Parteien, sich
auf dem Schlachtfeld noch Verhandlungsmasse zu erobern.« (SZ
2.8.93)
-
-
-
Schluß
-
-
Bis jetzt, Anfang August '93, deutet alles darauf hin, daß die
mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien verbundenen Zielsetzungen sich
realisieren. Nicht obwohl, sondern weil dieser Krieg so
internationalisiert worden ist, wie wohl kaum ein anderer:
UNO-Sanktionen, EG-Verhandlungen, Jugoslawien-Konferenzen,
Interventionsdrohungen ... täuschten eine Vielzahl von
Aktivitäten vor, dem Krieg ein Ende zu bereiten, und
verlängerten ihn doch nur. Zu viele Interessen verbanden sich
mit seiner Fortführung, und: auf der Seite der Machthabenden
konnte es bei diesem »Krieg gegen die Bevölkerung«
keine Verlierer geben - die isolierte muslimischen Partei
ausgenommen. Hinter der bosnisch/muslimischen bzw. sich einer
Ethnisierung verweigernden Bevölkerung stand keine Regional-
oder Weltmacht - so konnte sie mit einem Krieg überzogen
werden, der auf die Eliminierung einer nach kapitalistischen
Verwertungskriterien definierten »Über(fluß)bevölkerung«
zielt.
-
Die Internationalisierung schaffte die Legitimation für diesen
Rationalisierungskrieg, in dem die Zonierungs- und
Verwertungsinteressen des Imperialismus selbst umgesetzt werden. Sie
stärkte zudem die autoritären Regimes in Kroatien und
Serbien (FN 5b), die wahrscheinlich nichts so sehr fürcht(et)en,
wie einen Stillstand der militärischen Konfrontation, und die
jetzt als ebenbürtige Regionalmächte den Ausgangspunkt für
eine (durchaus mit dem Mittel des Kriegs geführte) Neuordnung
des Balkanraums fungieren werden.
-
Auf dem Hintergrund nationalistischer Formierung und kriegsbedingten
Ausnahmezustandes konnten einige der sozialen und institutionellen
Implikationen, die die »gesellschaftliche Blockade«
Jugoslawiens ausgemacht hatten, ausgehebelt werden. Zu unterschätzen
aber ist nicht die sozialpsychologische Dimension eines solchen
Krieges mit seinen massenhaft begangenen und z.T. unvorstellbaren
Grausamkeiten: die Zerstörung eines kollektiven Verständnisses
von Gesellschaftlichkeit, in der es u.a. als Aufgabe der staatlichen
Institutionen angesehen wird, für eine gesicherte Existenz
aller zu sorgen. Mit der plötzlich hereinbrechenden und totalen
Zerrüttung von Alltagswelten und Bezugssystemen sollen als
selbstverständlich geltende soziale Rechte und Ansprüche
auch im Bewußtsein in eine entfernt liegende Vergangenheit
gebannt werden.
-
Mittlerweile wird für alle ex-sozialistischen Gesellschaften
klagend konstatiert, daß die psychosozialen Voraussetzungen
der Subjekte für eine Wendung des Deregulationsprozesses in
eine neue, kapitalistisch transformierte Produktivität nur
äußerst ungenügend vorhanden seien; denn allein die
Umwidmung ehemals staatlicher Verfügungsgewalt über
Produktionsmittel in eine private, die formale Einführung des
Konkurrenzprinzips etc. reicht nicht. Um neue Formen
gesellschaftlicher Rationalität nicht nur äußerlich
durchzusetzen, müssen soziale Einstellungen und
Wertvorstellungen ebenso »umstrukturiert« werden. Die
»Produktivität des Krieges« entlang
ethnisch-nationalistisch konstruierter Konfrontationslinien, wie in
Jugoslawien vor unseren Augen planmäßig von den
herrschenden politischen Klassen in Kooperation mit
imperialistischen Vermittlungsagenturen und einem Großteil der
Männer vollzogen, wird insofern zu einer
Rationalisierungsvariante auch für andere Regionen Osteuropas.
-
Umsomehr sind wir gezwungen, jenseits der manipulierten
Medienrealität die tatsächlichen antagonistischen Prozesse
herauszufinden, um uns nicht ob der »Unübersichtlichkeiten«
resignierend abzuwenden. Eine auch antiimperialistisch sich
begreifende Politik müßte am Widerstand der Frauen,
Flüchtlinge, Deserteure anknüpfen und sich um Verbindungen
zu widerständigen Organisierungsformen bemühen, aber auch
den sich neu formierenden BRD-Imperialismus jenseits eines »Nie
wieder Deutschlands«-Mythos' zum Gegenstand der analytischen
wie praktischen Auseinandersetzung machen.
-
-
-
-
1: So gibt es zur US-Balkan-Politik die verschiedensten
Spekulationen: das US-Regime strebe einen starken Einfluß in
der Großregion an, die dem ehemligen Osmanischen Reich
einschließlich der südlichen Balkanländer entspricht
- im Mittelpunkt die Türkei als aufstrebende Regionalmacht und
als Brückenkopf zur Schwarzmeerregion (...). (WOZ 4.9.92) Bei
Stärkung Serbiens durch die US-Diplomatie ginge es darum, den
Einfluß der BRD in Südost-Europa einzudämmem (taz
4.1.93). Insbesondere aus französischen Regierungskreisen
wurden die BRD-Vorstöße als neue Großmachtambitionen
scharf kritisiert.
-
1a: »Im Kontext sich entwickelnder regionaler Interessen kann
der Krieg auf dem Balkan zu einem entscheidenden politischen
Instrumentarium werden. Ein Hinweis darauf kam kürzlich von
Lawrence Eagleburger, dem amtierenden US-Außenminister, einem
Diplomaten, der mehr als viele andere vom früheren Jugoslawien
versteht. Er erwartet, daß begrenzte Kriege in der einen oder
anderen Form langfristig den Charakter der Politik auf dem Balkan
prägen.« WOZ,4.9.92; Siehe dazu auch »Folgeszenarien
der jugoslawischen Auflösungskriege« in: Blätter f.
dt.u. internat.Politik 8/93, S.982 ff.
-
1b: Trotz »sozialistischer Propaganda«, wegen derer z.B.
die Zeitschrift konkret Sympathien für das serbische Regime
entwickelte ging es auch dem serbischen Regime um die »Hauptaufgabe
der Beseitigung ideologischer Zweifel« (NZZ 28.4.87), auch
»Milosevic ist Befürworter durchgreifender
marktwirtschaftlicher Reformen« (WiWo 28.10.88); eine
serbische Kommission arbeitete Vorschläge zur Umsetzung von
Marktwirtschaft und Demokratie im Rahmen einer Föderation aus
(NZZ 24.8.89).
-
2: Auf serbischem Gebiet lebt anteilsmäßig nach dem
Kosovo die meiste Landbevölkerung, gefolgt von der Vojvodina.
Hier sind auch 60% des militärisch-industriellen Komplexes
angesiedelt. Entsprechend der innerjugoslawischen Arbeitsteilung
werden in den »östlichen« Republiken eher
industrielle und agrarische Grund- und Rohstoffe produziert, während
in Slowenien und z.T. Kroatien sich die Schwerkpunkte der für
den EG- und Weltmarkt weiterverarbeitenden Industrien befinden. Von
der Sozialstruktur her gibt es also in den »östlichen«
Republiken eine größere unmittelbare Abhängigkeit
vom Staatsapparat: Regulierung der Ankaufpreise für
Agrarprodukte, Aufträge für Waffensysteme und Bezahlung
von Pensionen, subventionierter Erhalt von Schlüsselindustrien
aus nationalem und nicht ökonomischen Interesse. Dieses
Phänomen finden wir auch in Bulgarien, Rumänien, der
Slowakei und Albanien wieder - auch hier wurden von vergleichsweise
bäuerlich geprägten Gesellschaften mehrheitlich ehemalige
kommunistische Parteien gewählt. Die Renationalisierung stellt
den problemlosen Übergang kollektivistischer Ideologien dar:
vom Klasseninteresse zum nationalen Interesse usw., deren Grundlage
die nationalstaatlich organisierte Wirtschaft ausmacht.
-
3: Anfang Februar `90 steigen die slowenischen Kommunisten aus der
KPJ aus (NZZ 8.2.90), gleichzeitig wird die nationalistische
Bewegung für Unabhängigkeit in Slowenien und Kroatien
immer stärker (taz 6.2.90).
-
4: bei den Wahlen in Kroatien und Slowenien gewinnen nationalistisch
ausgerichtete Parteien, im März `90 beschließt das slow.
Parlament Unabhängigkeit in ökonomischen und finanziellen
Fragen (taz 10.3.90), am 2.7.90 erklärt es seine staatliche
Souveränität (NZZ 5.7.90).
-
5: Anfang Juni`91 stellt die EG-Kommission einen Kredit über
-
ca. 1 Mia.$ und ein Assoziierungsabkommen in Aussicht; allerdings
nur, wenn sich die Republikführungen »auf den Fortbestand
Jugoslawiens einigen« und die »Demokratisierung«
sprich: kapitalistische Transformation weiter vorantreiben (taz
1.6.91). US-Außenminister Baker kommt am 21.6.91 nach
Jugoslawien. Er besteht ebenfalls auf Einheit und lockt mit einem 50
Mio.$-Kredit, dessen »Gewährung« weitere
Kreditzustimmungen der US-Regierung z.B.im IWF zur Folge hätten.
Außerdem werde die US-Regierung Kroatien und Slowenien auf
keinen Fall anerkennen (HB 22.6.91). Baker soll sogar signalisiert
haben, eine begrenzte militärische Intervention zu akzeptieren.
-
5a: So kursierten in imperialistischen Kreisen schon längere
Zeit Überlegungen wie diese: Integrität UND »Reformen«
ließen sich in Jugoslawien nicht gleichzeitig »fördern«,
denn »eine Umorientierung Richtung Marktwirtschaft«
sei v.a. in Serbien nicht in Sicht »und auch von der dortigen
Opposition in ihrer derzeitigen Verfassung« nicht zu erwarten
- eine »Wirtschaftsunion unterschiedlicher Systeme«
könne aber keine »Lösung« sein; Kroatien und
Slowenien dagegen planten schon, zusammen mit Bosnien-Herzegowina
und Mazedonien einen sog. Clearing-Raum zu bilden, »um die
bestehenden Handelsbeziehungen zu festigen«; auf diese
»Vierergruppe« entfielen denn auch ca. 60% der
Auslandsschulden, und nur Slowenien und Kroatien seien als
»zahlungsfähige Schuldner« anzusehen, die auch die
»Altlasten Mazedoniens und Bosniens« decken könnten
und bereit dazu seien. »Diese Gruppe zusammenzuhalten wäre
ein lohnenswerteres Ziel als das Streben nach einem von oben
`geeinten' jugoslawischen Wirtschaftsraum einschließlich der
kommunistisch regierten Landesteile (Serbien und Montenegro).«
(alle Zitate NZZ 31.5.91)
-
5b: vgl. Predag Simic: Bürgerkrieg in Jugoslawien: Vom lokalen
Konflikt zur europischen Krise , in: Südosteuropa Mitteilungen
Nr. 1/93
-
6: Die Bundesregierung hatte 2000 Soldaten ohne Schießbefehl
und scharfe Munition sowie unbewaffnete Polizisten in Bewegung
gesetzt, um die slowenischen Grenzübergänge wieder in
Bundesgewalt zu bringen. Die slowenischen Territorialstreitkräfte
leisten jedoch überraschend heftigen bewaffneten Widerstand,
was zur offenen Intervention der JNA führt, die jetzt Panzer
und Luftwaffe einsetzt. Doch »die Aktion war schlecht geplant,
die Kommunikation klappte nicht, 780 Soldaten desertierten, 1700
wurden gefangengenommen, davon 179 Offiziere« (NZZ 3.7.91).
-
7: In dem unter EG-Leitung zustandegekommenen »Abkommen von
Brioni« vom 7./8.7.91 wird die staatliche Souveränität
der slowenischen Republik faktisch bestätigt, wenn auch nicht
ihre Sezession; »ein Sieg für Slowenien«
(taz-Kommentar 9.7.91).
-
8: »Enthüllung« des kroatischen Präsidentenberaters
Nobilo Mitte Juli '91 in der Londoner »Times«. Der
kroatische Oppositionspolitiker Cicak berichtet in einem
Spiegel-Interview, daß die ersten Absprachen schon im März
stattgefunden haben und daß dabei die Absetzung Markovics und
die Teilung Bosniens besprochen worden sei. Auf die Frage, wie
konkret die Vereinbarungen waren :«Es existierte eine
detaillierte Karte darüber.Gleichzeitig wurde eine
Geheimkommission formiert. Den Kroaten wurde gleich beim ersten
Treffen mitgeteilt, daß Serbien im Besitz eines NATO-Papiers
sei, in welchem die Vertreibung der Moslems als wünschenswert
angesehen werde, man also keine internationalen Hindernisse zu
erwarten habe.« (Spiegel 28.6.93)
-
9: Ähnlich wie in der ehemaligen SU, wo sich ein westlicher
Suchprozess zwischen Zentralität, Konföderation und
Unabhängigkeit bewegte und wo das Notstandsregime vom August
'91 anfänglich als »südkoreanische
Entwicklungsvariante« akzeptiert wurde. Erst die Schwäche
des Regimes ließ die europäische politische Klasse
umschwenken.
-
10: Im Oktober '91 drängen die SPD-Politiker Voigt und Gansel
nach einem Aufenthalt in Ex-Jugoslawien zur raschen Anerkennung
Sloweniens und Kroatiens und setzen diese Haltung schließlich
auch in der SPD-Fraktion durch. Voigt und Gansel gehören mit
Gernot Erler und Günther Verheugen auch zu den SPD-Politikern,
die im Sommer und Herbst '91 regelmäßig mit Außenminister
Genscher die Jugoslawienpolitik erörtern. Am 14.11.91 fordert
der Bundestag in einer Resolution mit großer Mehrheit und den
Stimmen großer Teile von SPD und Bündnis 90/Grüne
die Bundesregierung zur Anerkennung Kroatiens und Sloweniens auf.
-
FN 11: Die britische Regierung soll als »Gegenleistung«
die Zustimmung für ihren Austritt aus der in den Verträgen
vorgesehenen »Sozialcharta« und die vier »armen«
Staaten Spanien, Portugal, Griechenland und Irland Finanzierungen
für den EG-internen Ausgleichsfonds erhalten haben. (taz
6.4.93)
-
Von Juli '91 bis zur Anerkennung durch die BRD Ende Dezember '91
wiederholte die Bundesregierung ständig ihre Forderungen,
wenngleich sie immer auch beteuerte, sich an ein gemeinsames
Vorgehen im EG-Zusammenhang zu halten. Gleichzeitig gab es mehrfach
offizielle Kontakte zur slowenischen und kroatischen Führung,
bei denen ihnen Unterstützung zugesagt wurde. Über den BND
wurden Waffenlieferungen zum Aufbau der Territorialeinheiten zu
Armeeverbänden organisiert. (vgl. »Frieden«, Heft
9-10, 1991)
-
12: So warf z.B. die niederländische Regierung Mitte September
'91 der kroatische Führung vor, »die Gewalt zu
eskalieren«; die deutsche Diplomatie sei mit ihrer
Anerkennungsdrohung für die neuen Gewaltausbrüche
verantwortlich (FR 16.9.91). Mitte November '91 konstatierte der
kroatische Botschafter in Bonn, ohne die Hilfe der BRD »hätten
wir bis jetzt gar nicht standhalten können« (FR
18.11.91). Im November '91 gewährte die Bonner Regierung
Kroatien einen Kredit über 10 Mio. DM, wobei die symbolische
Bedeutung zu diesem Zeitpunkt wichtiger war als die Höhe des
Betrags. (FR 26.11.91) Am 16.11.91 stellt ein NZZ-Kommentator fest,
die BRD-Regierung »konterkariere die EG-Friedensgespräche«
durch ihre Anerkennungsvorstöße. Auf dem EG-Gipfel Anfang
November '91 kündigt Kohl an, den slowenischen und kroatischen
Ministerpräsidenten nach Bonn einzuladen, um über
zusätzliche Hilfsmaßnahmen zu sprechen; Genscher plädiert
noch mal für Anerkennung; unmittelbar nach dem Gipfel werden
wieder heftige Kämpfe in Jugoslawien geführt. (NZZ
10.11.91) Mit den beiden Ministerpräsidenten wird in Bonn
Anfang Dezember '91 das Prozedere des Anerkennungsverfahrens geklärt
und, die BRD-Regierung kündigt ihre Unterstützung für
zukünftige EG-Assoziierungsverhandlungen an. Eine
deutsch-slowenische Wirtschaftskommision wird geplant. (NZZ 5.12.91)
Außerdem sollen beide Republiken von den von der EG
beschlossenen Sanktionen gegen Jugoslawien ausgenommen werden. (NZZ
77.12.91) Obwohl die von BRD-Staatsrechtlern ausgearbeitete
Verfassung Kroatiens nicht die von der EG festgelegten
Anerkennungskriterien in Frage der Minderheitenrechte erfüllt,
werden Kroatien und Slowenien am 19.12.91 von der BRD (es folgt der
Vatikan) anerkannt.
-
13: Ein symbolischer Ausdruck dafür ist die geplante Einführung
einer neuen Währungseinheit in Kroatien: der »Kuna«.
Dieser hatte bereits unter der faschistischen Regierung 1941-45
gegolten. (WAZ 12.8.93) S. dazu auch das neueingeführte
reaktionär-sexistische Familienprogramm (s. Kap.4)
-
14:So am 16.12.91 mit Polen, Ungarn und der CFSR - der BRD-Anteil an
den EG-Importen und- Exporten mit diesen Ökonomien beträgt
50% bzw. 60%.
-
15: Vgl. dazu: Jürgen von Hagen: Verwirklichung der
Europäischen Währungsunion, in: Politik und
Zeitgeschichte, 9.7.93
-
16: Hans Peter Stihl, »Chance Europa Die europäische
Einigung aus der Sicht der deutschen Wirtschaft« in Politik
und Zeitgeschichte 1.1.93
-
17: Interview mit Roland Berger im Spiegel 18/92
-
18: Vgl. Autonomie Nr.14, S.217 ff, Berlin '87 und »Die
Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg«,
GNN-Verlag 1992
-
19a: Serbische Demokratische Allianz (SDS) mit Vorsitzendem Karadciz
und Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) mit Vorsitzendem
Boban - beide arbeiten eng mit den Regierungsparteien in Serbien
bzw. Kroatien zusammen und werden von ihnen unterstützt. Aber
auch die nationalistische »muslimische« Vereinigung für
demokratische Aktion (SDA), die ebenso wie die anderen Parteien für
einen eigenen (muslimischen) Staat eintrat (taz 23.11.90), und ihr
Vorsitzender Izetbegovic haben auch als Regierungspartei nicht
aufgehört, als muslimische Partei zu agieren und in
Verhandlungen nur die Interessen ihrer Anhängerschaft zu
vertreten. »Hätte Izetbegovic wirklich Bosnien, wie er
vorgab, als Staat aller seiner BewohnerInnen erhalten wollen, hätte
er sich für eine andere Regierungskoalition mit
nicht-nationalistischen politischen Parteien stark machen müssen.«
(WOZ 2.4.93)
-
19: T.Mazowiecki, Beauftragter der UNO, in seinem Bericht über
die Lage der Menschenrechte in Ex-Jugoslawien. Dieser Bericht wurde
lange Zeit nicht in vollem Umfang veröffentlicht. (Zeit
11.12.92)
-
20: Svebor Dizdarevic:«In der Geiselhaft der Milizen - Eine
bosnische Kritik des Vance-Owen-Plans« in: Blätter für
deutsche und internationale Politik, 5/93 S.553 ff
-
21: Die Wahlbeteiligung lag bei 63%, die »serbische«
Bevölkerung boykottierte die Abstimmung ; 99,4% der abgegeben
Stimmen sind für Unabhängigkeit.
-
22: »Der Krieg in Bosnien-Hercegowina ist relativ autark
führbar. Zum einen befanden sich hier etwa 40% der
rüstungsindustriellen Kapazitäten Jugoslawiens. Trotz
Beschädigung oder Zerstörung von
Rüstungsproduktionsanlagen können sich die Kriegsparteien
aus eigenen Fabriken 'bedienen'. Hinzu kommt, daß die
Kriegsführung relativ wenig treibstoffintensiv ist. Der Kampf
wird überwiegend mit leichten, infanteristischen Waffen
geführt. Außer der schweren Artillerie, die überwiegend
von den Serben in Bosnien eingesetzt wird, beobachten wir eine
relative Abwesenheit von militärischem Großgerät
(Kampfpanzer).« aus: Kommentierte Chronik des
Jugoslawien-Konflikts, Forschungsinstitut für Friedenspolitik
e.V. (vgl. Anhang)
-
23: Der Anfang '93 als EG-Ratspräsident amtierende
Ministerpräsident Dänemarks zählt in einem
Spiegel-Interview auf, welche zwingenderen Embargomöglichkeiten
angewandt werden könnten: Ausschluß aus allen
internationalen Organisationen, Abbruch der diplomatischen
Beziehungen, völliges Handelsembargo, Unterbrechung aller
Kommunikationswege,Telefon, Telefax, Straßen, die Kosten für
die Nachbarstaaten müßten »alle« übernehmen.
Laut Pressebeichten wurde mit Rücksicht auf die Interessen der
russischen Führung in ihrer innenpolitischen Auseiandersetzung
mit Reformgegnern auf weitergehende Sanktionen gegen die BRJ
verzichtet.
-
24: Auch an der banalen Tatsache, daß die UNO trotz ihres
angeblichen Bedeutungszuwachses als »neutralere«
weltweite »Krisenbewältigungsinstitution« ständig
in Finanznöten ist und z.B. die US-Regierung ihren
Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, zeigt sich ihre Funktion
als relativ machtloses Durchsetzungsinstrument imperialistischer
Interessen (Sie hat »kürzlich damit gedroht, sie müsse
Bankrott anmelden, weil ihr allein die USA 480 Mio.$, die armen
Drittländer weitere 500 Mio.$ Schulden. (Spiegel 2.12.91))
-
25: Die spektakuläre Androhung der Nato Anfang August, u.U.
serbische Stellungen zu bombardieren, bezog sich allein auf die
Blockierung von Hilfslieferungen, nicht aber auf Belagerungen und
Vertreibungen. Außerdem sollte Izetbegovic, der aus Protest
gegen den »Schutzzonenplan« den Verhandlungen
ferngeblieben war, wieder an den Tisch gezwungen werden, denn sonst
kämen militärische Interventionen zugunsten seiner Partei
überhaupt nicht in Betracht. (FAZ 11.8.93)
<- Die
EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus Südosteuropa
| Anhang
->